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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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Das Letztere durch specielle Thatsachen näher darzuthun und dem im All¬
gemeinen aus dem Wesen der Sache Entwickelten die Erprobung durch die
Erfahrung beizugesellen, ist die Aufgabe der nächsten Abschnitte.




Die ChalifenstM am Nil.
3.
Charakter und Sitten der heutigen Kairener.

Wenn am Eingang dieser Schilderung Kairos behauptet wurde, der Ein¬
fluß , den Europa auf die Stadt geübt, sei ein geringer gewesen, so war da¬
mit zunächst nur das Aeußere gemeint, um daS es sich dort allein handelte.
Auf den Charakter, die Sitten, die Bildung der Kairener ist jener Einfluß von
wesentlicherer Wirkung gewesen, und namentlich die letzten Jahre haben, wenn
man frühere Darstellungen ägyptischer Zustände mit der Gegenwart vergleicht,
im guten wie im üblen Sinne vieles anders werden lassen. Im Allgemeinen
ist aber auch hier von dem Ursprünglichen mehr übrig geblieben, als man er¬
warten sollte. Nur in der Stellung der Franken zu den Eingebornen und in
Betreff der Art, wie das Land regiert und verwaltet wird, ist die Umwandlung
in die Tiefe gegangen. In den meisten andern Beziehungen scheint sie wenig
mehr als ein Firniß, der unter der afrikanischen Sonne bald allenthalben
Sprünge bekam, durch die nun das alte eingeborne Wesen hindurchblickt.

Die Hauptmasse der Bewohner Kairos besteht wie die Hauptmasse der Bewoh¬
ner ganz Aegyptens aus Arabern. Die Kopten d. h. die Nachkommen der alten
Aegypter, bilden höchstens ein Zehntel der Bevölkerung und werden mit einem
jeden Menschenalter auf ein noch geringeres Bruchtheil zusammenschwinden.
Die Türken, noch immer als die herrschende Classe zu betrachten und beiläufig
sehr verhaßt, dürften kaum ein Fünfzigste! der Einwohnerschaft der Haupt¬
stadt ausmachen. Auf dem Lande kommen sie lediglich als Soldaten und Be¬
amte vor. Ein Mißverständniß ist es, wenn man die Fellahin für Kopten hält.
Sie, die eigentlichen Bauern Aegyptens, sind vielmehr der großen Mehrzahl
nach ebenfalls arabischen Stammes und zwar, namentlich in den südlicheren
Theilen des Landes, meist erst unter Mehemed Ali seßhaft gewordene Bedui¬
nen, die bis in die neueste Zeit vieles von den Sitten deS Wüstenlebens be¬
wahrt haben.

In ihrer äußeren Erscheinung sind diese ägyptischen Araber im Allgemeinen
wohlgebildet. In einigen Dörfern begegnet man auffallend vielen hochgewachse¬
ne" und athletischen Gestalten. In Kairo dagegen sieht man nur selten Leute
über Mittelgröße. Die Männer sind in der Regel mager, aber ungemein nervig


Das Letztere durch specielle Thatsachen näher darzuthun und dem im All¬
gemeinen aus dem Wesen der Sache Entwickelten die Erprobung durch die
Erfahrung beizugesellen, ist die Aufgabe der nächsten Abschnitte.




Die ChalifenstM am Nil.
3.
Charakter und Sitten der heutigen Kairener.

Wenn am Eingang dieser Schilderung Kairos behauptet wurde, der Ein¬
fluß , den Europa auf die Stadt geübt, sei ein geringer gewesen, so war da¬
mit zunächst nur das Aeußere gemeint, um daS es sich dort allein handelte.
Auf den Charakter, die Sitten, die Bildung der Kairener ist jener Einfluß von
wesentlicherer Wirkung gewesen, und namentlich die letzten Jahre haben, wenn
man frühere Darstellungen ägyptischer Zustände mit der Gegenwart vergleicht,
im guten wie im üblen Sinne vieles anders werden lassen. Im Allgemeinen
ist aber auch hier von dem Ursprünglichen mehr übrig geblieben, als man er¬
warten sollte. Nur in der Stellung der Franken zu den Eingebornen und in
Betreff der Art, wie das Land regiert und verwaltet wird, ist die Umwandlung
in die Tiefe gegangen. In den meisten andern Beziehungen scheint sie wenig
mehr als ein Firniß, der unter der afrikanischen Sonne bald allenthalben
Sprünge bekam, durch die nun das alte eingeborne Wesen hindurchblickt.

