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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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mer. Mit tiefem Kummer verfolgte er die wachsende Leidenschaft der beiden
Parteien, die eine gewaltsame Katastrophe verkündete. Hinter der Julirevo¬
lution sah er das Gespenst des Socialismus, und drückte sich vor seinen
Wählern stark genug darüber aus: "Die Revolutionen verkaufen theuer die
verheißenen Wohlthaten. Die Nachwelt wird darüber urtheilen, ob die unsere
unvermeidlich war." Entschiedener als seine Freunde folgte er im Wechsel der
Politischen Ereignisse den Eingebungen seines Gewissens. Als Guizot die
Preßfreiheit beschränkte, sagte er sich von seinem alten Schüler los, und als
die Koalition von 4 839 aus ehrgeizigen Zwecken alle bestehenden Organisa¬
tionen untergrub , sprach er in den härtesten Worten seine Verurtheilung aus.
Als sein Tod herankam (1843), drängte sich ihm schärfer alö früher der innere
Widerspruch in seinen religiösen Ueberzeugungen auf. Er erzog seine Kinder
in den Dogmen und in den Uebungen einer strengen Religion, aber er selbst
machte sie nicht mit. ^'al is, toi qui oroit, mais n'al pus la la qui voll;
eile est 8i prLeieuse, cetto lMs ein'it kauärait, aller 1a ckörener M8guf lZsns
los entrkillöZ 6s ig, terre. ^le sui8 PÄ8 tel ejno Is vouärÄi8 pour in'ap-
proeker cle 1'autel; 8i von1al8 x aller, tomberai8. Dennoch setzte er
auch hier, wie in allen übrigen Dingen, zuletzt seine Ueberzeugung ins Werk.
Er wollte sich der Ordnung, die er im Interesse des Ganzen verlangte, für
seine Person nicht entziehen und ließ sich die Sacramente ertheilen. Seine
letzten Worte waren: A n'^ a <Zari3 es irwnäs as 8vitae y.no 1s8 lave8 reU-
NLU8L8; N6 Is8 abanüonne^ MIUW8, on, si V0U8 en 8orde^> reritre/-^.


I. S.


Landleben in Livlnnd.

DaS unbehagliche Gefühl, welches jeden beschleicht, sobald der Schlagbaum
aw der russischen Grenze sich hinter ihm senkt und der Grenzkosak sich mit in
den Wagen setzt, ein Gefühl, welches sich während der langweiligen Fahrt durch
die düstern Fichtenwälder, die elenden Dörfer und die weiten Morastebenen
Litthauens fortwährend steigert und im Verein mit körperlicher Zerschlagenheit
infolge schlechter Wege und Wagen die Reise überaus unangenehm macht, ver¬
schwindet allmälig, wenn man die Dura erreicht hat und die alte Hansestadt
Riga vor sich sieht. Wer vom Vaterlande träumt und geweckt wird vom
Rasseln der Telega auf russischem Pflaster, der kann im ersten Augenblick sei¬
nen Traum verwirklicht glauben; hier sind wieder die engen, krummen Straßen
der östlichen Hauptstadt Preußens, alte deutsche Thürme, spitzgieblige Häuser,
alles massiv und wenig symmetrisch, mehr auf praktischen Nutzen und gemüth-


mer. Mit tiefem Kummer verfolgte er die wachsende Leidenschaft der beiden
Parteien, die eine gewaltsame Katastrophe verkündete. Hinter der Julirevo¬
lution sah er das Gespenst des Socialismus, und drückte sich vor seinen
Wählern stark genug darüber aus: „Die Revolutionen verkaufen theuer die
verheißenen Wohlthaten. Die Nachwelt wird darüber urtheilen, ob die unsere
unvermeidlich war." Entschiedener als seine Freunde folgte er im Wechsel der
Politischen Ereignisse den Eingebungen seines Gewissens. Als Guizot die
Preßfreiheit beschränkte, sagte er sich von seinem alten Schüler los, und als
die Koalition von 4 839 aus ehrgeizigen Zwecken alle bestehenden Organisa¬
tionen untergrub , sprach er in den härtesten Worten seine Verurtheilung aus.
Als sein Tod herankam (1843), drängte sich ihm schärfer alö früher der innere
Widerspruch in seinen religiösen Ueberzeugungen auf. Er erzog seine Kinder
in den Dogmen und in den Uebungen einer strengen Religion, aber er selbst
machte sie nicht mit. ^'al is, toi qui oroit, mais n'al pus la la qui voll;
eile est 8i prLeieuse, cetto lMs ein'it kauärait, aller 1a ckörener M8guf lZsns
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auch hier, wie in allen übrigen Dingen, zuletzt seine Ueberzeugung ins Werk.
Er wollte sich der Ordnung, die er im Interesse des Ganzen verlangte, für
seine Person nicht entziehen und ließ sich die Sacramente ertheilen. Seine
letzten Worte waren: A n'^ a <Zari3 es irwnäs as 8vitae y.no 1s8 lave8 reU-
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I. S.


Landleben in Livlnnd.

DaS unbehagliche Gefühl, welches jeden beschleicht, sobald der Schlagbaum
aw der russischen Grenze sich hinter ihm senkt und der Grenzkosak sich mit in
den Wagen setzt, ein Gefühl, welches sich während der langweiligen Fahrt durch
die düstern Fichtenwälder, die elenden Dörfer und die weiten Morastebenen
Litthauens fortwährend steigert und im Verein mit körperlicher Zerschlagenheit
infolge schlechter Wege und Wagen die Reise überaus unangenehm macht, ver¬
schwindet allmälig, wenn man die Dura erreicht hat und die alte Hansestadt
Riga vor sich sieht. Wer vom Vaterlande träumt und geweckt wird vom
Rasseln der Telega auf russischem Pflaster, der kann im ersten Augenblick sei¬
nen Traum verwirklicht glauben; hier sind wieder die engen, krummen Straßen
der östlichen Hauptstadt Preußens, alte deutsche Thürme, spitzgieblige Häuser,
alles massiv und wenig symmetrisch, mehr auf praktischen Nutzen und gemüth-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/311>, abgerufen am 22.07.2024.