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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band.

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Corpsbursch betrachtet, befreit ihn mit Hilfe seines Bedienten bei Hellem lich¬
ten Tage auf dem Markt durch einen kühnen Reiterangriff und als die Sache
endlich doch mißlingt, bricht eine ganze Bande in das Gefängniß ein, da¬
runter der Aankee. der mit dem unvermeidlichen Revolver unter die Leute
schießt, als ob er Büffel vor sich hätte, und bei dieser Gelegenheit kommt der
Referendarius ums Leben. Das sind die Helden der Begebenheit, dazwischen
spielen dann pedantische Juristen, nichtswürdige Präsidenten, liederliche Baro-
nossen u. s. w. die bekannte Rolle. Vielleicht die meisten der hier geschilder¬
ten Scenen sind im wirklichen Leben vorgekommen, aber wir müssen unsere
schon häufig ausgesprochene Ueberzeugung wiederholen, daß dieser Umstand
noch keineswegs ausreicht, ihnen ein Bürgerrecht in der Poesie zu verschaffen.
Der Dichter, auch der Romanschreiber hat nicht die Aufgabe, uns die Misere
vorzuführen, die sich jedem Menschen ohne fremde Beihilfe aufdrängt, sondern
das Bedeutende ans Licht zu stellen, das sich dem gewöhnlichen ungeübten
Blick entzieht. Das gilt vom Idealisten wie vom Humoristen. Wird dagegen
eine Satire beabsichtigt, so muß sich klar erkennen lassen, wem die Satire
gilt. Die bloße Verstimmung ist das unfruchtbarste Gefühl, das es auf der
Welt gibt, und muß am entschiedensten aus der Dichtung verbannt werden,
die uns aus der Misere des Gewöhnlichen erheben soll. Dem talentvollen
Verfasser wünschen wir aufrichtig, daß er durch diesen Tribut an die Mode
der Zeit die Krankheit der "deutschen Träume" von sich abgeschüttelt haben
I. S. möge.




Die Bedeutung der Ständeversmumlung in Stuttgart.

Am 4. Mai dieses Jahres haben die Stände des Königreichs Wür-
temberg nach einer Unterbrechung von vielen Monaten ihre Verhandlungen
wieder aufgenommen. Wenn nun zwar die Landtagssitzungcn eines mittleren
oder kleineren deutschen Staates an sich nur sehr wenig Anziehendes für die
nicht diesem Staate ungehörigen Deutschen zu haben pflegen: so dünkt mir
das bei dem gegenwärtigen Stand der Dinge, bei der gleichen Noth, welche
uns alle drückt und im Hinblick auf das öffentliche Leben im Königreich
Würtemberg hinsichtlich der jetzt schwebenden Verhandlungen ein Anderes.
Es sind die gleichen Ansprüche und die gleichen Versuche, welche in ganz
Deutschland die Runde machen, bald offener, bald versteckter, bald pochend auf
den Buchstaben des Gesetzes, bald gehüllt in das materielle Recht, das ge-


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Corpsbursch betrachtet, befreit ihn mit Hilfe seines Bedienten bei Hellem lich¬
ten Tage auf dem Markt durch einen kühnen Reiterangriff und als die Sache
endlich doch mißlingt, bricht eine ganze Bande in das Gefängniß ein, da¬
runter der Aankee. der mit dem unvermeidlichen Revolver unter die Leute
schießt, als ob er Büffel vor sich hätte, und bei dieser Gelegenheit kommt der
Referendarius ums Leben. Das sind die Helden der Begebenheit, dazwischen
spielen dann pedantische Juristen, nichtswürdige Präsidenten, liederliche Baro-
nossen u. s. w. die bekannte Rolle. Vielleicht die meisten der hier geschilder¬
ten Scenen sind im wirklichen Leben vorgekommen, aber wir müssen unsere
schon häufig ausgesprochene Ueberzeugung wiederholen, daß dieser Umstand
noch keineswegs ausreicht, ihnen ein Bürgerrecht in der Poesie zu verschaffen.
Der Dichter, auch der Romanschreiber hat nicht die Aufgabe, uns die Misere
vorzuführen, die sich jedem Menschen ohne fremde Beihilfe aufdrängt, sondern
das Bedeutende ans Licht zu stellen, das sich dem gewöhnlichen ungeübten
Blick entzieht. Das gilt vom Idealisten wie vom Humoristen. Wird dagegen
eine Satire beabsichtigt, so muß sich klar erkennen lassen, wem die Satire
gilt. Die bloße Verstimmung ist das unfruchtbarste Gefühl, das es auf der
Welt gibt, und muß am entschiedensten aus der Dichtung verbannt werden,
die uns aus der Misere des Gewöhnlichen erheben soll. Dem talentvollen
Verfasser wünschen wir aufrichtig, daß er durch diesen Tribut an die Mode
der Zeit die Krankheit der „deutschen Träume" von sich abgeschüttelt haben
I. S. möge.




