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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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mal todt ist , der wird wol todt bleiben und nicht wieder auferstehen. -- Mord¬
thaten sind an der Tagesordnung, grade wie in der allerneusten Zeit; auch
kommen vielfache Brandstiftungen vor, wofür die Thäter zu Tode "geschmauchet"
werben. -- Höchst charakteristisch ist folgende Anekdote. Anno 1657 will ein
geiziger Mann zu Blumenstein seinen Weizen verkaufen, und da er nicht so
viel erhält, als er wol verhofft hat, geht er auf den Söller -- und erhenkt
sich. Heinel erzählt, eine weitläufige Verwandtin habe am Anfange dieses
Jahrhunderts seine Mutter einmal um Rath gefragt, welches Silbergeräth sie
sich wol noch anschaffen könne, da sie bereits Kaffee-, Thee- und Tischgeschirr
aus Silber besäße, ja selbst die Verzierungen ihres Wagens und der Pferde¬
geschirre aus diesem edlen Metalle beständen. Als die Gefragte keine Ant¬
wort zugeben wußte, ging sie hin und bestellte sich silberne -- Spucknäpfe.




John Mlcheli Kemble.

In seinem "Alterthümler" hat W.Scott ein Charaktergemälde entworfen,
dem man, obgleich eS nur den Typus einer bestimmten Culturperiove vertritt,
dennoch schon jetzt daS Prädicat der Unsterblichkeit geben kann. Man ist
durch den Alkohol der modernen Literatur gegen die gesunde Nahrung
W. Scotts einigermaßen abgestumpft, aber wenn man sich einmal entschließt, den
alten Freund wieder ins Auge zu fassen, so übt er doch immer den alten
Zauber aus. Die Classe der Oldbucks besteht noch immer, im Wesentlichen auch
noch mit denselben Zügen, mit derselben Physiognomie, nur ist in der Be¬
deutung derselben für die Wissenschaft seit der letzten Generation eine erheb¬
liche Veränderung eingetreten. DaS zerstreute Wirken der Alterthümler und
ihre Liebhaberei für Curiositäten ist jetzt durch eine strenge Disciplin, durch
ein klares Festhalten des Zwecks und durch eine untrügliche Methode geregelt,
und sie gehören zu den vorzüglichsten Stützen der Wissenschaft. Der Fürst
dieses Geschlechts, der allen Nationen Gesetze gegeben hat, ist unser Jakob
Grimm; eine der interessantesten Figuren aber aus seinem Gefolge und die
Zugleich am lebhaftesten an den Typus W. Scotts erinnert, ist der aus¬
gezeichnete Gelehrte, der im März d. I. seinen zahlreichen Freunden und der
Wissenschaft durch einen frühzeitigen Tod entrissen ist.

John Mitchell Kemble, geboren 1807 zu London, ist der Sohn eines der
berühmtesten englischen Schauspieler, Seine erste Erziehung -schien ihn nicht
zur strengen Gelehrsamkeit, sondern zur freien Stellung eines Weltmannes
vorzubereiten. Der Knabe fand in dem Hause seines Vaters die geistvollste
Gesellschaft der Hauptstadt versammelt und wurde durch seine lebhafte Auf-


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mal todt ist , der wird wol todt bleiben und nicht wieder auferstehen. — Mord¬
thaten sind an der Tagesordnung, grade wie in der allerneusten Zeit; auch
kommen vielfache Brandstiftungen vor, wofür die Thäter zu Tode „geschmauchet"
werben. — Höchst charakteristisch ist folgende Anekdote. Anno 1657 will ein
geiziger Mann zu Blumenstein seinen Weizen verkaufen, und da er nicht so
viel erhält, als er wol verhofft hat, geht er auf den Söller — und erhenkt
sich. Heinel erzählt, eine weitläufige Verwandtin habe am Anfange dieses
Jahrhunderts seine Mutter einmal um Rath gefragt, welches Silbergeräth sie
sich wol noch anschaffen könne, da sie bereits Kaffee-, Thee- und Tischgeschirr
aus Silber besäße, ja selbst die Verzierungen ihres Wagens und der Pferde¬
geschirre aus diesem edlen Metalle beständen. Als die Gefragte keine Ant¬
wort zugeben wußte, ging sie hin und bestellte sich silberne — Spucknäpfe.




John Mlcheli Kemble.

