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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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Literatur auf ihn vielleicht am wirksamsten gewesen ist. Allein was häufig dem besten
poetischen Talent begegnet, wenn es ohne nationale Tradition, nur durch Anregung
fremder, wenn auch höherer Bildung bestimmt wird: er experimentirt ohne ein be¬
stimmt leitendes Princip; nur in seiner Evangeline und in einigen seiner kleinern
Gedichte ist es ihm gelungen, vollständig das auszudrücken, was er ausdrücken wollte.
In allen übrigen Schriften finden wir zwar sehr schöne und interessante Einzelnheiten,
aber daneben etwas Unbefriedigtes und Haltloses, das uns den guten Eindruck ver¬
kümmert. In dem gegenwärtigen Drama hat er die bekannte Novelle von Cervantes
zu Grnnde gelegt, die anch in unsrer Preciosa benutzt ist. Das deutsche Melodram
ist zwar in einem sehr ledernen Stil geschrieben, und die Einzelnheiten sind mit
einer Flüchtigkeit ausgearbeitet, wie man sie nur bei einem Operntext begreift: allein
die Haltung und der Ton des Ganzen entspricht doch dem Gegenstand, und mit
Hilfe der Wcberschcn Musik und von einer anmuthigen Schauspielerin vorgetragen,
macht es immer noch einen leidlichen Eindruck. Wie aber Longfellow eigentlich
dazu gekommen ist, aus diesem novellistischen Stoff ein Drama zu machen, ist schwer
zu begreifen. Er hat sich nicht die geringste Mühe gegeben, einen dramatischen oder
theatralischen Zusammenhang herzustellen. Als Beleg wollen wir eine Scene voll¬
ständig abschreiben. "Die Bühne. Das Orchester spielt die Cachncha. Man hört
Castagnetten hinter der Scene. Der Vorhang geht ans und zeigt Preciosa,
welche den Tanz beginnt. Die Cackncha. Unruhe. Zischen. Man schreit Brav"
und Afuera. Preciosa bleibt endlich betroffen stehen. Die Musik hört auf. All¬
gemeine Verwirrung. Preciosa stürzt ohnmächtig hin."--Diese Scene, bei wel¬
cher der Dichter doch unmöglich an die wirkliche Aufführung gedacht haben kann,
steht keineswegs allein. Das Durcheinander der Auftritte ist vielmehr so groß, daß
selbst die Freiheiten des Shakespcarcschen Theaters weit' dahinter zurückbleiben. So¬
wenig die theatralische Einheit erreicht ist, sowenig ist es auch dem Dichter gelungen,
wirkliche Charaktere hervorzubringen. In dieser Beziehung steht das Stück mit
der deutschen Preciosa aus demselben Niveau. Dagegen ist das Costüm mit der
Sorgfalt behandelt, wie es etwa die Schule Victor Hugos zu thun pflegt, und
man glaubt zuweilen, das Drama wäre nur um der Genrebilder wegen da, die
freilich zum Theil sehr geistreich und liebenswürdig ausgeführt sind. Aber alle diese
Maulthiertreiber-, Banditen-, Studentenscenen hätten in einer Novelle einen viel
schicklicheren Platz gefunden. --


-- Die Schlettersche Galerie wird jetzt, wie wir
hören, zu gewissen Zeiten geöffnet. Es scheint uns aber, als habe das Leipziger
Puvlicum das Recht, davon benachrichtigt zu werden, da sie doch ihm gehör
und nicht einigen Privatpersonen, und da der Rechtspunkt wichtiger ist als die
Convenance. --




Herausgegeben von Gustav Freytag "ut Julian Schmidt.
Als verantwvrtl. Redacteur legitiniirt: F. W. Grunow. -- Verlag von F. L. Herblg
in Leipzig.
Druck von <5. <5. Elbert in Leipzig.

Literatur auf ihn vielleicht am wirksamsten gewesen ist. Allein was häufig dem besten
poetischen Talent begegnet, wenn es ohne nationale Tradition, nur durch Anregung
fremder, wenn auch höherer Bildung bestimmt wird: er experimentirt ohne ein be¬
stimmt leitendes Princip; nur in seiner Evangeline und in einigen seiner kleinern
Gedichte ist es ihm gelungen, vollständig das auszudrücken, was er ausdrücken wollte.
In allen übrigen Schriften finden wir zwar sehr schöne und interessante Einzelnheiten,
aber daneben etwas Unbefriedigtes und Haltloses, das uns den guten Eindruck ver¬
kümmert. In dem gegenwärtigen Drama hat er die bekannte Novelle von Cervantes
zu Grnnde gelegt, die anch in unsrer Preciosa benutzt ist. Das deutsche Melodram
ist zwar in einem sehr ledernen Stil geschrieben, und die Einzelnheiten sind mit
einer Flüchtigkeit ausgearbeitet, wie man sie nur bei einem Operntext begreift: allein
die Haltung und der Ton des Ganzen entspricht doch dem Gegenstand, und mit
Hilfe der Wcberschcn Musik und von einer anmuthigen Schauspielerin vorgetragen,
macht es immer noch einen leidlichen Eindruck. Wie aber Longfellow eigentlich
dazu gekommen ist, aus diesem novellistischen Stoff ein Drama zu machen, ist schwer
zu begreifen. Er hat sich nicht die geringste Mühe gegeben, einen dramatischen oder
theatralischen Zusammenhang herzustellen. Als Beleg wollen wir eine Scene voll¬
ständig abschreiben. „Die Bühne. Das Orchester spielt die Cachncha. Man hört
Castagnetten hinter der Scene. Der Vorhang geht ans und zeigt Preciosa,
welche den Tanz beginnt. Die Cackncha. Unruhe. Zischen. Man schreit Brav«
und Afuera. Preciosa bleibt endlich betroffen stehen. Die Musik hört auf. All¬
gemeine Verwirrung. Preciosa stürzt ohnmächtig hin."—Diese Scene, bei wel¬
cher der Dichter doch unmöglich an die wirkliche Aufführung gedacht haben kann,
steht keineswegs allein. Das Durcheinander der Auftritte ist vielmehr so groß, daß
selbst die Freiheiten des Shakespcarcschen Theaters weit' dahinter zurückbleiben. So¬
wenig die theatralische Einheit erreicht ist, sowenig ist es auch dem Dichter gelungen,
wirkliche Charaktere hervorzubringen. In dieser Beziehung steht das Stück mit
der deutschen Preciosa aus demselben Niveau. Dagegen ist das Costüm mit der
Sorgfalt behandelt, wie es etwa die Schule Victor Hugos zu thun pflegt, und
man glaubt zuweilen, das Drama wäre nur um der Genrebilder wegen da, die
freilich zum Theil sehr geistreich und liebenswürdig ausgeführt sind. Aber alle diese
Maulthiertreiber-, Banditen-, Studentenscenen hätten in einer Novelle einen viel
schicklicheren Platz gefunden. —


