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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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war eine der wesentlichsten Aufgaben der gothaischen Partei, zwischen der
Aristokratie und Demokratie eine Vermittlung zu suchen, und das Zweckmä¬
ßige der einen wie der andern Seite zur Geltung zu bringen. Eine solche
Vermittlung wird unmöglich, sobald die eine Partei sich zur Doctrin abrun¬
det und alle praktischen Rücksichten bei Seite setzt. Der Abgeordnete Wagener
äußerte einmal, im preußischen Staat sei so lange etwas faul, als noch ir¬
gend ein Abgeordneter auf der linken Seite säße. Nun werden sich allerdings
Mittel und Wege finden lassen, bei einer etwaigen neuen Wahlordnung auch
dieses Ziel zu erreichen; aber es wird für die Partei kein Glück sein, wenn
sie das Haus allein ausfüllt. Sie läßt sich durch das gegenwärtige Wahl-
resultät über die Stärke ihrer Gegner täuschen. Es ist in diesen Blättern be¬
reits auf die Theilnahme hingewiesen, welche die neue historische Literatur bei
dem gebildeten Publicum findet; es ist darauf hingewiesen, daß diese Literatur
fast durchweg in Einem Sinn geschrieben ist, und daß dieser Sinn mit dem
parlamentarischen Wirken unserer Partei übereinkommt. Jene Theilnahme ist
einmal das Zeichen einer schon vorhandenen Gesinnung, sodann aber ein mäch¬
tiges Motiv zur Stärkung derselben. Es könnte, leicht dahin kommen, daß,
wenn es der Rechten gelingt, das Haus vollständig zu epuriren, sie nirgend
anders mehr vertreten ist, als in diesem Hause, und wenn dann, durch den
zu straff gespannten Bogen der Reaction erbittert, das Bürgerthum auch mit
seinen Ansprüchen rücksichtslos hervortritt, so dürfte der Kampf doch wol ein
sehr ungleicher werden.

Wider meinen eigentlichen Vorsatz habe ich. mich doch bei der Darstellung
einer politischen Versammlung der politischen Betrachtungen nicht erwehren
können. Ich verspreche, diesen Fehler in meinem nächsten Bericht wieder gut
zu machen und mich lediglich auf die äußere Physiognomie des hohen Hauses
zu beschränken.


Nachtrag der Redaction.

-- Die Episode mit dem Grafen Pfeil in
den letzten Tagen hat gezeigt, daß die Theorie von der Souveränetät der
Rittergutsbesitzer, wenn sie mit-ihren Consequenzen völlig ungescheut auftritt,
den Principien einer geordneten Regierung, welcher Parteifarbe diese auch
sonst angehören möge, unbedingt widerspricht. Daß ein Stand gradezu über
dem Gesetz stehen soll, kann keine Negierung zugeben, und daß auch das ge¬
genwärtige preußische Ministerium seine entschiedenste Mißbilligung aussprechen
würde, wenn- ein Angehöriger dieses Standes sich öffentlich rühmt, daS Straf¬
gesetz systematisch verletzt zu haben, daran haben wir nie gezweifelt. Erfreu¬
licher ist, daß auch die Kreuzzeitung einigen Schreck über die Consequenzen
ihres Princips ausspricht; möchte sie doch recht oft Gelegenheit dazu erhalten.
Ein <znk",ut terridls ist zuweilen ein recht zweckmäßiger Bestandtheil einer Partei.




war eine der wesentlichsten Aufgaben der gothaischen Partei, zwischen der
Aristokratie und Demokratie eine Vermittlung zu suchen, und das Zweckmä¬
ßige der einen wie der andern Seite zur Geltung zu bringen. Eine solche
Vermittlung wird unmöglich, sobald die eine Partei sich zur Doctrin abrun¬
det und alle praktischen Rücksichten bei Seite setzt. Der Abgeordnete Wagener
äußerte einmal, im preußischen Staat sei so lange etwas faul, als noch ir¬
gend ein Abgeordneter auf der linken Seite säße. Nun werden sich allerdings
Mittel und Wege finden lassen, bei einer etwaigen neuen Wahlordnung auch
dieses Ziel zu erreichen; aber es wird für die Partei kein Glück sein, wenn
sie das Haus allein ausfüllt. Sie läßt sich durch das gegenwärtige Wahl-
resultät über die Stärke ihrer Gegner täuschen. Es ist in diesen Blättern be¬
reits auf die Theilnahme hingewiesen, welche die neue historische Literatur bei
dem gebildeten Publicum findet; es ist darauf hingewiesen, daß diese Literatur
fast durchweg in Einem Sinn geschrieben ist, und daß dieser Sinn mit dem
parlamentarischen Wirken unserer Partei übereinkommt. Jene Theilnahme ist
einmal das Zeichen einer schon vorhandenen Gesinnung, sodann aber ein mäch¬
tiges Motiv zur Stärkung derselben. Es könnte, leicht dahin kommen, daß,
wenn es der Rechten gelingt, das Haus vollständig zu epuriren, sie nirgend
anders mehr vertreten ist, als in diesem Hause, und wenn dann, durch den
zu straff gespannten Bogen der Reaction erbittert, das Bürgerthum auch mit
seinen Ansprüchen rücksichtslos hervortritt, so dürfte der Kampf doch wol ein
sehr ungleicher werden.

Wider meinen eigentlichen Vorsatz habe ich. mich doch bei der Darstellung
einer politischen Versammlung der politischen Betrachtungen nicht erwehren
können. Ich verspreche, diesen Fehler in meinem nächsten Bericht wieder gut
zu machen und mich lediglich auf die äußere Physiognomie des hohen Hauses
zu beschränken.


Nachtrag der Redaction.

— Die Episode mit dem Grafen Pfeil in
den letzten Tagen hat gezeigt, daß die Theorie von der Souveränetät der
Rittergutsbesitzer, wenn sie mit-ihren Consequenzen völlig ungescheut auftritt,
den Principien einer geordneten Regierung, welcher Parteifarbe diese auch
sonst angehören möge, unbedingt widerspricht. Daß ein Stand gradezu über
dem Gesetz stehen soll, kann keine Negierung zugeben, und daß auch das ge¬
genwärtige preußische Ministerium seine entschiedenste Mißbilligung aussprechen
würde, wenn- ein Angehöriger dieses Standes sich öffentlich rühmt, daS Straf¬
gesetz systematisch verletzt zu haben, daran haben wir nie gezweifelt. Erfreu¬
licher ist, daß auch die Kreuzzeitung einigen Schreck über die Consequenzen
ihres Princips ausspricht; möchte sie doch recht oft Gelegenheit dazu erhalten.
Ein <znk»,ut terridls ist zuweilen ein recht zweckmäßiger Bestandtheil einer Partei.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/382>, abgerufen am 23.07.2024.