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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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führt Buch über ihre immensen Empfindungen "ut scheint die wirkliche Welt
entweder wenig zu kennen, oder wenig Beobachtungstalent zu haben. Sie ist
übrigens von der reinsten kaiserlich königlichen Gesinnung, und das geht so weit,
daß sie den Kaiser Franz Joseph und seine erlauchte Mutter, um sie zu verherr¬
lichen, selber nnter ihre Nomanfiguren mit aufnimmt. Wir finden das Unter¬
nehmen, von wie guter Absicht es auch ausgehen mag, dennoch etwas vermessen,
denn obgleich dem Benehmen des Kaisers und der Erzherzogin Sophie die nn-
gemessenste Anbetung gezollt wird, so ist dies Benehmen doch nicht der Wirk¬
lichkeit entnommen, sondern von der Dichterin erfunden. Es sieht also wie eine
Zumuthung aus, die man an jene allerhöchsten Personen zu stellen wagt. Selbst
die Verehrung kann zudringlich werden; das sollten unsere loyalen Dichter nicht
vergessen, wenn sie ihre Gebieter besingen. --


Drei Märchen: 1) das Heimelchcn; 2) aus den Papieren eines Spatzen; 3) Mond-
kvuigs Tochter. Mit 1-1 Illustrationen. Neue Ausgabe. Berlin, v. Anumschcr
Verlag. --

Es ist eigentlich keine neue Ausgabe, sondern es sind nur drei ältere Märchen
zusammengebunden. Das erste ist von 1846, das zweite vou 1848, das dritte
von 1849. Ob Frau von Arnim selbst die Verfasserin ist, oder ob die Märchen
nnr von dem Kreis ihres Umgangs ausgegangen sind, können wir nicht ent¬
scheiden, jedenfalls ist ilir Stil, wie der ihres Bruders, Clemens Brentano, be¬
stimmend gewesen. Den Preis verdienen die "Papiere eines Spatzen," die in
einer sehr heitern Laune geschrieben sind, und zwar ein wenig an Hoffmanns
Kater Murr erinnern, aber in Beziehung auf den Geschmack demselben vorzu¬
ziehen sind. Das kleine Leben, welches der Sperling von seinem Fenster ans
übersieht, ist voller Gemüth und in einen anmuthigen Rahmen gefaßt. Die
beiden andern Geschichten, namentlich die erste, sind viel gezierter; die beständige
Bemühung, zu spielen und zu tändeln, die Beziehung auf Gescllschaflswitze und
Traditionen, die dem Leser unbekannt sind, die fortwährend eingestreuten ästhe¬
tischen Bemerkungen und die durchschimmernde allegorische Tendenz ermüden auch
die wohlgesinnteste Aufmerksamkeit. Dagegen sind die hinzugefügte" Illustrationen
zum Theil von einem ganz allerliebsten Humor. --


Der Jmprovisator. Roman von H. C. Andersen. Original-Ausgabe des
Verfassers. (Sämmtliche Werke 2. Bd.) Leipzig, Lorck. --

Der Jmprovisator bildet den zweiten Theil der Sammlung, die wir im
vorigen Heft angezeigt haben. Er kommt zwar an Werth den Märchen keineswegs
gleich, aber es ist doch ein schönes, mit Andacht und Liebe geschriebenes Buch.
Der Dichter hat ungefähr die nämliche Tendenz verfolgt, wie Frau v. Staöl in
ihrer Corinna, nämlich ein Gesammtbild von dem Genius Italiens zu geben. Wenn
man diese beiden Versuche miteinander vergleicht, erkennt man recht lebhaft, wie-


führt Buch über ihre immensen Empfindungen »ut scheint die wirkliche Welt
entweder wenig zu kennen, oder wenig Beobachtungstalent zu haben. Sie ist
übrigens von der reinsten kaiserlich königlichen Gesinnung, und das geht so weit,
daß sie den Kaiser Franz Joseph und seine erlauchte Mutter, um sie zu verherr¬
lichen, selber nnter ihre Nomanfiguren mit aufnimmt. Wir finden das Unter¬
nehmen, von wie guter Absicht es auch ausgehen mag, dennoch etwas vermessen,
denn obgleich dem Benehmen des Kaisers und der Erzherzogin Sophie die nn-
gemessenste Anbetung gezollt wird, so ist dies Benehmen doch nicht der Wirk¬
lichkeit entnommen, sondern von der Dichterin erfunden. Es sieht also wie eine
Zumuthung aus, die man an jene allerhöchsten Personen zu stellen wagt. Selbst
die Verehrung kann zudringlich werden; das sollten unsere loyalen Dichter nicht
vergessen, wenn sie ihre Gebieter besingen. —


Drei Märchen: 1) das Heimelchcn; 2) aus den Papieren eines Spatzen; 3) Mond-
kvuigs Tochter. Mit 1-1 Illustrationen. Neue Ausgabe. Berlin, v. Anumschcr
Verlag. —

Es ist eigentlich keine neue Ausgabe, sondern es sind nur drei ältere Märchen
zusammengebunden. Das erste ist von 1846, das zweite vou 1848, das dritte
von 1849. Ob Frau von Arnim selbst die Verfasserin ist, oder ob die Märchen
nnr von dem Kreis ihres Umgangs ausgegangen sind, können wir nicht ent¬
scheiden, jedenfalls ist ilir Stil, wie der ihres Bruders, Clemens Brentano, be¬
stimmend gewesen. Den Preis verdienen die „Papiere eines Spatzen," die in
einer sehr heitern Laune geschrieben sind, und zwar ein wenig an Hoffmanns
Kater Murr erinnern, aber in Beziehung auf den Geschmack demselben vorzu¬
ziehen sind. Das kleine Leben, welches der Sperling von seinem Fenster ans
übersieht, ist voller Gemüth und in einen anmuthigen Rahmen gefaßt. Die
beiden andern Geschichten, namentlich die erste, sind viel gezierter; die beständige
Bemühung, zu spielen und zu tändeln, die Beziehung auf Gescllschaflswitze und
Traditionen, die dem Leser unbekannt sind, die fortwährend eingestreuten ästhe¬
tischen Bemerkungen und die durchschimmernde allegorische Tendenz ermüden auch
die wohlgesinnteste Aufmerksamkeit. Dagegen sind die hinzugefügte» Illustrationen
zum Theil von einem ganz allerliebsten Humor. —


Der Jmprovisator. Roman von H. C. Andersen. Original-Ausgabe des
Verfassers. (Sämmtliche Werke 2. Bd.) Leipzig, Lorck. —

Der Jmprovisator bildet den zweiten Theil der Sammlung, die wir im
vorigen Heft angezeigt haben. Er kommt zwar an Werth den Märchen keineswegs
gleich, aber es ist doch ein schönes, mit Andacht und Liebe geschriebenes Buch.
Der Dichter hat ungefähr die nämliche Tendenz verfolgt, wie Frau v. Staöl in
ihrer Corinna, nämlich ein Gesammtbild von dem Genius Italiens zu geben. Wenn
man diese beiden Versuche miteinander vergleicht, erkennt man recht lebhaft, wie-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/444>, abgerufen am 22.07.2024.