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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Bilder aus Italien.
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Bettler und Mönche.

Callot pflegte ungern ein Bild zu malen, daS er nicht mit einem Erhäng¬
ten oder doch mit einem Galgen oder wenigstens mit einem Bettelmann
ausstatten konnte. Auf die beiden ersten Motive wird der italienische Maler
heut verzichten; der Bettelmann ist ihm geblieben und er darf ihn, ohne un¬
wahr zu sein, in italienischer Natur unterbringen wo er immer will. Dieses
Genre malerischer Staffage gewinnt an Bedeutung, wenn man die Proteus-
natur seiner Erscheinung beachtet. Es gibt in Italien wenig Stände, die sich
nicht auf irgend eine Art dem großen Bunde gesellt fühlen, der im Mittel¬
alter in den Dominicaner-, Franciscaner-, Karmeliter- und Augustinerbett¬
lerorden die katholische Weihe empfing. Durch das tägliche Beispiel dieser
heiligen Brüderschaften wird der modernen Strömung, die so manchen bequemen
Bettelmann schon von seinem Sitze fortriß und ins Arbeits- oder Besserungs-
haus schwemmte, ein Damm gesetzt. So fühlt sich denn der Bettler an Se.
Peters Pforten noch heutiges Tages nicht nur glücklicher "als wir in unserm
Norden;" er hat auch das wohlthuende Bewußtsein, auf kuren durchlöcherten
Rechtsboden zu sitzen. Erst jenseit der Alpen ist Jean Pauls Ausspruch eine
Art Wahrheit: Wenn man nichts weiter verlange als sorgenfrei zu leben und
ein hohes Alter zu erreichen, so müsse mau sich der Bettelzunst anschließen.

Das berühmteste dieser glücklichen Kinder Italiens, bei dessen Nennung
eine Menge Blicke sich mit Sehnsucht nach der Piazza ti Spagna zurückwen¬
den werden, ist Pepe. Wo die äamss <Zu 8acrv coeur ihre AveS singen, wenige
Schritte nur von ihrem Kloster und ihrer Kirche entfernt, auf einem der höchsten
Absätze der spanischen Treppe hat Pepe seinen Thron. Sein Blick schweift
über daS graue Häusermeer der ewigen Stadt nach der Kuppel des heiligen
Thürschließers hinüber, ruht sinnend auf der Rotonda des M. Agrippa, aus
dem "allen Göttern" geweihten Pantheon, streift ehrfurchtsvoll die Säule des
Kaisers Trajan. In der That, Pepe hat sich den günstigsten Platz in ganz
Rom erobert und würde selbst mit dem heiligen Vater schwerlich tauschen.
Während dieser alljährlich drei Monate aus der Flucht vor der Uria cattiva be¬
griffen ist und die übrigen neun Monate in der schon zu Tacitus Zeiten gemie¬
denen Tibernähe, im Vatican, zubringen muß, läßt Pepe fröhlich die kühle
Tramontana oder den frischen Ponente auf dem gesündesten Punkte Roms,
auf dem Monte Pincio, um seine vollen Wangen fächeln. Ohnehin hat er


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Bilder aus Italien.
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Bettler und Mönche.

Callot pflegte ungern ein Bild zu malen, daS er nicht mit einem Erhäng¬
ten oder doch mit einem Galgen oder wenigstens mit einem Bettelmann
ausstatten konnte. Auf die beiden ersten Motive wird der italienische Maler
heut verzichten; der Bettelmann ist ihm geblieben und er darf ihn, ohne un¬
wahr zu sein, in italienischer Natur unterbringen wo er immer will. Dieses
Genre malerischer Staffage gewinnt an Bedeutung, wenn man die Proteus-
natur seiner Erscheinung beachtet. Es gibt in Italien wenig Stände, die sich
nicht auf irgend eine Art dem großen Bunde gesellt fühlen, der im Mittel¬
alter in den Dominicaner-, Franciscaner-, Karmeliter- und Augustinerbett¬
lerorden die katholische Weihe empfing. Durch das tägliche Beispiel dieser
heiligen Brüderschaften wird der modernen Strömung, die so manchen bequemen
Bettelmann schon von seinem Sitze fortriß und ins Arbeits- oder Besserungs-
haus schwemmte, ein Damm gesetzt. So fühlt sich denn der Bettler an Se.
Peters Pforten noch heutiges Tages nicht nur glücklicher „als wir in unserm
Norden;" er hat auch das wohlthuende Bewußtsein, auf kuren durchlöcherten
Rechtsboden zu sitzen. Erst jenseit der Alpen ist Jean Pauls Ausspruch eine
Art Wahrheit: Wenn man nichts weiter verlange als sorgenfrei zu leben und
ein hohes Alter zu erreichen, so müsse mau sich der Bettelzunst anschließen.

