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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band.

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dem wirklichen Leben für die künstlerischen Mängel entschädigen. Der Verfasser
hat ein glückliches Talent der Beobachtung und er versteht, was er gesehen,
in treffenden Zügen wiederzugeben. Aber wo er die Grenze der wirklichen
Beobachtung überschreitet, verliert er sich leicht ins Triviale oder Fratzenhafte.
Die Scenen aus dem Stillleben einer Schneiderwerkstätte in Wesel, einer
Barbierstube zu Amsterdam u. tgi. sind vortrefflich, zum Theil glänzend
ausgemalt. Wo er sich dagegen in die höhere Politik versteigt, in Jesuitismus
und die Hofintrigue, finden wir uns in das gemeine Gebiet des Melodramas
versetzt. Noch vor zweierlei möchten wir den Dichter warnen: einmal muß er
seine medicinischen Beobachtungen von Krankheitsfällen u. tgi. mehr nicht
zu weit ausdehnen; denn so interessant dergleichen Beobachtungen sind und so¬
viel Gelegenheit sie dem Virtuosen geben, seine Studien zu verwerthen, so ver¬
letzen sie doch im Roman den guten Geschmack. Sodann muß er sehr sorg¬
fältig überlegen, wieweit er historische Persönlichkeiten, die noch im Gedächtniß
der Menschen fortleben, in den Kreis der Dichtung ziehen darf. So gibt er
z. B. von Ludwig Devrient und Seidelmann ausführliche Schilderungen, die
sich über das rein Künstlerische hinaus in das Gebiet des Privatlebens er¬
strecken und die nur dann Berechtigung haben, wenn sie beglaubigt werden
können. Die Zeit, da der Freischütz zuerst aufgeführt wurde, steht uns noch
zu nah, als daß wir mit den dabei beteiligten Persönlichkeiten zu freien poeti¬
schen Zwecken willkürlich schalten und walten könnten. -- Trotz dieser Aus¬
stellung gehört der Roman doch zu denjenigen, die ihr Publicum finden werden
und die für die Zukunft Besseres versprechen. --


Ein Karneval in Dresden. Scenen aus dem Leben eines sächsischen Offiziers.
Roman von Caroline von Göhren. 2. Band. Dresden, Litcratnr-
bureau. --

Die Verfasserin, die bereits durch eine Reihe von Erzählungen sich den
Beifall des Lesepublicums verschafft hat, stellt uns diesmal die Welt des Hofes
dar; sie macht uns mit Persönlichkeiten bekannt, die, ohne grade musterhaft zu
sein, doch eine gewisse Gutmüthigkeit und Bildungsfähigkeit nicht verleugnen,
denn auch der Intriguant hat im Grunde keine schlechte Natur; da der Kreis
des Hofes so gut zum wirklichen Leben der Nation gehört, als die Bauerstube, die
jetzt der beliebteste Aufenthalt der Romane sind, so wird man es einer Dame,
die in jenen Regionen bekannt ist, nur Dank wissen, wenn sie uns dieselben zu
schildern unternimmt. Nur will es uns scheinen, als ob hinter diesen Schil¬
derungen eine kleine schalkhafte Ironie stecke, als ob die Verfasserin uns vor
zugsweise habe versinnlichen wollen, wie inhaltlos im Grunde jene zierliche,
feine oder große Welt sei, die zwar zu Romanen triebe, aber nach Goethes
Ausdruck auch zum kleinsten Gedicht keine Gelegenheit gibt. Die einzigen'"'"^""'"'''^


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dem wirklichen Leben für die künstlerischen Mängel entschädigen. Der Verfasser
hat ein glückliches Talent der Beobachtung und er versteht, was er gesehen,
in treffenden Zügen wiederzugeben. Aber wo er die Grenze der wirklichen
Beobachtung überschreitet, verliert er sich leicht ins Triviale oder Fratzenhafte.
Die Scenen aus dem Stillleben einer Schneiderwerkstätte in Wesel, einer
Barbierstube zu Amsterdam u. tgi. sind vortrefflich, zum Theil glänzend
ausgemalt. Wo er sich dagegen in die höhere Politik versteigt, in Jesuitismus
und die Hofintrigue, finden wir uns in das gemeine Gebiet des Melodramas
versetzt. Noch vor zweierlei möchten wir den Dichter warnen: einmal muß er
seine medicinischen Beobachtungen von Krankheitsfällen u. tgi. mehr nicht
zu weit ausdehnen; denn so interessant dergleichen Beobachtungen sind und so¬
viel Gelegenheit sie dem Virtuosen geben, seine Studien zu verwerthen, so ver¬
letzen sie doch im Roman den guten Geschmack. Sodann muß er sehr sorg¬
fältig überlegen, wieweit er historische Persönlichkeiten, die noch im Gedächtniß
der Menschen fortleben, in den Kreis der Dichtung ziehen darf. So gibt er
z. B. von Ludwig Devrient und Seidelmann ausführliche Schilderungen, die
sich über das rein Künstlerische hinaus in das Gebiet des Privatlebens er¬
strecken und die nur dann Berechtigung haben, wenn sie beglaubigt werden
können. Die Zeit, da der Freischütz zuerst aufgeführt wurde, steht uns noch
zu nah, als daß wir mit den dabei beteiligten Persönlichkeiten zu freien poeti¬
schen Zwecken willkürlich schalten und walten könnten. — Trotz dieser Aus¬
stellung gehört der Roman doch zu denjenigen, die ihr Publicum finden werden
und die für die Zukunft Besseres versprechen. —


