Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.Korrespondenzen. Aus Konstantinopel, -- Der letztvergangene Dienstag (7. August) Grenzboten. III. -I85S. 80
Korrespondenzen. Aus Konstantinopel, — Der letztvergangene Dienstag (7. August) Grenzboten. III. -I85S. 80
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Korrespondenzen.
Aus Konstantinopel, — Der letztvergangene Dienstag (7. August)
war durch ein schweres Gewitter ausgezeichnet, wie in dieser Stärke nicht nur
im gegenwärtigen Sommer, sondern überhaupt während einer ganzen Reihe von
Jahren keines hier vorgekommen ist. Schon der Aufgang der Sonne über den
kahlen Bergen im Nordosten der Hauptstadt, auf dem jenseitigen Bosporusufer, der
hinter einem Vorhange von finsterem Gewölk vor sich ging, schien zu verkünden,
daß der Tag etwas Außerordentliches bringen werde. Gleich nachdem es hell ge¬
worden begann ein seiner Sprühregen zu fallen; eine Stunde darnach war der
Himmel rings umzogen und über die sonst lichtstrahlende Stadt, deren Minaret¬
spitzen und Moscheenkuppeln kaum je anders wie im Sonnenglanze blitzend darge¬
stellt werden, hatte sich ein sast unheimlicher Dämmerungsschimmer ausgebreitet.
Dann und wann leuchteten einzelne Wcttcrstrahlen am äußersten Gesichtskreise
und verkündeten den gleichzeitigen Heranzug mehrer Gewitter, die vou verschiedenen
Seiten hernahend, wie es schien, die Metropole zum Stelldichein gewählt hatten.
Ich befand mich um diese Zeit aus dem Wege von meiner nicht weit vom Bosporus
gelegenen Wohnung zum äußersten Endpunkt des goldenen Hornes. Kaum jemals
sind mir die Straßen von Pera so finster vorgekommen. In den am Hafen sich
entlangziehenden Türken- und Judenviertcln Kasfun Pascha und Haskoj nahm das
Dunkel noch zu. Endlich gelangte ich zu einem der weitgedehnten Kirchhöfe und
damit ins Freie. Der von einem drei Monate währenden Sonnenbrande ausge¬
dörrte Boden, auf welchem selbst der frühere Rasen sich in Staub verwandelt hatte,
lechzte scheinbar dem Regen entgegen, und es lag ein eigenthümlicher Contrast in
der Eile, mit welcher die wenigen, aus dem einsamen Wege zwischen Leichensteinen
und über leere Felder hin mir begegnenden Leute, zumeist Juden, mit dem Bündel
unter dem Arm, ihren Behausungen zustrebten, und der melancholischen, regungs¬
losen Stille in der Natur. Endlich begann ein leises Singen und Flüstern in den
Wipfeln der dies Mal mir noch grauer und brauner wie sonst erscheinenden Cypressen.
hoch über den Gräbern; vor und hinter mir beginnt eS zu donnern; erst dumpf
wie aus weitester Ferne, aber bald lauter und mehr aus der Höhe des Himmels.
Der Losbruch des Unwetters ist nahe, und kann jeden Augenblick eintreten. Ich
warf einen Blick zum Zenith hinan, wo die Wolken im massenhaften Gedränge, von
entgegengesetzten Luftströmungen getrieben, mindestens momentan zum Stillstand ge¬
kommen waren. Einzelne große Tropfen fielen von oben hernieder. Plötzlich
zuckt es wie ein Heller glitzernder Riß in Windungen und Zacken über den
Himmel hin, und gleich daraus wird die Atmosphäre von einem jener Donner¬
schläge erschüttert, wie man sie so ohrenbetäubend in unsrem Norden kaum kennt.
Dumpf hallt das Rollen der Aethcrschlacht in den Thälern der Meerenge fort, bis
es in dem Wehgeheul und Kleffen der hundert und aberhundert Hunde sich ver¬
liert, die das Gekrach ans ihrem trägen Schlummer auf den Gassen der benach¬
barten Stadtheile erweckt hat. Eben hatte ich einen mächtigen Baum erreicht,
der mit weitgestreckten Aesten ein weites Laubdach um seinen Stamm hin aus¬
breitet, als der Platzregen begann und im harten Aufprallen aus den steinfesten
Grenzboten. III. -I85S. 80
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