Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

einem Wort, Originale. Originale aber gehören ins Lustspiel oder in den
Roman, nicht in die Tragödie, wenigstens nicht als Hauptperson. --

Die letzten Messenier, Trauerspiel in fünf Acten von Guido Conrad. -Wien,
Gerold. --

Der Gegenstand des Dramas ist folgender. Das spartanische Heer geräth
in Gefahr, der Feldherr desselben, Phileros, bietet denjenigen Heloten, welche
sich dem Kampf anschließen wollen, die Freiheit an. Wider sein Erwarten
melden sich sämmtliche Heloten, veranlaßt durch Alkidas, den letzten Sproß
des messenischen Königsgeschlechts. Phileros in dem Bewußtsein, seinem
Vaterlande durch diesen Schritt Schande gebracht zu haben, legt seine Würde
nieder und läßt sich von einem Sklaven todten. Der spartanische Senat ist in
Verlegenheit, was er mit den Heloten, die unter AlkidaS Anführung bewaffnet
ihm gegenüberstehen, anfangen soll. Es findet sich ein Mittel. Palmene, die
Witwe deS Phileros, die den tapfern Heloten schon früher still geliebt, bietet dem
AlkidaS ihre Hand und zugleich daS spartanische Bürgerrecht an, wenn er sich
von den Heloten trennen wolle. Er schlägt es aus und erklärt, er wolle sich
die Hand der Frau, die er gleichfalls liebt, im Kampf erringen. Es finden
neue Unterhandlungen statt, man bietet den Heloten die Auswanderung an;
sie schlagen es aus, und der Krieg wird nun ein Vernichtungskrieg. Inzwischen
hat Palmene in dem Gefühl, sich compromittirt zu haben, den Tod des Al¬
kidaS beschlossen. Sie verlockt ihn in einen Hinterhalt, wo er umgebracht
wird, liefert sich aber selbst als Mörderin den Feinden aus, um hingerichtet zu
werden.

Der Einfluß Hebbels auf den talentvollen jungen Dichter macht sich un¬
verkennbar geltend; nicht in der Sprache, denn diese gehört ganz der östreichi¬
schen Schule an, die sich im Wesentlichen nach Schiller gebildet hat, sie ist
vorwiegend rhetorisch, und einzelne Stellen sind von einer wahrhaft edlen und
schönen Beredtsamkeit, sondern einmal in der Anlage der Fabel, und nament¬
lich in dem Schluß, der in extremster Weise an Hebbel erinnert, sodann in der
Bildung der Charaktere. So ist z. B. Palmene ursprünglich in der Weise der
Marianne und Rhodope erfunden. Freilich besitzt der Dichter nicht die Sprövigkeit
und Härte der Empfindung, "diese Anlage folgerichtig durchzuführen. Ganz in der
Weise Hebbels ist sowol das Spartanerthum wie das Helotenthum in seiner höch¬
sten Steigerung durch zwei Schwärmer oder Verrückte dargestellt, die sich auf eine
ähnliche Weise bewegen, wie die betreffenden Figuren in der Judith und dem
Herodes. -- Wenn der Dichter das schöne Talent, das sich dies Mal nur in
einzelnen Stellen geltend macht, ausbilden will,, so wird er sich zunächst Strenge
in der Composition aneignen müssen; er wird, selbst auf die Gefahr hin, in
das Schematische zu verfallen, sich streng den wesentlichen und nothwendigen


einem Wort, Originale. Originale aber gehören ins Lustspiel oder in den
Roman, nicht in die Tragödie, wenigstens nicht als Hauptperson. —

Die letzten Messenier, Trauerspiel in fünf Acten von Guido Conrad. -Wien,
Gerold. —

Der Gegenstand des Dramas ist folgender. Das spartanische Heer geräth
in Gefahr, der Feldherr desselben, Phileros, bietet denjenigen Heloten, welche
sich dem Kampf anschließen wollen, die Freiheit an. Wider sein Erwarten
melden sich sämmtliche Heloten, veranlaßt durch Alkidas, den letzten Sproß
des messenischen Königsgeschlechts. Phileros in dem Bewußtsein, seinem
Vaterlande durch diesen Schritt Schande gebracht zu haben, legt seine Würde
nieder und läßt sich von einem Sklaven todten. Der spartanische Senat ist in
Verlegenheit, was er mit den Heloten, die unter AlkidaS Anführung bewaffnet
ihm gegenüberstehen, anfangen soll. Es findet sich ein Mittel. Palmene, die
Witwe deS Phileros, die den tapfern Heloten schon früher still geliebt, bietet dem
AlkidaS ihre Hand und zugleich daS spartanische Bürgerrecht an, wenn er sich
von den Heloten trennen wolle. Er schlägt es aus und erklärt, er wolle sich
die Hand der Frau, die er gleichfalls liebt, im Kampf erringen. Es finden
neue Unterhandlungen statt, man bietet den Heloten die Auswanderung an;
sie schlagen es aus, und der Krieg wird nun ein Vernichtungskrieg. Inzwischen
hat Palmene in dem Gefühl, sich compromittirt zu haben, den Tod des Al¬
kidaS beschlossen. Sie verlockt ihn in einen Hinterhalt, wo er umgebracht
wird, liefert sich aber selbst als Mörderin den Feinden aus, um hingerichtet zu
werden.