Ein Karneval in Dresden. Scenen aus dem Leben eines sächsischen Offiziers.
Roman von Caroline von Göhren. 2. Band. Dresden, Litcratnr-
bureau. —

Die Verfasserin, die bereits durch eine Reihe von Erzählungen sich den
Beifall des Lesepublicums verschafft hat, stellt uns diesmal die Welt des Hofes
dar; sie macht uns mit Persönlichkeiten bekannt, die, ohne grade musterhaft zu
sein, doch eine gewisse Gutmüthigkeit und Bildungsfähigkeit nicht verleugnen,
denn auch der Intriguant hat im Grunde keine schlechte Natur; da der Kreis
des Hofes so gut zum wirklichen Leben der Nation gehört, als die Bauerstube, die
jetzt der beliebteste Aufenthalt der Romane sind, so wird man es einer Dame,
die in jenen Regionen bekannt ist, nur Dank wissen, wenn sie uns dieselben zu
schildern unternimmt. Nur will es uns scheinen, als ob hinter diesen Schil¬
derungen eine kleine schalkhafte Ironie stecke, als ob die Verfasserin uns vor
zugsweise habe versinnlichen wollen, wie inhaltlos im Grunde jene zierliche,
feine oder große Welt sei, die zwar zu Romanen triebe, aber nach Goethes
Ausdruck auch zum kleinsten Gedicht keine Gelegenheit gibt. Die einzigen'"'"^""'"'''^


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[0139] dem wirklichen Leben für die künstlerischen Mängel entschädigen. Der Verfasser hat ein glückliches Talent der Beobachtung und er versteht, was er gesehen, in treffenden Zügen wiederzugeben. Aber wo er die Grenze der wirklichen Beobachtung überschreitet, verliert er sich leicht ins Triviale oder Fratzenhafte. Die Scenen aus dem Stillleben einer Schneiderwerkstätte in Wesel, einer Barbierstube zu Amsterdam u. tgi. sind vortrefflich, zum Theil glänzend ausgemalt. Wo er sich dagegen in die höhere Politik versteigt, in Jesuitismus und die Hofintrigue, finden wir uns in das gemeine Gebiet des Melodramas versetzt. Noch vor zweierlei möchten wir den Dichter warnen: einmal muß er seine medicinischen Beobachtungen von Krankheitsfällen u. tgi. mehr nicht zu weit ausdehnen; denn so interessant dergleichen Beobachtungen sind und so¬ viel Gelegenheit sie dem Virtuosen geben, seine Studien zu verwerthen, so ver¬ letzen sie doch im Roman den guten Geschmack. Sodann muß er sehr sorg¬ fältig überlegen, wieweit er historische Persönlichkeiten, die noch im Gedächtniß der Menschen fortleben, in den Kreis der Dichtung ziehen darf. So gibt er z. B. von Ludwig Devrient und Seidelmann ausführliche Schilderungen, die sich über das rein Künstlerische hinaus in das Gebiet des Privatlebens er¬ strecken und die nur dann Berechtigung haben, wenn sie beglaubigt werden können. Die Zeit, da der Freischütz zuerst aufgeführt wurde, steht uns noch zu nah, als daß wir mit den dabei beteiligten Persönlichkeiten zu freien poeti¬ schen Zwecken willkürlich schalten und walten könnten. — Trotz dieser Aus¬ stellung gehört der Roman doch zu denjenigen, die ihr Publicum finden werden und die für die Zukunft Besseres versprechen. — Ein Karneval in Dresden. Scenen aus dem Leben eines sächsischen Offiziers. Roman von Caroline von Göhren. 2. Band. Dresden, Litcratnr- bureau. — Die Verfasserin, die bereits durch eine Reihe von Erzählungen sich den Beifall des Lesepublicums verschafft hat, stellt uns diesmal die Welt des Hofes dar; sie macht uns mit Persönlichkeiten bekannt, die, ohne grade musterhaft zu sein, doch eine gewisse Gutmüthigkeit und Bildungsfähigkeit nicht verleugnen, denn auch der Intriguant hat im Grunde keine schlechte Natur; da der Kreis des Hofes so gut zum wirklichen Leben der Nation gehört, als die Bauerstube, die jetzt der beliebteste Aufenthalt der Romane sind, so wird man es einer Dame, die in jenen Regionen bekannt ist, nur Dank wissen, wenn sie uns dieselben zu schildern unternimmt. Nur will es uns scheinen, als ob hinter diesen Schil¬ derungen eine kleine schalkhafte Ironie stecke, als ob die Verfasserin uns vor zugsweise habe versinnlichen wollen, wie inhaltlos im Grunde jene zierliche, feine oder große Welt sei, die zwar zu Romanen triebe, aber nach Goethes Ausdruck auch zum kleinsten Gedicht keine Gelegenheit gibt. Die einzigen'"'"^""'"'''^ ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_281149/139>, abgerufen am 27.07.2024.