Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

überhaupt irgend jemand -- Hütte die Aufgabe unsrer Nation im Jahre 1843,
die er Jahrzehnte lang vorausgesehen und für alle Folgezeit so präcis formu-
lirt hatte, daß kaum noch etwas daran zu ändern sein wird, lösen können,
wie Stein die Aufgabe von 1812 löste. Sein Tod an der Schwelle einer
solchen Wirksamkeit war der schwerste Schlag, der damals unsre Hoff¬
nungen traf.




Bilder aus Griechenland.
^.'^^ ^ ' , ' ^ 4..,, V 5.,., ^
Die Alterthümer unter der Burg. -- Das moderne Athen.

Wie man in Aegypten die Wunderbauten von Karnak und Luxor zuletzt
sehen sollte, da nach ihnen alle andern an Wirkung verlieren, so sollte man
in Athen die Akropolis nicht eher besuchen, als bis man die Reste des Alter¬
thums betrachtet hat, die außer ihr übrig sind. Allein hier wie dort vermag
nur eine sehr starke Selbstbeherrschung dem Zauber zu widerstehen, der das
Gemüth am Guten vorüber zum Besten hinzieht, und so mag denn häufig
der Fall eintreten, mit dem die Regel droht: wir verlernen das Bewundern,
verlieren es in der Erinnerung an jenes Beste und Größte wenigstens zum
Theil. Dies ist in Athen noch weit mehr der Fall als in Aegypten. Tritt
hier, wenn wir vor den Tempeln von Denderah, von Kom Ombo, von
Esneh oder Philä stehen, das Bild der Pylonen und Säulenhallen, der Kolosse
und Obelisken der Stätte von Theben nur als ein Andenken, als Schatten
zum Vergleich neben uns, so ragt dort über den Bauten der untern Stadt
die Akropolis in unmittelbarster Nähe als prächtige, überwältigende Wirklich¬
keit vor dem Blick des Beschauers, und während sie uns erhaben wie ein
Weihgeschenk der Götter erscheint, empfinden wir vor allem Andern nur wie
vor schönem Menschenwerk. "Er liegt recht niedlich da, fast wie ein Toiletten-
kästchen." dachte ich, vom Parthenon zurückkehrend, als der Theseustempel sich
unten zeigte. Und ebenso ging mirs mit dem Tempel der Winde, mit dem
Denkmal des Lysikrates, dem Thor Hadrians. Alle wirkten auf den ersten
Anblick kaum anders, als anmuthige Nippes, und es bedürfte auch später,
wo ich durch Concentrirung der Aufmerksamkeit auf ihre Details zum vollen
Genuß ihrer Schönheit gelangt war, der Abwendung von dem Gedanken an
jene Schöpfung des Perikles und Phidias, um nicht irre zu werden.


44 *

überhaupt irgend jemand — Hütte die Aufgabe unsrer Nation im Jahre 1843,
die er Jahrzehnte lang vorausgesehen und für alle Folgezeit so präcis formu-
lirt hatte, daß kaum noch etwas daran zu ändern sein wird, lösen können,
wie Stein die Aufgabe von 1812 löste. Sein Tod an der Schwelle einer
solchen Wirksamkeit war der schwerste Schlag, der damals unsre Hoff¬
nungen traf.




Bilder aus Griechenland.
^.'^^ ^ ' , ' ^ 4..,, V 5.,., ^
Die Alterthümer unter der Burg. — Das moderne Athen.

Wie man in Aegypten die Wunderbauten von Karnak und Luxor zuletzt
sehen sollte, da nach ihnen alle andern an Wirkung verlieren, so sollte man
in Athen die Akropolis nicht eher besuchen, als bis man die Reste des Alter¬
thums betrachtet hat, die außer ihr übrig sind. Allein hier wie dort vermag
nur eine sehr starke Selbstbeherrschung dem Zauber zu widerstehen, der das
Gemüth am Guten vorüber zum Besten hinzieht, und so mag denn häufig
der Fall eintreten, mit dem die Regel droht: wir verlernen das Bewundern,
verlieren es in der Erinnerung an jenes Beste und Größte wenigstens zum
Theil. Dies ist in Athen noch weit mehr der Fall als in Aegypten. Tritt
hier, wenn wir vor den Tempeln von Denderah, von Kom Ombo, von
Esneh oder Philä stehen, das Bild der Pylonen und Säulenhallen, der Kolosse
und Obelisken der Stätte von Theben nur als ein Andenken, als Schatten
zum Vergleich neben uns, so ragt dort über den Bauten der untern Stadt
die Akropolis in unmittelbarster Nähe als prächtige, überwältigende Wirklich¬
keit vor dem Blick des Beschauers, und während sie uns erhaben wie ein
Weihgeschenk der Götter erscheint, empfinden wir vor allem Andern nur wie
vor schönem Menschenwerk. „Er liegt recht niedlich da, fast wie ein Toiletten-
kästchen." dachte ich, vom Parthenon zurückkehrend, als der Theseustempel sich
unten zeigte. Und ebenso ging mirs mit dem Tempel der Winde, mit dem
Denkmal des Lysikrates, dem Thor Hadrians. Alle wirkten auf den ersten
Anblick kaum anders, als anmuthige Nippes, und es bedürfte auch später,
wo ich durch Concentrirung der Aufmerksamkeit auf ihre Details zum vollen
Genuß ihrer Schönheit gelangt war, der Abwendung von dem Gedanken an
jene Schöpfung des Perikles und Phidias, um nicht irre zu werden.