In seinem „Alterthümler" hat W.Scott ein Charaktergemälde entworfen,
dem man, obgleich eS nur den Typus einer bestimmten Culturperiove vertritt,
dennoch schon jetzt daS Prädicat der Unsterblichkeit geben kann. Man ist
durch den Alkohol der modernen Literatur gegen die gesunde Nahrung
W. Scotts einigermaßen abgestumpft, aber wenn man sich einmal entschließt, den
alten Freund wieder ins Auge zu fassen, so übt er doch immer den alten
Zauber aus. Die Classe der Oldbucks besteht noch immer, im Wesentlichen auch
noch mit denselben Zügen, mit derselben Physiognomie, nur ist in der Be¬
deutung derselben für die Wissenschaft seit der letzten Generation eine erheb¬
liche Veränderung eingetreten. DaS zerstreute Wirken der Alterthümler und
ihre Liebhaberei für Curiositäten ist jetzt durch eine strenge Disciplin, durch
ein klares Festhalten des Zwecks und durch eine untrügliche Methode geregelt,
und sie gehören zu den vorzüglichsten Stützen der Wissenschaft. Der Fürst
dieses Geschlechts, der allen Nationen Gesetze gegeben hat, ist unser Jakob
Grimm; eine der interessantesten Figuren aber aus seinem Gefolge und die
Zugleich am lebhaftesten an den Typus W. Scotts erinnert, ist der aus¬
gezeichnete Gelehrte, der im März d. I. seinen zahlreichen Freunden und der
Wissenschaft durch einen frühzeitigen Tod entrissen ist.

John Mitchell Kemble, geboren 1807 zu London, ist der Sohn eines der
berühmtesten englischen Schauspieler, Seine erste Erziehung -schien ihn nicht
zur strengen Gelehrsamkeit, sondern zur freien Stellung eines Weltmannes
vorzubereiten. Der Knabe fand in dem Hause seines Vaters die geistvollste
Gesellschaft der Hauptstadt versammelt und wurde durch seine lebhafte Auf-


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[0443] mal todt ist , der wird wol todt bleiben und nicht wieder auferstehen. — Mord¬ thaten sind an der Tagesordnung, grade wie in der allerneusten Zeit; auch kommen vielfache Brandstiftungen vor, wofür die Thäter zu Tode „geschmauchet" werben. — Höchst charakteristisch ist folgende Anekdote. Anno 1657 will ein geiziger Mann zu Blumenstein seinen Weizen verkaufen, und da er nicht so viel erhält, als er wol verhofft hat, geht er auf den Söller — und erhenkt sich. Heinel erzählt, eine weitläufige Verwandtin habe am Anfange dieses Jahrhunderts seine Mutter einmal um Rath gefragt, welches Silbergeräth sie sich wol noch anschaffen könne, da sie bereits Kaffee-, Thee- und Tischgeschirr aus Silber besäße, ja selbst die Verzierungen ihres Wagens und der Pferde¬ geschirre aus diesem edlen Metalle beständen. Als die Gefragte keine Ant¬ wort zugeben wußte, ging sie hin und bestellte sich silberne — Spucknäpfe. John Mlcheli Kemble. In seinem „Alterthümler" hat W.Scott ein Charaktergemälde entworfen, dem man, obgleich eS nur den Typus einer bestimmten Culturperiove vertritt, dennoch schon jetzt daS Prädicat der Unsterblichkeit geben kann. Man ist durch den Alkohol der modernen Literatur gegen die gesunde Nahrung W. Scotts einigermaßen abgestumpft, aber wenn man sich einmal entschließt, den alten Freund wieder ins Auge zu fassen, so übt er doch immer den alten Zauber aus. Die Classe der Oldbucks besteht noch immer, im Wesentlichen auch noch mit denselben Zügen, mit derselben Physiognomie, nur ist in der Be¬ deutung derselben für die Wissenschaft seit der letzten Generation eine erheb¬ liche Veränderung eingetreten. DaS zerstreute Wirken der Alterthümler und ihre Liebhaberei für Curiositäten ist jetzt durch eine strenge Disciplin, durch ein klares Festhalten des Zwecks und durch eine untrügliche Methode geregelt, und sie gehören zu den vorzüglichsten Stützen der Wissenschaft. Der Fürst dieses Geschlechts, der allen Nationen Gesetze gegeben hat, ist unser Jakob Grimm; eine der interessantesten Figuren aber aus seinem Gefolge und die Zugleich am lebhaftesten an den Typus W. Scotts erinnert, ist der aus¬ gezeichnete Gelehrte, der im März d. I. seinen zahlreichen Freunden und der Wissenschaft durch einen frühzeitigen Tod entrissen ist. John Mitchell Kemble, geboren 1807 zu London, ist der Sohn eines der berühmtesten englischen Schauspieler, Seine erste Erziehung -schien ihn nicht zur strengen Gelehrsamkeit, sondern zur freien Stellung eines Weltmannes vorzubereiten. Der Knabe fand in dem Hause seines Vaters die geistvollste Gesellschaft der Hauptstadt versammelt und wurde durch seine lebhafte Auf- SS"'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/443>, abgerufen am 01.09.2024.