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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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daß Bäuerinnen bei ihren Stadtwegen im Gehen stricken, wie man ihnen fast
allenthalben in Italien begegnet; in Florenz sieht man sie Hüte flechtend weite
Strecken wandern.

Um eine Summe zu ziehen, dürfen wir endlich nicht unbeachtet lassen,
daß es unter milden Himmelsstrichen schwerer hält als bei uns, Kranke und
Arme in Häusern festzuhalten. Das große Albergo bei poveri in Neapel ist
gewöhnlich bei weitem nicht gefüllt, weil sichs viel besser auf der Straße
lebt, als selbst in jenem schöngelegenen Wohlthätigkeitspalaste. Daß man
auch den vielen syphilitischen Kranken gestattet, sich dem Mitleiden aufzu¬
drängen, ist in keiner Weise zu rechtfertigen. Krüppeln und Armen aber
würde man durch das, was bei uns Wohlthat ist: -- Unterbringung in ge¬
schlossenen Räumen, das Dasein sehr verdüstern, denn alles lebt und webt ja
im Freien und selbst die Gefangenen bringt man gern in Räumen unter, wo
sie mit dem lebendigen Treiben draußen in stetem Zusammenhang bleiben.




Literatur.
Romane-

--4-Soldatengeschichten für d as Militär und seine Freunde.
Von F. W. Hackländer. Vierter Band. Stuttgart. Hallberger 18S7. --
Die kleinen Bilder machen durchweg einen heitern und wohlthuenden Eindruck.
Das Garnis^nieder, die militärischen Uebungen und was sonst dazu gehört, ist
mit jener Sachkenntniß und jener lebendigen Anschaulichkeit dargestellt, die Hack¬
länder so sehr vor den übrigen Genremalern auszeichnet. Wenn die in diesen
Rahmen eingewebten Liebesabenteuer weniger Interesse erregen, so treten sie doch
so bescheiden aus, daß sie nicht stören, und wenn die verschiedene" Figuren der
Handlung auch durch die Uniform etwas Gleichförmiges erhalten, so haben sie doch
immer so viel Physiognomie, daß mau sie leicht unterscheiden kann, und zeigen so
viel Behagen an ihrem Stand und an ihrer Thätigkeit, daß sie nicht blos für sich
selbst, sondern für den Soldatenstand im Allgemeinen Interesse erwecken. --

Der Armuth Leid und Glück. Roman von Julie Burow. Drei Bände.
Leipzig, BrockKans. 1837. -- Die Verfasserin hatte früher in jener leichten Gat¬
tung, die dem allgemeinen Lescbedürfniß entspricht, und die -mit Verstand und rich¬
tiger Empfindung dem wirklichen Leben seine guten Seiten abzugewinnen weiß.
Beifallswürdigcs geleistet. Mehr und mehr scheint aber der Geist der Mystcrien-
literatur Herr über sie geworden zu sein, und das vorliegende Buch können wir
nur als eine arge Verirrung beklagen. Eine solche Häufung von Verbrechen und
Schandthaten findet mau kaum bei E. Sue, und man wird hier nicht, wie bei die¬
sem Schriftsteller, durck) den Glanz der Phantasie geblendet. Wie eine gebildete
Frau an diesen wüsten Scenen des Elends, des Verbrechens, des Lasters und der
Verrücktheit Geschmack finden kann, ist unbegreiflich. Dem verzerrten Inhalt ent-


daß Bäuerinnen bei ihren Stadtwegen im Gehen stricken, wie man ihnen fast
allenthalben in Italien begegnet; in Florenz sieht man sie Hüte flechtend weite
Strecken wandern.

Um eine Summe zu ziehen, dürfen wir endlich nicht unbeachtet lassen,
daß es unter milden Himmelsstrichen schwerer hält als bei uns, Kranke und
Arme in Häusern festzuhalten. Das große Albergo bei poveri in Neapel ist
gewöhnlich bei weitem nicht gefüllt, weil sichs viel besser auf der Straße
lebt, als selbst in jenem schöngelegenen Wohlthätigkeitspalaste. Daß man
auch den vielen syphilitischen Kranken gestattet, sich dem Mitleiden aufzu¬
drängen, ist in keiner Weise zu rechtfertigen. Krüppeln und Armen aber
würde man durch das, was bei uns Wohlthat ist: — Unterbringung in ge¬
schlossenen Räumen, das Dasein sehr verdüstern, denn alles lebt und webt ja
im Freien und selbst die Gefangenen bringt man gern in Räumen unter, wo
sie mit dem lebendigen Treiben draußen in stetem Zusammenhang bleiben.




Literatur.
Romane-

—4-Soldatengeschichten für d as Militär und seine Freunde.
Von F. W. Hackländer. Vierter Band. Stuttgart. Hallberger 18S7. —
Die kleinen Bilder machen durchweg einen heitern und wohlthuenden Eindruck.
Das Garnis^nieder, die militärischen Uebungen und was sonst dazu gehört, ist
mit jener Sachkenntniß und jener lebendigen Anschaulichkeit dargestellt, die Hack¬
länder so sehr vor den übrigen Genremalern auszeichnet. Wenn die in diesen
Rahmen eingewebten Liebesabenteuer weniger Interesse erregen, so treten sie doch
so bescheiden aus, daß sie nicht stören, und wenn die verschiedene» Figuren der
Handlung auch durch die Uniform etwas Gleichförmiges erhalten, so haben sie doch
immer so viel Physiognomie, daß mau sie leicht unterscheiden kann, und zeigen so
viel Behagen an ihrem Stand und an ihrer Thätigkeit, daß sie nicht blos für sich
selbst, sondern für den Soldatenstand im Allgemeinen Interesse erwecken. —

Der Armuth Leid und Glück. Roman von Julie Burow. Drei Bände.
Leipzig, BrockKans. 1837. — Die Verfasserin hatte früher in jener leichten Gat¬
tung, die dem allgemeinen Lescbedürfniß entspricht, und die -mit Verstand und rich¬
tiger Empfindung dem wirklichen Leben seine guten Seiten abzugewinnen weiß.
Beifallswürdigcs geleistet. Mehr und mehr scheint aber der Geist der Mystcrien-
literatur Herr über sie geworden zu sein, und das vorliegende Buch können wir
nur als eine arge Verirrung beklagen. Eine solche Häufung von Verbrechen und
Schandthaten findet mau kaum bei E. Sue, und man wird hier nicht, wie bei die¬
sem Schriftsteller, durck) den Glanz der Phantasie geblendet. Wie eine gebildete
Frau an diesen wüsten Scenen des Elends, des Verbrechens, des Lasters und der
Verrücktheit Geschmack finden kann, ist unbegreiflich. Dem verzerrten Inhalt ent-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/86>, abgerufen am 27.07.2024.