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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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Politische Literatur.

Die Rettung der Gesellschaft aus den Gefahren der Militärherr-
schaft. Eine Untersuchung auf geschichtlicher und statistischer Grundlage über die
finanziellen und volkswirthschaftlichen, die politischen und socialen Einflüsse des Heer¬
wesens. Von Wilhelm Schul dz-Bodmer. -- Leipzig, Brockhaus. -- Die Frage,
die schon lange und ernst jeden Freund der Menschheit beschäftigt hat, drängt sich
in dicseln Augenblick auch der sonst theilnahmlosen Masse in ihrer handgreiflichen
Wichtigkeit auf. Die nächste Bedeutung hat sie für Deutschland. Seit 1815 sind
wir des Krieges entwöhnt; die Zwistigkeiten zwischen den europäischen Mächten, die
in dieser Periode vorkamen, sind außerhalb unserer Grenzen ausgefochten. Nun
zeigt sich plötzlich, wie trüglich die Sicherheit war, in die wir uns einwiegten: ein
unruhiger Nachbar, und Monat für Monat schreckt uns ein neues Kriegsgerücht,
hemmt den geistigen und geschäftlichen Verkehr, wirft sich den Fortschritten der Cul¬
tur in den Weg. Dieser perennirende bewaffnete Friede, schlimmer als ein schnell,,
wenn auch blutig ausgefochtener Krieg, ist auf die Länge nicht zu ertragen; es fragt
sich nur, ob zur Abhilfe dieses Elends ein Mittel gefunden werden kann. -- Der
Verfasser der vorliegenden Schrift hat sich schon 1855 in der "Militärpolitik;, mit
besonderer Beziehung auf die Widerstandskraft der Schweiz und den Kampf eines
Milizhccrs gegen stehende Heere" darüber vernehmen lassen; auch diesmal hält er die
Ersetzung der Conscription durch eine lediglich auf die Vertheidigung gerichtete Land-
Wehr für das angemessenste Mittel. -- "Der möglichst hohe Grad der Vcrtheidigungs-
kraft ist erreicht, sobald sich nöthigenfalls die ganze wehrkräftige Bevölkerung eines
Landes in wirksamster Weise vertheidigen kann und will. Dies setzt die Einführung
des Volkshccrwcsens in solchem Maß voraus, daß der etwa eindringende Feind aller-
wärts einer überlegenen Vertheidigung begegnet; daß er seine Kriegszwecke nirgend
anders erreichen kann, als nur vorübergehend und durch verhältnismäßig schwere
Opfer." -- Jedenfalls wäre es für Deutschland nicht angemessen, mit dieser Form
der Bewaffnung voranzugehn, da einem etwaigen Angriffskrieg von Seiten Frank¬
reichs und Rußlands am besten durch eine entschiedene Offensive begegnet wird; jene
Staaten haben den großen Vorzug einer schnellen Concentration ihrer Kräfte; sobald
unsere dreiunddreißig Staaten nur über Landwehren verfügte", wäre sehr bald eine
nach der andern geworfen. -- Die beste Art, den Krieg zu vermeiden, liegt darin, daß
die Zwecke desselben abgeschnitten werden. Veranlassungen zu europäischen Kriegen
find zunächst die orientalische und die italienische Frage; beide gehn uns im Grunde
nichts an, und es kommt nur darauf an, uns durch Concentration unserer Wehr¬
kraft unsere Neutralität in diesen Fragen zu sichern. -- Das Mittel dazu klingt
antiauirt; man wird aber doch daraus immer zurückkommen müssen; es heißt:
Union. -- Die Union sichert 1) die mittlern und kleinern deutschen Staaten vor
einer Arrondirungspolitik Preußens (diesen Gesichtspunkt hat man noch nicht genug
hervorgehoben); 2) es sichert Preußen vor einem Rheinbund; 3) es enthebt die
Bundesländer der Verpflichtung, für Fragen, die sie nichts angehn, zu kämpfen',
die alte Verpflichtung, auch das östreichische Bundesgebiet vor^jedem Angriff zu
sichern, bleibt intact; 4) es concentrirt unsere Wehrkraft, und macht uns fähig,


Politische Literatur.