— Die Schlettersche Galerie wird jetzt, wie wir
hören, zu gewissen Zeiten geöffnet. Es scheint uns aber, als habe das Leipziger
Puvlicum das Recht, davon benachrichtigt zu werden, da sie doch ihm gehör
und nicht einigen Privatpersonen, und da der Rechtspunkt wichtiger ist als die
Convenance. —




Herausgegeben von Gustav Freytag »ut Julian Schmidt.
Als verantwvrtl. Redacteur legitiniirt: F. W. Grunow. — Verlag von F. L. Herblg
in Leipzig.
Druck von <5. <5. Elbert in Leipzig.
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[0368] Literatur auf ihn vielleicht am wirksamsten gewesen ist. Allein was häufig dem besten poetischen Talent begegnet, wenn es ohne nationale Tradition, nur durch Anregung fremder, wenn auch höherer Bildung bestimmt wird: er experimentirt ohne ein be¬ stimmt leitendes Princip; nur in seiner Evangeline und in einigen seiner kleinern Gedichte ist es ihm gelungen, vollständig das auszudrücken, was er ausdrücken wollte. In allen übrigen Schriften finden wir zwar sehr schöne und interessante Einzelnheiten, aber daneben etwas Unbefriedigtes und Haltloses, das uns den guten Eindruck ver¬ kümmert. In dem gegenwärtigen Drama hat er die bekannte Novelle von Cervantes zu Grnnde gelegt, die anch in unsrer Preciosa benutzt ist. Das deutsche Melodram ist zwar in einem sehr ledernen Stil geschrieben, und die Einzelnheiten sind mit einer Flüchtigkeit ausgearbeitet, wie man sie nur bei einem Operntext begreift: allein die Haltung und der Ton des Ganzen entspricht doch dem Gegenstand, und mit Hilfe der Wcberschcn Musik und von einer anmuthigen Schauspielerin vorgetragen, macht es immer noch einen leidlichen Eindruck. Wie aber Longfellow eigentlich dazu gekommen ist, aus diesem novellistischen Stoff ein Drama zu machen, ist schwer zu begreifen. Er hat sich nicht die geringste Mühe gegeben, einen dramatischen oder theatralischen Zusammenhang herzustellen. Als Beleg wollen wir eine Scene voll¬ ständig abschreiben. „Die Bühne. Das Orchester spielt die Cachncha. Man hört Castagnetten hinter der Scene. Der Vorhang geht ans und zeigt Preciosa, welche den Tanz beginnt. Die Cackncha. Unruhe. Zischen. Man schreit Brav« und Afuera. Preciosa bleibt endlich betroffen stehen. Die Musik hört auf. All¬ gemeine Verwirrung. Preciosa stürzt ohnmächtig hin."—Diese Scene, bei wel¬ cher der Dichter doch unmöglich an die wirkliche Aufführung gedacht haben kann, steht keineswegs allein. Das Durcheinander der Auftritte ist vielmehr so groß, daß selbst die Freiheiten des Shakespcarcschen Theaters weit' dahinter zurückbleiben. So¬ wenig die theatralische Einheit erreicht ist, sowenig ist es auch dem Dichter gelungen, wirkliche Charaktere hervorzubringen. In dieser Beziehung steht das Stück mit der deutschen Preciosa aus demselben Niveau. Dagegen ist das Costüm mit der Sorgfalt behandelt, wie es etwa die Schule Victor Hugos zu thun pflegt, und man glaubt zuweilen, das Drama wäre nur um der Genrebilder wegen da, die freilich zum Theil sehr geistreich und liebenswürdig ausgeführt sind. Aber alle diese Maulthiertreiber-, Banditen-, Studentenscenen hätten in einer Novelle einen viel schicklicheren Platz gefunden. — — Die Schlettersche Galerie wird jetzt, wie wir hören, zu gewissen Zeiten geöffnet. Es scheint uns aber, als habe das Leipziger Puvlicum das Recht, davon benachrichtigt zu werden, da sie doch ihm gehör und nicht einigen Privatpersonen, und da der Rechtspunkt wichtiger ist als die Convenance. — Herausgegeben von Gustav Freytag »ut Julian Schmidt. Als verantwvrtl. Redacteur legitiniirt: F. W. Grunow. — Verlag von F. L. Herblg in Leipzig. Druck von <5. <5. Elbert in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/368>, abgerufen am 27.07.2024.