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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Die Berliner Kunstausstellung.

Schluß.

Von nachträglich eingegangenen historischen Bildern erwähne ich noch
als eines der bessern eines "Leos nome>" von Teschner, in dem man wenig¬
stens die Intention sieht, die Resignation und Fassung Christi in seinen Leiden
auszudrücken; freilich ist das nicht mit genügender Kraft und Prägnanz ge¬
schehen, wie denn das Bild auch sonst nicht bedeutend ist, aber die im ganzen
richtige Auffassung und Absicht muß namentlich andern gegenüber, wie z, B.
dem von Mengelberg oder gar dem zwar nicht auf der Ausstellung befindlichen,
aber doch vor nicht gar langer Zeit im Kunstvereinslocale ausgestellten Kee-s
Kome> von Steinbrück, die an sentimentaler Fassungslosigkeit wetteifern, ent¬
schieden anerkannt werden.

Doch nun wenden wir uns zu Tidemauds vortrefflichen Bilde: "Nor¬
wegische .Begräbnißsitte", an dem wir uns einmal recht das Herz er¬
quicken können und bei dem wir zu der tröstlichen Ueberzeugung kommen, daß
tiefe, starke Empfindung und gesunde einfache Auffassung bei der sonst ziemlich
allgemeinen Gefühl- und Gedankenlosigkeit noch immer zu finden sind. Die
junge Wittwe am Sarge des Gatten mit dem schlafenden Kinde im Arm, an
ihre alte Mutter gelehnt, ist wahrhaft rührend und ergreifend; der tiefste
Schmerz, aber ohne jede Spur von Sentimentalität; wir empfinden das stärkste
Mitgefühl, aber die Bemitleidete erscheint uns nicht in jämmerlicher Schwäche;
es liegt soviel Gesundes in ihr, daß wir ihr allenfalls die Kraft zutrauen, sich
wieder aufzurichten. Wir werden dessen gewiß, wenn wir daneben die alte
Mutter ansehen; we^ich inniges Mitgefühl in ihr mit dem Unglück der Tochter;
aber dabei die ergebene würdige Haltung in so großem Schmerz! wie sehr
erscheint sie als Stütze, an der die jetzt gebrochene Kraft der Tochter sich wieder
ausrichten wird. Welch markiger schöner Kopf diese Alte, und dabei wie wahr
und lebenswarm. Und so ist jedes wahr und ergreifend durchgeführt, der alte
Vater, der uns abgewandt sein greises Haupt in die Hände hat sinken lassen
in dumpfem sich verbergenden Schmerz und jede andere Figur in ihrer stärkern
oder geringern Theilnahme, sei es mehr tiefes Mitgefühl oder mehr die all¬
gemeine feierliche Stimmung beim Begräbnisse. Wir sehen alle Nuancen des
Schmerzes und der Theilnahme, jede an ihrem Platze, von der allgemeinen
Stimmung getragen und so, daß das Hauptinteresse immer bei jenen beiden, bei
der Wittwe und ihrer Mutter verweilt. Einen besonders rührenden Gegensatz
bildet ein junges Paar in kräftiger, blühender Gesundheit, nahe der Wittwe
im Vorgrunde, die in vollem Leben stehend sich nicht recht heimisch in diesem
Trauerkreise zu fühlen scheinen und mehr officielle Theilnahme zeigen. Es


Die Berliner Kunstausstellung.

Schluß.

Von nachträglich eingegangenen historischen Bildern erwähne ich noch
als eines der bessern eines „Leos nome>" von Teschner, in dem man wenig¬
stens die Intention sieht, die Resignation und Fassung Christi in seinen Leiden
auszudrücken; freilich ist das nicht mit genügender Kraft und Prägnanz ge¬
schehen, wie denn das Bild auch sonst nicht bedeutend ist, aber die im ganzen
richtige Auffassung und Absicht muß namentlich andern gegenüber, wie z, B.
dem von Mengelberg oder gar dem zwar nicht auf der Ausstellung befindlichen,
aber doch vor nicht gar langer Zeit im Kunstvereinslocale ausgestellten Kee-s
Kome> von Steinbrück, die an sentimentaler Fassungslosigkeit wetteifern, ent¬
schieden anerkannt werden.

