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Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band.

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Von der preußischen Grenze.

Die Passionswoche bringt also doch gegen alles Erwarten eine Chance des
Friedens; woher diese plötzliche Strömung, und wie lange sie dauern wird, das
vermag auch nach der neuesten Monitcurnote und nach den Eröffnungen der gro߬
britannischen Minister freilich bei diesem verwickelten Hazardspiel, dessen innerste Mo¬
tive vielleicht nur zwei Menschen in Europa kennen, niemand zu berechnen. Genug,
der Krieg bricht in den nächsten Tagen noch nicht los, und ein Kongreß tritt aller
Wahrscheinlichkeit nach zusammen. Bei den geringen Aussichten auf Verständigung,
die ein solcher Kongreß selbst dem besten Willen bietet; bei der Schwierigkeit, wo
nicht Unmöglichkeit, eine Entwaffnung der Großmächte, die Vorbedingung des Kon¬
gresses, zu definiren, ja nur genau zu bestimmen, was man darunter versteht, da
der französische Kaiser noch immer versichert, er habe noch gar nicht gerüstet; bei
der Gefahr, die eine Entwaffnung Sardiniens unmittelbar nach sich zieht, ist es
schwer, die Absichten der betheiligten Mächte zu errathen: jedenfalls wird man ein-
sehn, daß Preußen sehr weise daran gehandelt hat, dem Kriegsgeschrei nicht ohne
weiteres nachzugeben. Jede Woche in Waffen kostet eine schwere Masse Geld, und
da Preußen nicht gewohnt ist, sich in seinen Verlegenheiten durch einen Staats¬
bankerott zu helfen, so wäre es ein sträflicher Leichtsinn von der Regierung gewesen,
die Kräfte des Staats anzuspannen, bevor es zur Action kam.

Jetzt ist die Zeit sür Preußen gekommen, handelnd einzutreten. Der Congreß
wird ganz fruchtlos sein, da die Forderungen Frankreichs und namentlich Sardi¬
niens von Oestreich von vornherein unbedingt zurückgewiesen sind, wenn nicht die
vermittelnden Mächte ein ernstes Wort sprechen. Die Erklärungen Lord Derbys geben
wenigstens einige Handhabe; haben sich Preußen und Rußland diesen Anforderungen
unbedingt angeschlossen? Hat sich-Preußen mit seinen deutschen Bundesgenossen in
Einvernehmen gesetzt, um das Gewicht seiner Vermittlung zu verstärken? Wir wissen
es nicht; aber so viel ist klar, der Kongreß hat nur dann einen Sinn, wenn die
vermittelnden Mächte mit ganz bestimmj formulirten Anforderungen auftreten, und
von der Annahme derselben seitens Oestreich ihre Betheiligung an dem Conflict ab¬
hängig machen. Daß Veränderungen in Italien nicht blos wünschenswert!), sondern
nothwendig sind für den Frieden Europas, weiß jeder; daß Frankreich nicht in gutem
Recht sie verlangt, ist ebenso bekannt: aber sollten sie darum unerfüllt bleiben?
Wollen uns etwa die Anwälte Oestreichs glauben machen, daß Oestreich sie ohne das
Drängen Frankreichs seinem alten Bundesgenossen Preußen gewährt haben würde,
gegen den es noch in der neufchatcller Angelegenheit so viel Courtoisie gezeigt?

Daß Oestreich entwaffne, und dafür der deutsche Bund mobilisirc -- der Ein¬
fall ist. gemüthlich, geistreich, aber zu gemüthlich, zu geistreich, um zu reussiren; auch
wenn er im reinsten wiener Dialekt ausgesprochen wäre.

Oestreich mußte damit anfangen, sich mit Preußen zu verständigen; im gegen¬
wärtigen Stadium, und mit so gemüthlichen und geistreichen Ansprüchen, kann man
1' auf eine unmittelbare Verständigung kaum rechnen.




Von der preußischen Grenze.