Der Einfluß Hebbels auf den talentvollen jungen Dichter macht sich un¬
verkennbar geltend; nicht in der Sprache, denn diese gehört ganz der östreichi¬
schen Schule an, die sich im Wesentlichen nach Schiller gebildet hat, sie ist
vorwiegend rhetorisch, und einzelne Stellen sind von einer wahrhaft edlen und
schönen Beredtsamkeit, sondern einmal in der Anlage der Fabel, und nament¬
lich in dem Schluß, der in extremster Weise an Hebbel erinnert, sodann in der
Bildung der Charaktere. So ist z. B. Palmene ursprünglich in der Weise der
Marianne und Rhodope erfunden. Freilich besitzt der Dichter nicht die Sprövigkeit
und Härte der Empfindung, »diese Anlage folgerichtig durchzuführen. Ganz in der
Weise Hebbels ist sowol das Spartanerthum wie das Helotenthum in seiner höch¬
sten Steigerung durch zwei Schwärmer oder Verrückte dargestellt, die sich auf eine
ähnliche Weise bewegen, wie die betreffenden Figuren in der Judith und dem
Herodes. — Wenn der Dichter das schöne Talent, das sich dies Mal nur in
einzelnen Stellen geltend macht, ausbilden will,, so wird er sich zunächst Strenge
in der Composition aneignen müssen; er wird, selbst auf die Gefahr hin, in
das Schematische zu verfallen, sich streng den wesentlichen und nothwendigen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0463" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101456"/>
          <p xml:id="ID_1387" prev="#ID_1386"> einem Wort, Originale. Originale aber gehören ins Lustspiel oder in den<lb/>
Roman, nicht in die Tragödie, wenigstens nicht als Hauptperson. &#x2014;</p><lb/>
          <div n="2">
            <head> Die letzten Messenier, Trauerspiel in fünf Acten von Guido Conrad. -Wien,<lb/>
Gerold. &#x2014;</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1388"> Der Gegenstand des Dramas ist folgender. Das spartanische Heer geräth<lb/>
in Gefahr, der Feldherr desselben, Phileros, bietet denjenigen Heloten, welche<lb/>
sich dem Kampf anschließen wollen, die Freiheit an. Wider sein Erwarten<lb/>
melden sich sämmtliche Heloten, veranlaßt durch Alkidas, den letzten Sproß<lb/>
des messenischen Königsgeschlechts. Phileros in dem Bewußtsein, seinem<lb/>
Vaterlande durch diesen Schritt Schande gebracht zu haben, legt seine Würde<lb/>
nieder und läßt sich von einem Sklaven todten. Der spartanische Senat ist in<lb/>
Verlegenheit, was er mit den Heloten, die unter AlkidaS Anführung bewaffnet<lb/>
ihm gegenüberstehen, anfangen soll. Es findet sich ein Mittel. Palmene, die<lb/>
Witwe deS Phileros, die den tapfern Heloten schon früher still geliebt, bietet dem<lb/>
AlkidaS ihre Hand und zugleich daS spartanische Bürgerrecht an, wenn er sich<lb/>
von den Heloten trennen wolle. Er schlägt es aus und erklärt, er wolle sich<lb/>
die Hand der Frau, die er gleichfalls liebt, im Kampf erringen. Es finden<lb/>
neue Unterhandlungen statt, man bietet den Heloten die Auswanderung an;<lb/>
sie schlagen es aus, und der Krieg wird nun ein Vernichtungskrieg. Inzwischen<lb/>
hat Palmene in dem Gefühl, sich compromittirt zu haben, den Tod des Al¬<lb/>
kidaS beschlossen. Sie verlockt ihn in einen Hinterhalt, wo er umgebracht<lb/>
wird, liefert sich aber selbst als Mörderin den Feinden aus, um hingerichtet zu<lb/>
werden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1389" next="#ID_1390"> Der Einfluß Hebbels auf den talentvollen jungen Dichter macht sich un¬<lb/>
verkennbar geltend; nicht in der Sprache, denn diese gehört ganz der östreichi¬<lb/>
schen Schule an, die sich im Wesentlichen nach Schiller gebildet hat, sie ist<lb/>
vorwiegend rhetorisch, und einzelne Stellen sind von einer wahrhaft edlen und<lb/>
schönen Beredtsamkeit, sondern einmal in der Anlage der Fabel, und nament¬<lb/>
lich in dem Schluß, der in extremster Weise an Hebbel erinnert, sodann in der<lb/>