Die Rettung der Gesellschaft aus den Gefahren der Militärherr-
schaft. Eine Untersuchung auf geschichtlicher und statistischer Grundlage über die
finanziellen und volkswirthschaftlichen, die politischen und socialen Einflüsse des Heer¬
wesens. Von Wilhelm Schul dz-Bodmer. — Leipzig, Brockhaus. — Die Frage,
die schon lange und ernst jeden Freund der Menschheit beschäftigt hat, drängt sich
in dicseln Augenblick auch der sonst theilnahmlosen Masse in ihrer handgreiflichen
Wichtigkeit auf. Die nächste Bedeutung hat sie für Deutschland. Seit 1815 sind
wir des Krieges entwöhnt; die Zwistigkeiten zwischen den europäischen Mächten, die
in dieser Periode vorkamen, sind außerhalb unserer Grenzen ausgefochten. Nun
zeigt sich plötzlich, wie trüglich die Sicherheit war, in die wir uns einwiegten: ein
unruhiger Nachbar, und Monat für Monat schreckt uns ein neues Kriegsgerücht,
hemmt den geistigen und geschäftlichen Verkehr, wirft sich den Fortschritten der Cul¬
tur in den Weg. Dieser perennirende bewaffnete Friede, schlimmer als ein schnell,,
wenn auch blutig ausgefochtener Krieg, ist auf die Länge nicht zu ertragen; es fragt
sich nur, ob zur Abhilfe dieses Elends ein Mittel gefunden werden kann. — Der
Verfasser der vorliegenden Schrift hat sich schon 1855 in der „Militärpolitik;, mit
besonderer Beziehung auf die Widerstandskraft der Schweiz und den Kampf eines
Milizhccrs gegen stehende Heere" darüber vernehmen lassen; auch diesmal hält er die
Ersetzung der Conscription durch eine lediglich auf die Vertheidigung gerichtete Land-
Wehr für das angemessenste Mittel. — „Der möglichst hohe Grad der Vcrtheidigungs-
kraft ist erreicht, sobald sich nöthigenfalls die ganze wehrkräftige Bevölkerung eines
Landes in wirksamster Weise vertheidigen kann und will. Dies setzt die Einführung
des Volkshccrwcsens in solchem Maß voraus, daß der etwa eindringende Feind aller-
wärts einer überlegenen Vertheidigung begegnet; daß er seine Kriegszwecke nirgend
anders erreichen kann, als nur vorübergehend und durch verhältnismäßig schwere
Opfer." — Jedenfalls wäre es für Deutschland nicht angemessen, mit dieser Form
der Bewaffnung voranzugehn, da einem etwaigen Angriffskrieg von Seiten Frank¬
reichs und Rußlands am besten durch eine entschiedene Offensive begegnet wird; jene
Staaten haben den großen Vorzug einer schnellen Concentration ihrer Kräfte; sobald
unsere dreiunddreißig Staaten nur über Landwehren verfügte», wäre sehr bald eine
nach der andern geworfen. — Die beste Art, den Krieg zu vermeiden, liegt darin, daß
die Zwecke desselben abgeschnitten werden. Veranlassungen zu europäischen Kriegen
find zunächst die orientalische und die italienische Frage; beide gehn uns im Grunde
nichts an, und es kommt nur darauf an, uns durch Concentration unserer Wehr¬
kraft unsere Neutralität in diesen Fragen zu sichern. — Das Mittel dazu klingt
antiauirt; man wird aber doch daraus immer zurückkommen müssen; es heißt:
Union. — Die Union sichert 1) die mittlern und kleinern deutschen Staaten vor
einer Arrondirungspolitik Preußens (diesen Gesichtspunkt hat man noch nicht genug
hervorgehoben); 2) es sichert Preußen vor einem Rheinbund; 3) es enthebt die
Bundesländer der Verpflichtung, für Fragen, die sie nichts angehn, zu kämpfen',
die alte Verpflichtung, auch das östreichische Bundesgebiet vor^jedem Angriff zu
sichern, bleibt intact; 4) es concentrirt unsere Wehrkraft, und macht uns fähig,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/167>, abgerufen am 22.12.2024.