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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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Die Kapuzinerpredigten in" Colosseum.

Die Via sacra des alten Roms, damals einer der lebhaftesten Verkehrs¬
punkte, ist jetzt öde und einsam. Dort war der Obstmarkt in der Gegend des
Titusbogens, hielten die Kranzwinderinnen feil, zogen zahlreiche Galanteriebnden
Käufer und müßige Beschauer an: Goldschmiede, Juweliere, Steinschneider,
Perlenhändlcr hatten hier ihre Läden. In diesem Gewühl flanirten die eleganten
Pflastertreter, hier wandelte Horaz, als er von jenem lästigen Schwätzer angefallen
wurde, der sich durch ihm wollte bei Mäcenas einführen lassen. Jetzt ist hier
gar kein Verkehr; Kirchen und Oratorien, Tempelruinen auf der einen, die langen
grauen Mauern der wüstliegenden Farnesianischen Gärten aus der andern Seite.
Nichts ist von der alten Herrlichkeit geblieben, als einige ziemlich große Strecken
des antiken Pflasters von mächtigen grauen Basaltlavaplatten. An schonen
Sonntagnachmittagen jedoch wird es hier immer lebendig. Die Bewohner der an
das Forum grenzenden Straßen, meist der untersten Classe angehörig, und vom
Lande hereingekommen" Campagnolcn pflegen hier ihre Sonntagsvergnügungen
zu veranstalten. Da tönt das leidenschaftliche Geschrei der Morraspieler, da stehen
Kartenspieler in großen Mänteln um einen Strohstuhl, der statt des Tisches dient,
da werfen Knaben und erwachsene Bursche Marmor- oder Ziegelscherben im Boccia-
spiel an den Lecco. Am Titusbogen braten ans einem kleinen tragbaren Ofen
Kastanien, laben verschiedene Liqueure den Durstigen, bietet ein zerlumpter Kerl
"^igari Sockel" ans. Auch ein Steinschneider mit Stücken verschiedenfarbigen
Marmors in allerlei Formen geschliffen, gibt sich hier der Hoffnung hin, einen
Forestierc anzuführen. Zahlreiche Spaziergänger und Fahrer ziehen durch den
Titusbogen den Hügel hinab; die alte Blinde, die hier Tag für Tag am Abhang
sitzend ihre Büchse rasselt und ihr popa-i ein-ca benelMor mW! -- mit immer
demselben Ton ruft, hat heute wol eine reichere Ernte als gewöhnlich. Angehörige
von Erziehungsanstalten, Brüder- und Schwesterschaften, Kollegien gehen in ihrer
Uniform vorüber. Die Schwestern in schwarzen Kleidern mit breiten weißen
Schleierhaubcu, die Alumnen eines Collegs mit langen Rocken in irgend einer aus-


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Die Kapuzinerpredigten in» Colosseum.