Doch nun wenden wir uns zu Tidemauds vortrefflichen Bilde: „Nor¬
wegische .Begräbnißsitte", an dem wir uns einmal recht das Herz er¬
quicken können und bei dem wir zu der tröstlichen Ueberzeugung kommen, daß
tiefe, starke Empfindung und gesunde einfache Auffassung bei der sonst ziemlich
allgemeinen Gefühl- und Gedankenlosigkeit noch immer zu finden sind. Die
junge Wittwe am Sarge des Gatten mit dem schlafenden Kinde im Arm, an
ihre alte Mutter gelehnt, ist wahrhaft rührend und ergreifend; der tiefste
Schmerz, aber ohne jede Spur von Sentimentalität; wir empfinden das stärkste
Mitgefühl, aber die Bemitleidete erscheint uns nicht in jämmerlicher Schwäche;
es liegt soviel Gesundes in ihr, daß wir ihr allenfalls die Kraft zutrauen, sich
wieder aufzurichten. Wir werden dessen gewiß, wenn wir daneben die alte
Mutter ansehen; we^ich inniges Mitgefühl in ihr mit dem Unglück der Tochter;
aber dabei die ergebene würdige Haltung in so großem Schmerz! wie sehr
erscheint sie als Stütze, an der die jetzt gebrochene Kraft der Tochter sich wieder
ausrichten wird. Welch markiger schöner Kopf diese Alte, und dabei wie wahr
und lebenswarm. Und so ist jedes wahr und ergreifend durchgeführt, der alte
Vater, der uns abgewandt sein greises Haupt in die Hände hat sinken lassen
in dumpfem sich verbergenden Schmerz und jede andere Figur in ihrer stärkern
oder geringern Theilnahme, sei es mehr tiefes Mitgefühl oder mehr die all¬
gemeine feierliche Stimmung beim Begräbnisse. Wir sehen alle Nuancen des
Schmerzes und der Theilnahme, jede an ihrem Platze, von der allgemeinen
Stimmung getragen und so, daß das Hauptinteresse immer bei jenen beiden, bei
der Wittwe und ihrer Mutter verweilt. Einen besonders rührenden Gegensatz
bildet ein junges Paar in kräftiger, blühender Gesundheit, nahe der Wittwe
im Vorgrunde, die in vollem Leben stehend sich nicht recht heimisch in diesem
Trauerkreise zu fühlen scheinen und mehr officielle Theilnahme zeigen. Es


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[0212] Die Berliner Kunstausstellung. Schluß. Von nachträglich eingegangenen historischen Bildern erwähne ich noch als eines der bessern eines „Leos nome>" von Teschner, in dem man wenig¬ stens die Intention sieht, die Resignation und Fassung Christi in seinen Leiden auszudrücken; freilich ist das nicht mit genügender Kraft und Prägnanz ge¬ schehen, wie denn das Bild auch sonst nicht bedeutend ist, aber die im ganzen richtige Auffassung und Absicht muß namentlich andern gegenüber, wie z, B. dem von Mengelberg oder gar dem zwar nicht auf der Ausstellung befindlichen, aber doch vor nicht gar langer Zeit im Kunstvereinslocale ausgestellten Kee-s Kome> von Steinbrück, die an sentimentaler Fassungslosigkeit wetteifern, ent¬ schieden anerkannt werden. Doch nun wenden wir uns zu Tidemauds vortrefflichen Bilde: „Nor¬ wegische .Begräbnißsitte", an dem wir uns einmal recht das Herz er¬ quicken können und bei dem wir zu der tröstlichen Ueberzeugung kommen, daß tiefe, starke Empfindung und gesunde einfache Auffassung bei der sonst ziemlich allgemeinen Gefühl- und Gedankenlosigkeit noch immer zu finden sind. Die junge Wittwe am Sarge des Gatten mit dem schlafenden Kinde im Arm, an ihre alte Mutter gelehnt, ist wahrhaft rührend und ergreifend; der tiefste Schmerz, aber ohne jede Spur von Sentimentalität; wir empfinden das stärkste Mitgefühl, aber die Bemitleidete erscheint uns nicht in jämmerlicher Schwäche; es liegt soviel Gesundes in ihr, daß wir ihr allenfalls die Kraft zutrauen, sich wieder aufzurichten. Wir werden dessen gewiß, wenn wir daneben die alte Mutter ansehen; we^ich inniges Mitgefühl in ihr mit dem Unglück der Tochter; aber dabei die ergebene würdige Haltung in so großem Schmerz! wie sehr erscheint sie als Stütze, an der die jetzt gebrochene Kraft der Tochter sich wieder ausrichten wird. Welch markiger schöner Kopf diese Alte, und dabei wie wahr und lebenswarm. Und so ist jedes wahr und ergreifend durchgeführt, der alte Vater, der uns abgewandt sein greises Haupt in die Hände hat sinken lassen in dumpfem sich verbergenden Schmerz und jede andere Figur in ihrer stärkern oder geringern Theilnahme, sei es mehr tiefes Mitgefühl oder mehr die all¬ gemeine feierliche Stimmung beim Begräbnisse. Wir sehen alle Nuancen des Schmerzes und der Theilnahme, jede an ihrem Platze, von der allgemeinen Stimmung getragen und so, daß das Hauptinteresse immer bei jenen beiden, bei der Wittwe und ihrer Mutter verweilt. Einen besonders rührenden Gegensatz bildet ein junges Paar in kräftiger, blühender Gesundheit, nahe der Wittwe im Vorgrunde, die in vollem Leben stehend sich nicht recht heimisch in diesem Trauerkreise zu fühlen scheinen und mehr officielle Theilnahme zeigen. Es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/212>, abgerufen am 22.07.2024.