Bildung der Charaktere. So ist z. B. Palmene ursprünglich in der Weise der<lb/>
Marianne und Rhodope erfunden. Freilich besitzt der Dichter nicht die Sprövigkeit<lb/>
und Härte der Empfindung, »diese Anlage folgerichtig durchzuführen. Ganz in der<lb/>
Weise Hebbels ist sowol das Spartanerthum wie das Helotenthum in seiner höch¬<lb/>
sten Steigerung durch zwei Schwärmer oder Verrückte dargestellt, die sich auf eine<lb/>
ähnliche Weise bewegen, wie die betreffenden Figuren in der Judith und dem<lb/>
Herodes. &#x2014; Wenn der Dichter das schöne Talent, das sich dies Mal nur in<lb/>
einzelnen Stellen geltend macht, ausbilden will,, so wird er sich zunächst Strenge<lb/>
in der Composition aneignen müssen; er wird, selbst auf die Gefahr hin, in<lb/>
das Schematische zu verfallen, sich streng den wesentlichen und nothwendigen</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0463] einem Wort, Originale. Originale aber gehören ins Lustspiel oder in den Roman, nicht in die Tragödie, wenigstens nicht als Hauptperson. — Die letzten Messenier, Trauerspiel in fünf Acten von Guido Conrad. -Wien, Gerold. — Der Gegenstand des Dramas ist folgender. Das spartanische Heer geräth in Gefahr, der Feldherr desselben, Phileros, bietet denjenigen Heloten, welche sich dem Kampf anschließen wollen, die Freiheit an. Wider sein Erwarten melden sich sämmtliche Heloten, veranlaßt durch Alkidas, den letzten Sproß des messenischen Königsgeschlechts. Phileros in dem Bewußtsein, seinem Vaterlande durch diesen Schritt Schande gebracht zu haben, legt seine Würde nieder und läßt sich von einem Sklaven todten. Der spartanische Senat ist in Verlegenheit, was er mit den Heloten, die unter AlkidaS Anführung bewaffnet ihm gegenüberstehen, anfangen soll. Es findet sich ein Mittel. Palmene, die Witwe deS Phileros, die den tapfern Heloten schon früher still geliebt, bietet dem AlkidaS ihre Hand und zugleich daS spartanische Bürgerrecht an, wenn er sich von den Heloten trennen wolle. Er schlägt es aus und erklärt, er wolle sich die Hand der Frau, die er gleichfalls liebt, im Kampf erringen. Es finden neue Unterhandlungen statt, man bietet den Heloten die Auswanderung an; sie schlagen es aus, und der Krieg wird nun ein Vernichtungskrieg. Inzwischen hat Palmene in dem Gefühl, sich compromittirt zu haben, den Tod des Al¬ kidaS beschlossen. Sie verlockt ihn in einen Hinterhalt, wo er umgebracht wird, liefert sich aber selbst als Mörderin den Feinden aus, um hingerichtet zu werden. Der Einfluß Hebbels auf den talentvollen jungen Dichter macht sich un¬ verkennbar geltend; nicht in der Sprache, denn diese gehört ganz der östreichi¬ schen Schule an, die sich im Wesentlichen nach Schiller gebildet hat, sie ist vorwiegend rhetorisch, und einzelne Stellen sind von einer wahrhaft edlen und schönen Beredtsamkeit, sondern einmal in der Anlage der Fabel, und nament¬ lich in dem Schluß, der in extremster Weise an Hebbel erinnert, sodann in der Bildung der Charaktere. So ist z. B. Palmene ursprünglich in der Weise der Marianne und Rhodope erfunden. Freilich besitzt der Dichter nicht die Sprövigkeit und Härte der Empfindung, »diese Anlage folgerichtig durchzuführen. Ganz in der Weise Hebbels ist sowol das Spartanerthum wie das Helotenthum in seiner höch¬ sten Steigerung durch zwei Schwärmer oder Verrückte dargestellt, die sich auf eine ähnliche Weise bewegen, wie die betreffenden Figuren in der Judith und dem Herodes. — Wenn der Dichter das schöne Talent, das sich dies Mal nur in einzelnen Stellen geltend macht, ausbilden will,, so wird er sich zunächst Strenge in der Composition aneignen müssen; er wird, selbst auf die Gefahr hin, in das Schematische zu verfallen, sich streng den wesentlichen und nothwendigen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/463
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/463>, abgerufen am 23.07.2024.