Das berühmteste dieser glücklichen Kinder Italiens, bei dessen Nennung
eine Menge Blicke sich mit Sehnsucht nach der Piazza ti Spagna zurückwen¬
den werden, ist Pepe. Wo die äamss <Zu 8acrv coeur ihre AveS singen, wenige
Schritte nur von ihrem Kloster und ihrer Kirche entfernt, auf einem der höchsten
Absätze der spanischen Treppe hat Pepe seinen Thron. Sein Blick schweift
über daS graue Häusermeer der ewigen Stadt nach der Kuppel des heiligen
Thürschließers hinüber, ruht sinnend auf der Rotonda des M. Agrippa, aus
dem „allen Göttern" geweihten Pantheon, streift ehrfurchtsvoll die Säule des
Kaisers Trajan. In der That, Pepe hat sich den günstigsten Platz in ganz
Rom erobert und würde selbst mit dem heiligen Vater schwerlich tauschen.
Während dieser alljährlich drei Monate aus der Flucht vor der Uria cattiva be¬
griffen ist und die übrigen neun Monate in der schon zu Tacitus Zeiten gemie¬
denen Tibernähe, im Vatican, zubringen muß, läßt Pepe fröhlich die kühle
Tramontana oder den frischen Ponente auf dem gesündesten Punkte Roms,
auf dem Monte Pincio, um seine vollen Wangen fächeln. Ohnehin hat er


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[0073] Bilder aus Italien. ^ , ^ ^ > Bettler und Mönche. Callot pflegte ungern ein Bild zu malen, daS er nicht mit einem Erhäng¬ ten oder doch mit einem Galgen oder wenigstens mit einem Bettelmann ausstatten konnte. Auf die beiden ersten Motive wird der italienische Maler heut verzichten; der Bettelmann ist ihm geblieben und er darf ihn, ohne un¬ wahr zu sein, in italienischer Natur unterbringen wo er immer will. Dieses Genre malerischer Staffage gewinnt an Bedeutung, wenn man die Proteus- natur seiner Erscheinung beachtet. Es gibt in Italien wenig Stände, die sich nicht auf irgend eine Art dem großen Bunde gesellt fühlen, der im Mittel¬ alter in den Dominicaner-, Franciscaner-, Karmeliter- und Augustinerbett¬ lerorden die katholische Weihe empfing. Durch das tägliche Beispiel dieser heiligen Brüderschaften wird der modernen Strömung, die so manchen bequemen Bettelmann schon von seinem Sitze fortriß und ins Arbeits- oder Besserungs- haus schwemmte, ein Damm gesetzt. So fühlt sich denn der Bettler an Se. Peters Pforten noch heutiges Tages nicht nur glücklicher „als wir in unserm Norden;" er hat auch das wohlthuende Bewußtsein, auf kuren durchlöcherten Rechtsboden zu sitzen. Erst jenseit der Alpen ist Jean Pauls Ausspruch eine Art Wahrheit: Wenn man nichts weiter verlange als sorgenfrei zu leben und ein hohes Alter zu erreichen, so müsse mau sich der Bettelzunst anschließen. Das berühmteste dieser glücklichen Kinder Italiens, bei dessen Nennung eine Menge Blicke sich mit Sehnsucht nach der Piazza ti Spagna zurückwen¬ den werden, ist Pepe. Wo die äamss <Zu 8acrv coeur ihre AveS singen, wenige Schritte nur von ihrem Kloster und ihrer Kirche entfernt, auf einem der höchsten Absätze der spanischen Treppe hat Pepe seinen Thron. Sein Blick schweift über daS graue Häusermeer der ewigen Stadt nach der Kuppel des heiligen Thürschließers hinüber, ruht sinnend auf der Rotonda des M. Agrippa, aus dem „allen Göttern" geweihten Pantheon, streift ehrfurchtsvoll die Säule des Kaisers Trajan. In der That, Pepe hat sich den günstigsten Platz in ganz Rom erobert und würde selbst mit dem heiligen Vater schwerlich tauschen. Während dieser alljährlich drei Monate aus der Flucht vor der Uria cattiva be¬ griffen ist und die übrigen neun Monate in der schon zu Tacitus Zeiten gemie¬ denen Tibernähe, im Vatican, zubringen muß, läßt Pepe fröhlich die kühle Tramontana oder den frischen Ponente auf dem gesündesten Punkte Roms, auf dem Monte Pincio, um seine vollen Wangen fächeln. Ohnehin hat er Grenzboten. II. 48ö7. 9

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/73>, abgerufen am 01.09.2024.