Die Bedeutung der Ständeversmumlung in Stuttgart.

Am 4. Mai dieses Jahres haben die Stände des Königreichs Wür-
temberg nach einer Unterbrechung von vielen Monaten ihre Verhandlungen
wieder aufgenommen. Wenn nun zwar die Landtagssitzungcn eines mittleren
oder kleineren deutschen Staates an sich nur sehr wenig Anziehendes für die
nicht diesem Staate ungehörigen Deutschen zu haben pflegen: so dünkt mir
das bei dem gegenwärtigen Stand der Dinge, bei der gleichen Noth, welche
uns alle drückt und im Hinblick auf das öffentliche Leben im Königreich
Würtemberg hinsichtlich der jetzt schwebenden Verhandlungen ein Anderes.
Es sind die gleichen Ansprüche und die gleichen Versuche, welche in ganz
Deutschland die Runde machen, bald offener, bald versteckter, bald pochend auf
den Buchstaben des Gesetzes, bald gehüllt in das materielle Recht, das ge-


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[0307] Corpsbursch betrachtet, befreit ihn mit Hilfe seines Bedienten bei Hellem lich¬ ten Tage auf dem Markt durch einen kühnen Reiterangriff und als die Sache endlich doch mißlingt, bricht eine ganze Bande in das Gefängniß ein, da¬ runter der Aankee. der mit dem unvermeidlichen Revolver unter die Leute schießt, als ob er Büffel vor sich hätte, und bei dieser Gelegenheit kommt der Referendarius ums Leben. Das sind die Helden der Begebenheit, dazwischen spielen dann pedantische Juristen, nichtswürdige Präsidenten, liederliche Baro- nossen u. s. w. die bekannte Rolle. Vielleicht die meisten der hier geschilder¬ ten Scenen sind im wirklichen Leben vorgekommen, aber wir müssen unsere schon häufig ausgesprochene Ueberzeugung wiederholen, daß dieser Umstand noch keineswegs ausreicht, ihnen ein Bürgerrecht in der Poesie zu verschaffen. Der Dichter, auch der Romanschreiber hat nicht die Aufgabe, uns die Misere vorzuführen, die sich jedem Menschen ohne fremde Beihilfe aufdrängt, sondern das Bedeutende ans Licht zu stellen, das sich dem gewöhnlichen ungeübten Blick entzieht. Das gilt vom Idealisten wie vom Humoristen. Wird dagegen eine Satire beabsichtigt, so muß sich klar erkennen lassen, wem die Satire gilt. Die bloße Verstimmung ist das unfruchtbarste Gefühl, das es auf der Welt gibt, und muß am entschiedensten aus der Dichtung verbannt werden, die uns aus der Misere des Gewöhnlichen erheben soll. Dem talentvollen Verfasser wünschen wir aufrichtig, daß er durch diesen Tribut an die Mode der Zeit die Krankheit der „deutschen Träume" von sich abgeschüttelt haben I. S. möge. Die Bedeutung der Ständeversmumlung in Stuttgart. Am 4. Mai dieses Jahres haben die Stände des Königreichs Wür- temberg nach einer Unterbrechung von vielen Monaten ihre Verhandlungen wieder aufgenommen. Wenn nun zwar die Landtagssitzungcn eines mittleren oder kleineren deutschen Staates an sich nur sehr wenig Anziehendes für die nicht diesem Staate ungehörigen Deutschen zu haben pflegen: so dünkt mir das bei dem gegenwärtigen Stand der Dinge, bei der gleichen Noth, welche uns alle drückt und im Hinblick auf das öffentliche Leben im Königreich Würtemberg hinsichtlich der jetzt schwebenden Verhandlungen ein Anderes. Es sind die gleichen Ansprüche und die gleichen Versuche, welche in ganz Deutschland die Runde machen, bald offener, bald versteckter, bald pochend auf den Buchstaben des Gesetzes, bald gehüllt in das materielle Recht, das ge- 38*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_186412/307>, abgerufen am 21.12.2024.