Die Passionswoche bringt also doch gegen alles Erwarten eine Chance des
Friedens; woher diese plötzliche Strömung, und wie lange sie dauern wird, das
vermag auch nach der neuesten Monitcurnote und nach den Eröffnungen der gro߬
britannischen Minister freilich bei diesem verwickelten Hazardspiel, dessen innerste Mo¬
tive vielleicht nur zwei Menschen in Europa kennen, niemand zu berechnen. Genug,
der Krieg bricht in den nächsten Tagen noch nicht los, und ein Kongreß tritt aller
Wahrscheinlichkeit nach zusammen. Bei den geringen Aussichten auf Verständigung,
die ein solcher Kongreß selbst dem besten Willen bietet; bei der Schwierigkeit, wo
nicht Unmöglichkeit, eine Entwaffnung der Großmächte, die Vorbedingung des Kon¬
gresses, zu definiren, ja nur genau zu bestimmen, was man darunter versteht, da
der französische Kaiser noch immer versichert, er habe noch gar nicht gerüstet; bei
der Gefahr, die eine Entwaffnung Sardiniens unmittelbar nach sich zieht, ist es
schwer, die Absichten der betheiligten Mächte zu errathen: jedenfalls wird man ein-
sehn, daß Preußen sehr weise daran gehandelt hat, dem Kriegsgeschrei nicht ohne
weiteres nachzugeben. Jede Woche in Waffen kostet eine schwere Masse Geld, und
da Preußen nicht gewohnt ist, sich in seinen Verlegenheiten durch einen Staats¬
bankerott zu helfen, so wäre es ein sträflicher Leichtsinn von der Regierung gewesen,
die Kräfte des Staats anzuspannen, bevor es zur Action kam.

Jetzt ist die Zeit sür Preußen gekommen, handelnd einzutreten. Der Congreß
wird ganz fruchtlos sein, da die Forderungen Frankreichs und namentlich Sardi¬
niens von Oestreich von vornherein unbedingt zurückgewiesen sind, wenn nicht die
vermittelnden Mächte ein ernstes Wort sprechen. Die Erklärungen Lord Derbys geben
wenigstens einige Handhabe; haben sich Preußen und Rußland diesen Anforderungen
unbedingt angeschlossen? Hat sich-Preußen mit seinen deutschen Bundesgenossen in
Einvernehmen gesetzt, um das Gewicht seiner Vermittlung zu verstärken? Wir wissen
es nicht; aber so viel ist klar, der Kongreß hat nur dann einen Sinn, wenn die
vermittelnden Mächte mit ganz bestimmj formulirten Anforderungen auftreten, und
von der Annahme derselben seitens Oestreich ihre Betheiligung an dem Conflict ab¬
hängig machen. Daß Veränderungen in Italien nicht blos wünschenswert!), sondern
nothwendig sind für den Frieden Europas, weiß jeder; daß Frankreich nicht in gutem
Recht sie verlangt, ist ebenso bekannt: aber sollten sie darum unerfüllt bleiben?
Wollen uns etwa die Anwälte Oestreichs glauben machen, daß Oestreich sie ohne das
Drängen Frankreichs seinem alten Bundesgenossen Preußen gewährt haben würde,
gegen den es noch in der neufchatcller Angelegenheit so viel Courtoisie gezeigt?

Daß Oestreich entwaffne, und dafür der deutsche Bund mobilisirc — der Ein¬
fall ist. gemüthlich, geistreich, aber zu gemüthlich, zu geistreich, um zu reussiren; auch
wenn er im reinsten wiener Dialekt ausgesprochen wäre.

Oestreich mußte damit anfangen, sich mit Preußen zu verständigen; im gegen¬
wärtigen Stadium, und mit so gemüthlichen und geistreichen Ansprüchen, kann man
1' auf eine unmittelbare Verständigung kaum rechnen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 18, 1859, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341590_107046/166>, abgerufen am 22.12.2024.