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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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"Ich halte nicht blos Ihre Ansichten für falsch, sondern Ihre Unternehmungen für'
verbrecherisch; ich bin überzeugt, daß sie nicht blos für das Cabinet von Se. Peters¬
burg nützlich, sondern von demselben unmittelbar geleitet sind. Hätte daher Catilina
vertrauliche Mittheilungen an Cicero gerichtet, so wäre die Anomalie noch nicht so
ungeheuer, da es damals noch keinen scythischen Arsaccs gab, die Verschwörer zu
besolden und zu benutze";" -- wenn Urquhardt so an Kossuth schreibt, so begreift
man ihn vollständig; man begreift ihn aber nicht mehr, wenn er (8. Mai 1854)
ein Sendschreiben an die Tscherkessen richtet, worin er die Regierung seines Vater¬
landes anklagt, eine Vcrräthcrbaudc und mit Rußland im innigsten Einverständ-
niß zu sein. Und diese Papiere werden unter der Aegide Urguhardts zusammen¬
gestellt, den jetzt deutsche Correspondenten als den größten Staatsmann Englands
preisen! Es geschieht in England in dem Kampf gegen Palmerston vieles Unmögliche;
den Gipfel scheint der Schatzkanzlcr in der Rede an seine Wähler erreicht zu haben
der trunken von dem neuesten Sieg über die Whigs, dieselben folgendermaßen
charakterifirt - "Es existirt in diesem Augenblick in England eine Kabale, die keinen
andern Zweck hat, als die Negierung der Königin zu stürzen, auf die rücksichtsloseste
aber entschlossenste Weise. Diese Kabale besteht aus einigen anschlägiger englischen Staats¬
männern und einigen ausländischen Intriguanten. Sie besitzen Hilfsmittel aller
Art, ihr Einfluß in der Gesellschaft ist beträchtlich, und wird ohne das mindeste Bedenken
für die politischen Zwecke mißbraucht. Ihnen stehen große Quellen politischer In¬
formation zu Gebot, besonders über die auswärtigen Angelegenheiten, eine Jn-
formation, die auf eine meines Erachtens nicht sehr constitutionelle Weise be¬
schafft wird. Ihnen ist gelungen, die einst reine und unabhängige Presse Eng¬
lands zu corrumpiren. u. s. w." -- Man ist in England an starke Superlative gewöhnt,
aber diese Rede eines ersten Ministers hat doch nicht ihres Gleichen, und wir sind
nicht wenig gespannt, wie sich die des Verraths angeklagte Partei der Liberalen
dazu verhalten wird. -- .




Literatur.

Deutsche Cultur- und Sittengeschichte von Johannes Scherr.
Zweite durchgehende umgearbeitete und vermehrte Auflage. Leipzig, O. Wigand. .....

Der Verfasser bemerkt in der Vorrede, man werde bei der neuen Auflage den mil¬
dernden Einfluß der Zeit wahrnehmen; wir wünschten, daß er in Bezug aus manche
UrtheiK sich noch mehr Besonnenheit angeeignet hätte. Im Uebrigen ist das Buch
sehr lesbar geschrieben, und bei der Mannigfaltigkeit und zweckmäßigen Gruppirung
der zahlreichen culturhistorischen Thatsachen für das größere Publicum eine nützliche
Lectüre. Vollständigkeit wird man von einem populären Büchlein um so weniger
erwarten, da die gelehrten Vorarbeiten in diesem Fach eigentlich setzt erst recht
angehen. >




Äercmtworllichcr Redacteur: 0. Möris Busch -- Verlag von F. L. Herbig
in Leipzig.
Druck von C. "5. Elbert in Leipzig.

„Ich halte nicht blos Ihre Ansichten für falsch, sondern Ihre Unternehmungen für'
verbrecherisch; ich bin überzeugt, daß sie nicht blos für das Cabinet von Se. Peters¬
burg nützlich, sondern von demselben unmittelbar geleitet sind. Hätte daher Catilina
vertrauliche Mittheilungen an Cicero gerichtet, so wäre die Anomalie noch nicht so
ungeheuer, da es damals noch keinen scythischen Arsaccs gab, die Verschwörer zu
besolden und zu benutze»;" — wenn Urquhardt so an Kossuth schreibt, so begreift
man ihn vollständig; man begreift ihn aber nicht mehr, wenn er (8. Mai 1854)
ein Sendschreiben an die Tscherkessen richtet, worin er die Regierung seines Vater¬
landes anklagt, eine Vcrräthcrbaudc und mit Rußland im innigsten Einverständ-
niß zu sein. Und diese Papiere werden unter der Aegide Urguhardts zusammen¬
gestellt, den jetzt deutsche Correspondenten als den größten Staatsmann Englands
preisen! Es geschieht in England in dem Kampf gegen Palmerston vieles Unmögliche;
den Gipfel scheint der Schatzkanzlcr in der Rede an seine Wähler erreicht zu haben
der trunken von dem neuesten Sieg über die Whigs, dieselben folgendermaßen
charakterifirt - „Es existirt in diesem Augenblick in England eine Kabale, die keinen
andern Zweck hat, als die Negierung der Königin zu stürzen, auf die rücksichtsloseste
aber entschlossenste Weise. Diese Kabale besteht aus einigen anschlägiger englischen Staats¬
männern und einigen ausländischen Intriguanten. Sie besitzen Hilfsmittel aller
Art, ihr Einfluß in der Gesellschaft ist beträchtlich, und wird ohne das mindeste Bedenken
für die politischen Zwecke mißbraucht. Ihnen stehen große Quellen politischer In¬
formation zu Gebot, besonders über die auswärtigen Angelegenheiten, eine Jn-
formation, die auf eine meines Erachtens nicht sehr constitutionelle Weise be¬
schafft wird. Ihnen ist gelungen, die einst reine und unabhängige Presse Eng¬
lands zu corrumpiren. u. s. w." — Man ist in England an starke Superlative gewöhnt,
aber diese Rede eines ersten Ministers hat doch nicht ihres Gleichen, und wir sind
nicht wenig gespannt, wie sich die des Verraths angeklagte Partei der Liberalen
dazu verhalten wird. — .




Literatur.

Deutsche Cultur- und Sittengeschichte von Johannes Scherr.
Zweite durchgehende umgearbeitete und vermehrte Auflage. Leipzig, O. Wigand. .....

Der Verfasser bemerkt in der Vorrede, man werde bei der neuen Auflage den mil¬
dernden Einfluß der Zeit wahrnehmen; wir wünschten, daß er in Bezug aus manche
UrtheiK sich noch mehr Besonnenheit angeeignet hätte. Im Uebrigen ist das Buch
sehr lesbar geschrieben, und bei der Mannigfaltigkeit und zweckmäßigen Gruppirung
der zahlreichen culturhistorischen Thatsachen für das größere Publicum eine nützliche
Lectüre. Vollständigkeit wird man von einem populären Büchlein um so weniger
erwarten, da die gelehrten Vorarbeiten in diesem Fach eigentlich setzt erst recht
angehen. >




Äercmtworllichcr Redacteur: 0. Möris Busch — Verlag von F. L. Herbig
in Leipzig.
Druck von C. «5. Elbert in Leipzig.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/408>, abgerufen am 21.12.2024.