Die Hauptmasse der Bewohner Kairos besteht wie die Hauptmasse der Bewoh¬
ner ganz Aegyptens aus Arabern. Die Kopten d. h. die Nachkommen der alten
Aegypter, bilden höchstens ein Zehntel der Bevölkerung und werden mit einem
jeden Menschenalter auf ein noch geringeres Bruchtheil zusammenschwinden.
Die Türken, noch immer als die herrschende Classe zu betrachten und beiläufig
sehr verhaßt, dürften kaum ein Fünfzigste! der Einwohnerschaft der Haupt¬
stadt ausmachen. Auf dem Lande kommen sie lediglich als Soldaten und Be¬
amte vor. Ein Mißverständniß ist es, wenn man die Fellahin für Kopten hält.
Sie, die eigentlichen Bauern Aegyptens, sind vielmehr der großen Mehrzahl
nach ebenfalls arabischen Stammes und zwar, namentlich in den südlicheren
Theilen des Landes, meist erst unter Mehemed Ali seßhaft gewordene Bedui¬
nen, die bis in die neueste Zeit vieles von den Sitten deS Wüstenlebens be¬
wahrt haben.

In ihrer äußeren Erscheinung sind diese ägyptischen Araber im Allgemeinen
wohlgebildet. In einigen Dörfern begegnet man auffallend vielen hochgewachse¬
ne» und athletischen Gestalten. In Kairo dagegen sieht man nur selten Leute
über Mittelgröße. Die Männer sind in der Regel mager, aber ungemein nervig


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[0460] Das Letztere durch specielle Thatsachen näher darzuthun und dem im All¬ gemeinen aus dem Wesen der Sache Entwickelten die Erprobung durch die Erfahrung beizugesellen, ist die Aufgabe der nächsten Abschnitte. Die ChalifenstM am Nil. 3. Charakter und Sitten der heutigen Kairener. Wenn am Eingang dieser Schilderung Kairos behauptet wurde, der Ein¬ fluß , den Europa auf die Stadt geübt, sei ein geringer gewesen, so war da¬ mit zunächst nur das Aeußere gemeint, um daS es sich dort allein handelte. Auf den Charakter, die Sitten, die Bildung der Kairener ist jener Einfluß von wesentlicherer Wirkung gewesen, und namentlich die letzten Jahre haben, wenn man frühere Darstellungen ägyptischer Zustände mit der Gegenwart vergleicht, im guten wie im üblen Sinne vieles anders werden lassen. Im Allgemeinen ist aber auch hier von dem Ursprünglichen mehr übrig geblieben, als man er¬ warten sollte. Nur in der Stellung der Franken zu den Eingebornen und in Betreff der Art, wie das Land regiert und verwaltet wird, ist die Umwandlung in die Tiefe gegangen. In den meisten andern Beziehungen scheint sie wenig mehr als ein Firniß, der unter der afrikanischen Sonne bald allenthalben Sprünge bekam, durch die nun das alte eingeborne Wesen hindurchblickt. Die Hauptmasse der Bewohner Kairos besteht wie die Hauptmasse der Bewoh¬ ner ganz Aegyptens aus Arabern. Die Kopten d. h. die Nachkommen der alten Aegypter, bilden höchstens ein Zehntel der Bevölkerung und werden mit einem jeden Menschenalter auf ein noch geringeres Bruchtheil zusammenschwinden. Die Türken, noch immer als die herrschende Classe zu betrachten und beiläufig sehr verhaßt, dürften kaum ein Fünfzigste! der Einwohnerschaft der Haupt¬ stadt ausmachen. Auf dem Lande kommen sie lediglich als Soldaten und Be¬ amte vor. Ein Mißverständniß ist es, wenn man die Fellahin für Kopten hält. Sie, die eigentlichen Bauern Aegyptens, sind vielmehr der großen Mehrzahl nach ebenfalls arabischen Stammes und zwar, namentlich in den südlicheren Theilen des Landes, meist erst unter Mehemed Ali seßhaft gewordene Bedui¬ nen, die bis in die neueste Zeit vieles von den Sitten deS Wüstenlebens be¬ wahrt haben. In ihrer äußeren Erscheinung sind diese ägyptischen Araber im Allgemeinen wohlgebildet. In einigen Dörfern begegnet man auffallend vielen hochgewachse¬ ne» und athletischen Gestalten. In Kairo dagegen sieht man nur selten Leute über Mittelgröße. Die Männer sind in der Regel mager, aber ungemein nervig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/460>, abgerufen am 29.06.2024.