44 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0355" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/106166"/>
          <p xml:id="ID_982" prev="#ID_981"> überhaupt irgend jemand &#x2014; Hütte die Aufgabe unsrer Nation im Jahre 1843,<lb/>
die er Jahrzehnte lang vorausgesehen und für alle Folgezeit so präcis formu-<lb/>
lirt hatte, daß kaum noch etwas daran zu ändern sein wird, lösen können,<lb/>
wie Stein die Aufgabe von 1812 löste. Sein Tod an der Schwelle einer<lb/>
solchen Wirksamkeit war der schwerste Schlag, der damals unsre Hoff¬<lb/>
nungen traf.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Bilder aus Griechenland.</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> ^.'^^ ^    '    , '    ^   4..,, V 5.,., ^<lb/>
Die Alterthümer unter der Burg. &#x2014; Das moderne Athen.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_983"> Wie man in Aegypten die Wunderbauten von Karnak und Luxor zuletzt<lb/>
sehen sollte, da nach ihnen alle andern an Wirkung verlieren, so sollte man<lb/>
in Athen die Akropolis nicht eher besuchen, als bis man die Reste des Alter¬<lb/>
thums betrachtet hat, die außer ihr übrig sind. Allein hier wie dort vermag<lb/>
nur eine sehr starke Selbstbeherrschung dem Zauber zu widerstehen, der das<lb/>
Gemüth am Guten vorüber zum Besten hinzieht, und so mag denn häufig<lb/>
der Fall eintreten, mit dem die Regel droht: wir verlernen das Bewundern,<lb/>
verlieren es in der Erinnerung an jenes Beste und Größte wenigstens zum<lb/>
Theil. Dies ist in Athen noch weit mehr der Fall als in Aegypten. Tritt<lb/>
hier, wenn wir vor den Tempeln von Denderah, von Kom Ombo, von<lb/>
Esneh oder Philä stehen, das Bild der Pylonen und Säulenhallen, der Kolosse<lb/>
und Obelisken der Stätte von Theben nur als ein Andenken, als Schatten<lb/>
zum Vergleich neben uns, so ragt dort über den Bauten der untern Stadt<lb/>
die Akropolis in unmittelbarster Nähe als prächtige, überwältigende Wirklich¬<lb/>
keit vor dem Blick des Beschauers, und während sie uns erhaben wie ein<lb/>
Weihgeschenk der Götter erscheint, empfinden wir vor allem Andern nur wie<lb/>
vor schönem Menschenwerk. &#x201E;Er liegt recht niedlich da, fast wie ein Toiletten-<lb/>
kästchen." dachte ich, vom Parthenon zurückkehrend, als der Theseustempel sich<lb/>
unten zeigte. Und ebenso ging mirs mit dem Tempel der Winde, mit dem<lb/>
Denkmal des Lysikrates, dem Thor Hadrians. Alle wirkten auf den ersten<lb/>
Anblick kaum anders, als anmuthige Nippes, und es bedürfte auch später,<lb/>
wo ich durch Concentrirung der Aufmerksamkeit auf ihre Details zum vollen<lb/>
Genuß ihrer Schönheit gelangt war, der Abwendung von dem Gedanken an<lb/>
jene Schöpfung des Perikles und Phidias, um nicht irre zu werden.</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> 44 *</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0355] überhaupt irgend jemand — Hütte die Aufgabe unsrer Nation im Jahre 1843, die er Jahrzehnte lang vorausgesehen und für alle Folgezeit so präcis formu- lirt hatte, daß kaum noch etwas daran zu ändern sein wird, lösen können, wie Stein die Aufgabe von 1812 löste. Sein Tod an der Schwelle einer solchen Wirksamkeit war der schwerste Schlag, der damals unsre Hoff¬ nungen traf. Bilder aus Griechenland. ^.'^^ ^ ' , ' ^ 4..,, V 5.,., ^ Die Alterthümer unter der Burg. — Das moderne Athen. Wie man in Aegypten die Wunderbauten von Karnak und Luxor zuletzt sehen sollte, da nach ihnen alle andern an Wirkung verlieren, so sollte man in Athen die Akropolis nicht eher besuchen, als bis man die Reste des Alter¬ thums betrachtet hat, die außer ihr übrig sind. Allein hier wie dort vermag nur eine sehr starke Selbstbeherrschung dem Zauber zu widerstehen, der das Gemüth am Guten vorüber zum Besten hinzieht, und so mag denn häufig der Fall eintreten, mit dem die Regel droht: wir verlernen das Bewundern, verlieren es in der Erinnerung an jenes Beste und Größte wenigstens zum Theil. Dies ist in Athen noch weit mehr der Fall als in Aegypten. Tritt hier, wenn wir vor den Tempeln von Denderah, von Kom Ombo, von Esneh oder Philä stehen, das Bild der Pylonen und Säulenhallen, der Kolosse und Obelisken der Stätte von Theben nur als ein Andenken, als Schatten zum Vergleich neben uns, so ragt dort über den Bauten der untern Stadt die Akropolis in unmittelbarster Nähe als prächtige, überwältigende Wirklich¬ keit vor dem Blick des Beschauers, und während sie uns erhaben wie ein Weihgeschenk der Götter erscheint, empfinden wir vor allem Andern nur wie vor schönem Menschenwerk. „Er liegt recht niedlich da, fast wie ein Toiletten- kästchen." dachte ich, vom Parthenon zurückkehrend, als der Theseustempel sich unten zeigte. Und ebenso ging mirs mit dem Tempel der Winde, mit dem Denkmal des Lysikrates, dem Thor Hadrians. Alle wirkten auf den ersten Anblick kaum anders, als anmuthige Nippes, und es bedürfte auch später, wo ich durch Concentrirung der Aufmerksamkeit auf ihre Details zum vollen Genuß ihrer Schönheit gelangt war, der Abwendung von dem Gedanken an jene Schöpfung des Perikles und Phidias, um nicht irre zu werden. 44 *

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/355
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/355>, abgerufen am 22.07.2024.