Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.hintere, nach allen Seiten bin gleichmäßig ausgebildete Natur gehört nicht blos Eine Schriftstellerin. Roman von Wilhelmine von Gehren. Stuttgart. Mänler. -- Wir haben bereits in einem früher" Artikel über "cuc Romane unsere hintere, nach allen Seiten bin gleichmäßig ausgebildete Natur gehört nicht blos Eine Schriftstellerin. Roman von Wilhelmine von Gehren. Stuttgart. Mänler. — Wir haben bereits in einem früher» Artikel über »cuc Romane unsere <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0443" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/96618"/> <p xml:id="ID_1540" prev="#ID_1539"> hintere, nach allen Seiten bin gleichmäßig ausgebildete Natur gehört nicht blos<lb/> ihrem Vaterlands an, sie ist ein Eigenthum aller Welt. Wer bat ohne Interesse<lb/> die gemüthlichen Schilderungen Auerbachs von dem Schwarzwälder Dorfleben<lb/> gelesen? Und doch glauben wir, daß die Mehrzahl der deutschen Leser, wen»<lb/> sie ganz offen sind, zugestehe» werden, daß ihnen die Pickwickier n»d alle die<lb/> übrigen bumovistischcn Figuren von Dickens weit naher sieben, daß sie sich viel<lb/> leichter in sie hineinfinden und mit ihnen sympathisiren, als es bei dem wackern<lb/> Wadeleswirth und dem Buchmeicr je der Fall sein kaun, nud wenn wir uns je<lb/> über die Verbreitung eines Schriftstellers freuen, so ist es bei Dickens. Als<lb/> Dichter hat auch er starke Fehler begangen, und wir habe» in diesen Blättern<lb/> schon mehrfach darauf hingewiesen; aber es pulsirt in ihm ein frisches, gesundes<lb/> „ut reich bewegtes Lebensblut, wie wir es bei unsern Novellisten auch annähe-<lb/> rungsweise nur in den seltensten Fällen finden; und was die Hauptsache ist, er<lb/> ist durch und durch gesund. Sei es, daß er vvrtraitirt, oder sich auch in übermü¬<lb/> thigen phantastischen Arabeske» bewegt, überall athmet bei ihm el» lebhaftes und<lb/> richtiges, sittliches Gefühl, eine i»te»sive Freude am Lebe», eine innige, aber nichts<lb/> wemger als sentimentale Liebe zur Rat»r. Nu» gelingt es uns selten, ein Werk,<lb/> welches auch durch seine Form bedeutende Ansprüche macht, in unserer Sprache<lb/> so vollständig wiederzugeben, daß wir einen reinen, unbeschränkten Genuß davon<lb/> haben. Die vorliegende Uebersetzung hat wenigstens nach einer Seite hiu ihre<lb/> Aufgabe vollkommen erfüllt; sie gibt die poetische Färbung, den Ton nud die<lb/> Stimmung ans das glücklichste wieder, und befriedigt um so mehr, je bescheidener<lb/> sie zu Werke geht, je weniger sie sich darauf einläßt, die dialektische» Formen, die<lb/> Sprachvcrdrehmigen und dergleichen durch analoge Formen der deutschen Sprache<lb/> oder dnrch neugeschaffene Wendungen wiederzugebe». Sie beschränkt sich in die¬<lb/> ser Beziehung lediglich a»f gelinde Andeutungen, nud das ist auch vollkommen<lb/> richtig. Wenn man also anch hie und da einem Fehler der Flüchtigkeit begegnet,<lb/> so wird dadurch der Totaleindruck nicht im geringsten gestört, und Herr Scybt<lb/> verdient ein nicht gemeines Lob, sich so ganz in seinen Dichter eingelebt und ihn<lb/> verstanden zu haben. Der höchst niedrig gestellte Preis der Sammlung, die doch<lb/> gut ausgestattet ist, wird ihr hoffentlich eine weite Verbreitung im deutschen<lb/> Publicum verschaffen. —</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Eine Schriftstellerin. Roman von Wilhelmine von Gehren. Stuttgart.<lb/> Mänler. —</head><lb/> <p xml:id="ID_1541" next="#ID_1542"> Wir haben bereits in einem früher» Artikel über »cuc Romane unsere<lb/> Wünsche ausgesprochen, in welcher Art eine Dichterin ihr eignes Wesen schildern<lb/> sollte. Diese Wünsche werden in dem vorliegenden Roman durchaus nicht be-<lb/> befriedigt. Die Dichterin erinnert dnrch ihre Selbstüberschätzung lebhaft an die<lb/> Gräfin Hcchu, mit der sie aber an Talent durchaus uicht zu vergleichen ist. Sie</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0443]
