Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.Richtung weiter gefahren, wo er dann südlich von dem 72. Breitegrade in diesem Pariser Brief. -- Die Todten reiten schnell, aber Belagerungen gehen Wir haben genaue Berichte über die Schwierigkeiten, welche bei näherer Be¬ Richtung weiter gefahren, wo er dann südlich von dem 72. Breitegrade in diesem Pariser Brief. — Die Todten reiten schnell, aber Belagerungen gehen Wir haben genaue Berichte über die Schwierigkeiten, welche bei näherer Be¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0244" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98558"/> <p xml:id="ID_775" prev="#ID_774"> Richtung weiter gefahren, wo er dann südlich von dem 72. Breitegrade in diesem<lb/> an Gefahren so reichen Meer gescheitert. Bekanntlich segelte Sir John Franklin<lb/> mit dem Erebus und Terror im Frühling 18i5 von England ab, und gab gegen<lb/> Ende desselben Jahres die letzte und einzige Nachricht von sich, seit welcher Zeit<lb/> man nichts von ihm gehört hat. Nur die Spuren seines Winterlagers entdeckte<lb/> man am Cap Ulley. Er hatte auf drei Jahre Proviant mit sich, der jedoch vier<lb/> Jahre langen konnte. So wie es die Jahreszeit erlaubt, wird die Negicruiig eine<lb/> Expedition den Fischfluß hinabgehen lassen, sowol um die Nachrichten der Eskimos<lb/> an Ort und Stelle zu verificiren, wie auch um Capitän Collinson zu erlösen, von<lb/> dem man seit 2 Jahren keine Nachrichten hat, und der sich in der Nähe des<lb/> Mackenzieflusses befinden muß . . Er ist der einzige von den zu Franklins Aus¬<lb/> suchung Abgeschickten, die noch nicht zurück sind. —</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Pariser Brief.</head> <p xml:id="ID_776"> — Die Todten reiten schnell, aber Belagerungen gehen<lb/> langsam vor sich, so gründlich langsam, daß unsre auf einen Handstreich hoffende<lb/> Phantasie nach Scbastopvl und wieder zurückschnellt wie eine behende, Katze hinter<lb/> einem philosophisch einhcrtrabendcu Ochsen ab- und zuläuft. Die Pforten des<lb/> Paradieses waren schon halb geöffnet und nun müssen wir uns aus den weiten<lb/> Umweg verstehen, der die kostbaren Tage in dieser späten Jahreszeit verschlingt mit<lb/> Bangen erregendem Appetite. Die Sache sängt an sehr bedenklich zu werden, so<lb/> bedenklich, daß wir uns mit dem Gedanken vertraut machen müssen, die Verwirk¬<lb/> lichung der Absichten ans die russische Hauptfestung dürste in diesem ersten Feldzuge<lb/> nicht vollkommen erreicht werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_777" next="#ID_778"> Wir haben genaue Berichte über die Schwierigkeiten, welche bei näherer Be¬<lb/> kanntschaft mit den Festungswerken ans Licht treten. Sie sind solcher Art, daß,<lb/> die den Rückzug der Alliirten beherrschenden Elemente in Anschlag gebracht, die<lb/> Zeit zu kurz werden könnte, trotz allen Kriegsgenies, trotz der ungeheuren Zer-<lb/> störungsmittel, welche England und Frankreich zu Gebote stehen, über die Einnahme<lb/> der Stadt sür diesen Winter hinaus zum Ziele zu gelangen. Wir sind gewiß, daß<lb/> das Mögliche geleistet wird an Tapferkeit und Unternehmungsgeist, das Unmögliche<lb/> sogar, aber der Zug ist ein wenig zu spät begonnen worden und die Russen haben<lb/> durch die Schlacht vou Alma, welche sie das Schlachtfeld und bedeutende Verluste<lb/> gekostet hat, doch soviel Zeit gewonnen, daß sie im Norden auf das Zuströmen<lb/> frischer Hilfstruppen, im Süden aus die Genossenschaft der Herbststürme rechnen<lb/> können. Wir sind bei einem eigenthümlichen Dilemma angelangt: entweder Nu߬<lb/> land hat seinen Bewunderern neue Enttäuschungen, die großartigsten zu bereiten,<lb/> seine bisher bewiesene Ohnmacht wird vergleichsweise noch als respekteinflößend er¬<lb/> scheinen oder die Alliirten haben einen so grausen Kampf vor den Mauern Scba-<lb/> stopols zu bestehen, daß eben wie im Eingange bemerkt worden, die Kriegsmöglich-<lb/> kcitcn auch zum Nachtheile der westlichen Mächte umschlagen können. Obgleich diese<lb/> Sachlage von jedem Prüfenden erkannt werden mag, so gründen wir diese An¬<lb/> nahme nicht aus bloße Vermuthungen, wir haben dabei ganz genaue officielle Mitthei¬<lb/> lungen im Auge. Bisher verlieren zwar die Russen, wie sie selbst eingestehen, an<lb/> Terrain, die Bclagerungsarbcitcn sind unter dem Feuer der Russen glücklich zustande<lb/> gekommen, ohne daß die Alliirten große Verluste zu beklagen hätten; die Beschießung</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0244]