Die Via sacra des alten Roms, damals einer der lebhaftesten Verkehrs¬
punkte, ist jetzt öde und einsam. Dort war der Obstmarkt in der Gegend des
Titusbogens, hielten die Kranzwinderinnen feil, zogen zahlreiche Galanteriebnden
Käufer und müßige Beschauer an: Goldschmiede, Juweliere, Steinschneider,
Perlenhändlcr hatten hier ihre Läden. In diesem Gewühl flanirten die eleganten
Pflastertreter, hier wandelte Horaz, als er von jenem lästigen Schwätzer angefallen
wurde, der sich durch ihm wollte bei Mäcenas einführen lassen. Jetzt ist hier
gar kein Verkehr; Kirchen und Oratorien, Tempelruinen auf der einen, die langen
grauen Mauern der wüstliegenden Farnesianischen Gärten aus der andern Seite.
Nichts ist von der alten Herrlichkeit geblieben, als einige ziemlich große Strecken
des antiken Pflasters von mächtigen grauen Basaltlavaplatten. An schonen
Sonntagnachmittagen jedoch wird es hier immer lebendig. Die Bewohner der an
das Forum grenzenden Straßen, meist der untersten Classe angehörig, und vom
Lande hereingekommen« Campagnolcn pflegen hier ihre Sonntagsvergnügungen
zu veranstalten. Da tönt das leidenschaftliche Geschrei der Morraspieler, da stehen
Kartenspieler in großen Mänteln um einen Strohstuhl, der statt des Tisches dient,
da werfen Knaben und erwachsene Bursche Marmor- oder Ziegelscherben im Boccia-
spiel an den Lecco. Am Titusbogen braten ans einem kleinen tragbaren Ofen
Kastanien, laben verschiedene Liqueure den Durstigen, bietet ein zerlumpter Kerl
„^igari Sockel" ans. Auch ein Steinschneider mit Stücken verschiedenfarbigen
Marmors in allerlei Formen geschliffen, gibt sich hier der Hoffnung hin, einen
Forestierc anzuführen. Zahlreiche Spaziergänger und Fahrer ziehen durch den
Titusbogen den Hügel hinab; die alte Blinde, die hier Tag für Tag am Abhang
sitzend ihre Büchse rasselt und ihr popa-i ein-ca benelMor mW! — mit immer
demselben Ton ruft, hat heute wol eine reichere Ernte als gewöhnlich. Angehörige
von Erziehungsanstalten, Brüder- und Schwesterschaften, Kollegien gehen in ihrer
Uniform vorüber. Die Schwestern in schwarzen Kleidern mit breiten weißen
Schleierhaubcu, die Alumnen eines Collegs mit langen Rocken in irgend einer aus-


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[0489] Die Kapuzinerpredigten in» Colosseum. Die Via sacra des alten Roms, damals einer der lebhaftesten Verkehrs¬ punkte, ist jetzt öde und einsam. Dort war der Obstmarkt in der Gegend des Titusbogens, hielten die Kranzwinderinnen feil, zogen zahlreiche Galanteriebnden Käufer und müßige Beschauer an: Goldschmiede, Juweliere, Steinschneider, Perlenhändlcr hatten hier ihre Läden. In diesem Gewühl flanirten die eleganten Pflastertreter, hier wandelte Horaz, als er von jenem lästigen Schwätzer angefallen wurde, der sich durch ihm wollte bei Mäcenas einführen lassen. Jetzt ist hier gar kein Verkehr; Kirchen und Oratorien, Tempelruinen auf der einen, die langen grauen Mauern der wüstliegenden Farnesianischen Gärten aus der andern Seite. Nichts ist von der alten Herrlichkeit geblieben, als einige ziemlich große Strecken des antiken Pflasters von mächtigen grauen Basaltlavaplatten. An schonen Sonntagnachmittagen jedoch wird es hier immer lebendig. Die Bewohner der an das Forum grenzenden Straßen, meist der untersten Classe angehörig, und vom Lande hereingekommen« Campagnolcn pflegen hier ihre Sonntagsvergnügungen zu veranstalten. Da tönt das leidenschaftliche Geschrei der Morraspieler, da stehen Kartenspieler in großen Mänteln um einen Strohstuhl, der statt des Tisches dient, da werfen Knaben und erwachsene Bursche Marmor- oder Ziegelscherben im Boccia- spiel an den Lecco. Am Titusbogen braten ans einem kleinen tragbaren Ofen Kastanien, laben verschiedene Liqueure den Durstigen, bietet ein zerlumpter Kerl „^igari Sockel" ans. Auch ein Steinschneider mit Stücken verschiedenfarbigen Marmors in allerlei Formen geschliffen, gibt sich hier der Hoffnung hin, einen Forestierc anzuführen. Zahlreiche Spaziergänger und Fahrer ziehen durch den Titusbogen den Hügel hinab; die alte Blinde, die hier Tag für Tag am Abhang sitzend ihre Büchse rasselt und ihr popa-i ein-ca benelMor mW! — mit immer demselben Ton ruft, hat heute wol eine reichere Ernte als gewöhnlich. Angehörige von Erziehungsanstalten, Brüder- und Schwesterschaften, Kollegien gehen in ihrer Uniform vorüber. Die Schwestern in schwarzen Kleidern mit breiten weißen Schleierhaubcu, die Alumnen eines Collegs mit langen Rocken in irgend einer aus- Grc-»zbowi, I. -ILlii. . 61

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/489>, abgerufen am 22.07.2024.