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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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standen, die Poesie für einen Fluch, für einen Kainsstempel ausgaben, was
gewiß richtig wäre, wenn das Princip der Romantik, das Ideal sei ein Feind
der Wirklichkeit, ein richtiges wäre.

Wenn man aber mit Umgehung des Gesetzes der Natur und der
Menschheit zu idealisiren versucht, so raubt man dadurch nicht nur der Wirk¬
lichkeit ihr höheres Licht, sondern man raubt auch der Poesie den Inhalt
und die Farbe. Unter den Phantasiestücken ist "der goldene Topf" am weit¬
läufigsten darauf eingerichtet, den Gegensatz der Poesie und der Wirklichkeit zu
verherrlichen; aber wenn man auch zugeben muß, daß die hier geschilderte
Wirklichkeit aller Idealität entbehrt, so steht es mit der hier geschilderten Ideal¬
welt nicht besser; sie ist eine leere, abgeschmackte Spielerei, eine süßliche, unge¬
sunde Karsunkelpoesie, die aus das Gemüth nicht mehr einwirken kann. Es ist
für das Licht ebenso verhängnißvoll, wenn man ihm den Schatten oder die
Materie nimmt, als umgekehrt.

In einem andern der Phantasiestücke, in der Geschichte des Hundes Ber-
ganza, sucht Hoffmann durch Raisonnements seine Schilderungen zu ergänzen;
er sucht in einer ziemlich breiten und pedantischen Auseinandersetzung die
Vorstellung zu widerlegen, die Poesie müsse einen sittlichen Inhalt haben, und
vergißt darüber ganz, daß das ästhetische Wohlgefallen, auch wenn es nur den
Schein trifft, in diesem Schein sich doch nur an dem Abglanz der menschlichen
Seele erfreut. Die Märcheupvesie und was sonst dahin gehört, widerspricht
dieser Auffassung keineswegs, denn das Märchen ist für das kindliche gläu¬
bige Gemüth eingerichtet, und würde, wenn es dem sittlichen Gefühle des
Kindes widerstrebte, unzweifelhaft sein Mißfallen erregen. Was aber die
Freude der Erwachsenen am Märchen betrifft, so ist diese entweder reflectirt
durch culturhistorische Studien vermittelt, oder sie beruht aus der Freude am
Komischen. Die phantastischen Erzählungen Hoffmanns (z. B. der Magneti-
^ur u. s. w.), die nach seinem Princip gearbeitet sind, und in denen er in
das Gebiet des Unmenschlichen sich verirrt, werden jetzt, wo die künstliche Ge¬
schmacksverwirrung beseitigt ist,*nach keiner Seite hin Beifall gewinnen.

Aber als ein Denkmal der deutschen Culturgeschichte wird dieses Buch
u"Mer ein großes Interesse behaupten, denn es ist das erste, in welchem sich
d'e Romantik dem größern Publicum verständlich gemacht hat und dadurch
"us der abstracten Literatur ins Leben übergetreten ist. --


Geschichte der deutschen Poesie nach ihren antiken Elementen. Von Leo
Ehvlcvins. Erster Theil. Von der christlich-römischen Cultur des Mit-
telalters bis zu Wielands französischer Grcicität. Leipzig, Brockhaus. --

Der Verfasser hat nicht wohl daran gethan, durch den Ausdruck Geschichte,
dessen er sich auf seinem Titel bedient, Erwartungen rege zu machen, die er


standen, die Poesie für einen Fluch, für einen Kainsstempel ausgaben, was
gewiß richtig wäre, wenn das Princip der Romantik, das Ideal sei ein Feind
der Wirklichkeit, ein richtiges wäre.

Wenn man aber mit Umgehung des Gesetzes der Natur und der
Menschheit zu idealisiren versucht, so raubt man dadurch nicht nur der Wirk¬
lichkeit ihr höheres Licht, sondern man raubt auch der Poesie den Inhalt
und die Farbe. Unter den Phantasiestücken ist „der goldene Topf" am weit¬
läufigsten darauf eingerichtet, den Gegensatz der Poesie und der Wirklichkeit zu
verherrlichen; aber wenn man auch zugeben muß, daß die hier geschilderte
Wirklichkeit aller Idealität entbehrt, so steht es mit der hier geschilderten Ideal¬
welt nicht besser; sie ist eine leere, abgeschmackte Spielerei, eine süßliche, unge¬
sunde Karsunkelpoesie, die aus das Gemüth nicht mehr einwirken kann. Es ist
für das Licht ebenso verhängnißvoll, wenn man ihm den Schatten oder die
Materie nimmt, als umgekehrt.

In einem andern der Phantasiestücke, in der Geschichte des Hundes Ber-
ganza, sucht Hoffmann durch Raisonnements seine Schilderungen zu ergänzen;
er sucht in einer ziemlich breiten und pedantischen Auseinandersetzung die
Vorstellung zu widerlegen, die Poesie müsse einen sittlichen Inhalt haben, und
vergißt darüber ganz, daß das ästhetische Wohlgefallen, auch wenn es nur den
Schein trifft, in diesem Schein sich doch nur an dem Abglanz der menschlichen
Seele erfreut. Die Märcheupvesie und was sonst dahin gehört, widerspricht
dieser Auffassung keineswegs, denn das Märchen ist für das kindliche gläu¬
bige Gemüth eingerichtet, und würde, wenn es dem sittlichen Gefühle des
Kindes widerstrebte, unzweifelhaft sein Mißfallen erregen. Was aber die
Freude der Erwachsenen am Märchen betrifft, so ist diese entweder reflectirt
durch culturhistorische Studien vermittelt, oder sie beruht aus der Freude am
Komischen. Die phantastischen Erzählungen Hoffmanns (z. B. der Magneti-
^ur u. s. w.), die nach seinem Princip gearbeitet sind, und in denen er in
das Gebiet des Unmenschlichen sich verirrt, werden jetzt, wo die künstliche Ge¬
schmacksverwirrung beseitigt ist,*nach keiner Seite hin Beifall gewinnen.

Aber als ein Denkmal der deutschen Culturgeschichte wird dieses Buch
u»Mer ein großes Interesse behaupten, denn es ist das erste, in welchem sich
d'e Romantik dem größern Publicum verständlich gemacht hat und dadurch
"us der abstracten Literatur ins Leben übergetreten ist. —


Geschichte der deutschen Poesie nach ihren antiken Elementen. Von Leo
Ehvlcvins. Erster Theil. Von der christlich-römischen Cultur des Mit-
telalters bis zu Wielands französischer Grcicität. Leipzig, Brockhaus. —

Der Verfasser hat nicht wohl daran gethan, durch den Ausdruck Geschichte,
dessen er sich auf seinem Titel bedient, Erwartungen rege zu machen, die er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/503>, abgerufen am 31.08.2024.