Richtung weiter gefahren, wo er dann südlich von dem 72. Breitegrade in diesem
an Gefahren so reichen Meer gescheitert. Bekanntlich segelte Sir John Franklin
mit dem Erebus und Terror im Frühling 18i5 von England ab, und gab gegen
Ende desselben Jahres die letzte und einzige Nachricht von sich, seit welcher Zeit
man nichts von ihm gehört hat. Nur die Spuren seines Winterlagers entdeckte
man am Cap Ulley. Er hatte auf drei Jahre Proviant mit sich, der jedoch vier
Jahre langen konnte. So wie es die Jahreszeit erlaubt, wird die Negicruiig eine
Expedition den Fischfluß hinabgehen lassen, sowol um die Nachrichten der Eskimos
an Ort und Stelle zu verificiren, wie auch um Capitän Collinson zu erlösen, von
dem man seit 2 Jahren keine Nachrichten hat, und der sich in der Nähe des
Mackenzieflusses befinden muß . . Er ist der einzige von den zu Franklins Aus¬
suchung Abgeschickten, die noch nicht zurück sind. —
Pariser Brief. — Die Todten reiten schnell, aber Belagerungen gehen
langsam vor sich, so gründlich langsam, daß unsre auf einen Handstreich hoffende
Phantasie nach Scbastopvl und wieder zurückschnellt wie eine behende, Katze hinter
einem philosophisch einhcrtrabendcu Ochsen ab- und zuläuft. Die Pforten des
Paradieses waren schon halb geöffnet und nun müssen wir uns aus den weiten
Umweg verstehen, der die kostbaren Tage in dieser späten Jahreszeit verschlingt mit
Bangen erregendem Appetite. Die Sache sängt an sehr bedenklich zu werden, so
bedenklich, daß wir uns mit dem Gedanken vertraut machen müssen, die Verwirk¬
lichung der Absichten ans die russische Hauptfestung dürste in diesem ersten Feldzuge
nicht vollkommen erreicht werden.
Wir haben genaue Berichte über die Schwierigkeiten, welche bei näherer Be¬
kanntschaft mit den Festungswerken ans Licht treten. Sie sind solcher Art, daß,
die den Rückzug der Alliirten beherrschenden Elemente in Anschlag gebracht, die
Zeit zu kurz werden könnte, trotz allen Kriegsgenies, trotz der ungeheuren Zer-
störungsmittel, welche England und Frankreich zu Gebote stehen, über die Einnahme
der Stadt sür diesen Winter hinaus zum Ziele zu gelangen. Wir sind gewiß, daß
das Mögliche geleistet wird an Tapferkeit und Unternehmungsgeist, das Unmögliche
sogar, aber der Zug ist ein wenig zu spät begonnen worden und die Russen haben
durch die Schlacht vou Alma, welche sie das Schlachtfeld und bedeutende Verluste
gekostet hat, doch soviel Zeit gewonnen, daß sie im Norden auf das Zuströmen
frischer Hilfstruppen, im Süden aus die Genossenschaft der Herbststürme rechnen
können. Wir sind bei einem eigenthümlichen Dilemma angelangt: entweder Nu߬
land hat seinen Bewunderern neue Enttäuschungen, die großartigsten zu bereiten,
seine bisher bewiesene Ohnmacht wird vergleichsweise noch als respekteinflößend er¬
scheinen oder die Alliirten haben einen so grausen Kampf vor den Mauern Scba-
stopols zu bestehen, daß eben wie im Eingange bemerkt worden, die Kriegsmöglich-
kcitcn auch zum Nachtheile der westlichen Mächte umschlagen können. Obgleich diese
Sachlage von jedem Prüfenden erkannt werden mag, so gründen wir diese An¬
nahme nicht aus bloße Vermuthungen, wir haben dabei ganz genaue officielle Mitthei¬
lungen im Auge. Bisher verlieren zwar die Russen, wie sie selbst eingestehen, an
Terrain, die Bclagerungsarbcitcn sind unter dem Feuer der Russen glücklich zustande
gekommen, ohne daß die Alliirten große Verluste zu beklagen hätten; die Beschießung
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