hintere, nach allen Seiten bin gleichmäßig ausgebildete Natur gehört nicht blos
ihrem Vaterlands an, sie ist ein Eigenthum aller Welt. Wer bat ohne Interesse
die gemüthlichen Schilderungen Auerbachs von dem Schwarzwälder Dorfleben
gelesen? Und doch glauben wir, daß die Mehrzahl der deutschen Leser, wen»
sie ganz offen sind, zugestehe» werden, daß ihnen die Pickwickier n»d alle die
übrigen bumovistischcn Figuren von Dickens weit naher sieben, daß sie sich viel
leichter in sie hineinfinden und mit ihnen sympathisiren, als es bei dem wackern
Wadeleswirth und dem Buchmeicr je der Fall sein kaun, nud wenn wir uns je
über die Verbreitung eines Schriftstellers freuen, so ist es bei Dickens. Als
Dichter hat auch er starke Fehler begangen, und wir habe» in diesen Blättern
schon mehrfach darauf hingewiesen; aber es pulsirt in ihm ein frisches, gesundes
„ut reich bewegtes Lebensblut, wie wir es bei unsern Novellisten auch annähe-
rungsweise nur in den seltensten Fällen finden; und was die Hauptsache ist, er
ist durch und durch gesund. Sei es, daß er vvrtraitirt, oder sich auch in übermü¬
thigen phantastischen Arabeske» bewegt, überall athmet bei ihm el» lebhaftes und
richtiges, sittliches Gefühl, eine i»te»sive Freude am Lebe», eine innige, aber nichts
wemger als sentimentale Liebe zur Rat»r. Nu» gelingt es uns selten, ein Werk,
welches auch durch seine Form bedeutende Ansprüche macht, in unserer Sprache
so vollständig wiederzugeben, daß wir einen reinen, unbeschränkten Genuß davon
haben. Die vorliegende Uebersetzung hat wenigstens nach einer Seite hiu ihre
Aufgabe vollkommen erfüllt; sie gibt die poetische Färbung, den Ton nud die
Stimmung ans das glücklichste wieder, und befriedigt um so mehr, je bescheidener
sie zu Werke geht, je weniger sie sich darauf einläßt, die dialektische» Formen, die
Sprachvcrdrehmigen und dergleichen durch analoge Formen der deutschen Sprache
oder dnrch neugeschaffene Wendungen wiederzugebe». Sie beschränkt sich in die¬
ser Beziehung lediglich a»f gelinde Andeutungen, nud das ist auch vollkommen
richtig. Wenn man also anch hie und da einem Fehler der Flüchtigkeit begegnet,
so wird dadurch der Totaleindruck nicht im geringsten gestört, und Herr Scybt
verdient ein nicht gemeines Lob, sich so ganz in seinen Dichter eingelebt und ihn
verstanden zu haben. Der höchst niedrig gestellte Preis der Sammlung, die doch
gut ausgestattet ist, wird ihr hoffentlich eine weite Verbreitung im deutschen
Publicum verschaffen. —
Eine Schriftstellerin. Roman von Wilhelmine von Gehren. Stuttgart.
Mänler. —
Wir haben bereits in einem früher» Artikel über »cuc Romane unsere
Wünsche ausgesprochen, in welcher Art eine Dichterin ihr eignes Wesen schildern
sollte. Diese Wünsche werden in dem vorliegenden Roman durchaus nicht be-
befriedigt. Die Dichterin erinnert dnrch ihre Selbstüberschätzung lebhaft an die
Gräfin Hcchu, mit der sie aber an Talent durchaus uicht zu vergleichen ist. Sie
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