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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band.

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Werke die möglichst unpassenden Titel auszusuchen? Von Unterhaltungen im
Bade ist in diesem Roman keine Rede, und ob er aus den Papieren einer hoch¬
gestellten Dame entnommen ist, kann dem Leser auch gleichgiltig sein, da er
nichts anderes enthält, als die romantisirte Jugendgeschichte des bekannten Frie-
fensfürstcn Don Manuel Godoy, und da sich diese schwerlich auf geheime Docu-
mente stützt. In der Bildung der Charaktere wie der Situationen ist viel Her¬
gebrachtes, ein rontinirter Romanleser wird nicht viel Neues finden, aber die
Erzählung ist gut, die Ereignisse trotz ihrer bunten Mannigfaltigkeiten verständig
gruppirt und die Erfindungen nicht zu unmäßig.--


Vier Lebenstage. Novelle von Auguste Linden. Kassel, Vollmann. --

Der Stil verräth eine ungeübte Hand, und gehört eigentlich einer frühern
Periode der Romantik an; die Anlage der Handlung selbst empfiehlt sich durch
eine gewisse Bescheidenheit. --


Sally's Revolutionstage. Herausgegeben von Ulrich Hegner. Winterthur,
1814', Steiner. --

Die guten Leistungen aus der modernen belletristischen Literatur, die wir in diesen
Blättern anzuführen haben, find nicht so zahlreich, daß wir uns nicht zuweilen versucht
fühlen sollten, ans ältere Schriften zurückzugehen, die früher als billig der Vergessenheit
anheim gefallen sind. Die angeführte Schrift gehört ohne Zweifel in diese Gattung,
und sie würde auch vielleicht grade in unsern Tagen wieder Anklang finden, wo das
Interesse für Dorfgeschichte" nach allen Seiten hin so lebhast geworden ist. Was
den Gegenstand und selbst die Tendenz betrifft, so finden wir viel Aehnlichkeit
mit Jeremias Gotthelf. Der Verfasser gehört streng der conservativen Richtung
an, d. h. er hält es für unrecht, allgemeine Beweggründe der individuellen
Handlungsweise unterzuschieben und um eiuer höhern Idee willen die nächsten
Bestimmungen der Sittlichkeit hintanzusetzen. "Gott bewahre Dich vor gesuchtem
Berufe, sagte eine warnende Stimme zum Helden dieser Geschichte; jede mensch¬
liche Unternehmung, wovon nicht Liebe und nächste Pflicht die Triebfedern sind,
ist eitel!" Allem er geht in diesem conservativen Princip nicht so weit, und er
unterscheidet sich schon durch seine religiöse Haltung; er ist entschiedener Rationalist.
An Feinheit der psychologischen Beobachtung kommt er Gotthelf wenigstens sehr
nahe, wenn auch seine Phantasie nicht so lebendig in der Ausmalung der Details
ist; dagegen übertrifft er ihn in der Grazie und in dem Tact der Komposition
bei weitem; er gibt uns nie diese Charakterköpfe mit üppig überquellendem
Leben , aber er ermüdet uns auch uicht durch verzögernde Episoden. Die Ge¬
sinnung, die sich in dem Ganzen ausspricht, verdient auch jetzt noch alle Be-
herzigung. --


Grenzboten. III. 1863. 14

Werke die möglichst unpassenden Titel auszusuchen? Von Unterhaltungen im
Bade ist in diesem Roman keine Rede, und ob er aus den Papieren einer hoch¬
gestellten Dame entnommen ist, kann dem Leser auch gleichgiltig sein, da er
nichts anderes enthält, als die romantisirte Jugendgeschichte des bekannten Frie-
fensfürstcn Don Manuel Godoy, und da sich diese schwerlich auf geheime Docu-
mente stützt. In der Bildung der Charaktere wie der Situationen ist viel Her¬
gebrachtes, ein rontinirter Romanleser wird nicht viel Neues finden, aber die
Erzählung ist gut, die Ereignisse trotz ihrer bunten Mannigfaltigkeiten verständig
gruppirt und die Erfindungen nicht zu unmäßig.—


Vier Lebenstage. Novelle von Auguste Linden. Kassel, Vollmann. —

Der Stil verräth eine ungeübte Hand, und gehört eigentlich einer frühern
Periode der Romantik an; die Anlage der Handlung selbst empfiehlt sich durch
eine gewisse Bescheidenheit. —


Sally's Revolutionstage. Herausgegeben von Ulrich Hegner. Winterthur,
1814', Steiner. —

Die guten Leistungen aus der modernen belletristischen Literatur, die wir in diesen
Blättern anzuführen haben, find nicht so zahlreich, daß wir uns nicht zuweilen versucht
fühlen sollten, ans ältere Schriften zurückzugehen, die früher als billig der Vergessenheit
anheim gefallen sind. Die angeführte Schrift gehört ohne Zweifel in diese Gattung,
und sie würde auch vielleicht grade in unsern Tagen wieder Anklang finden, wo das
Interesse für Dorfgeschichte» nach allen Seiten hin so lebhast geworden ist. Was
den Gegenstand und selbst die Tendenz betrifft, so finden wir viel Aehnlichkeit
mit Jeremias Gotthelf. Der Verfasser gehört streng der conservativen Richtung
an, d. h. er hält es für unrecht, allgemeine Beweggründe der individuellen
Handlungsweise unterzuschieben und um eiuer höhern Idee willen die nächsten
Bestimmungen der Sittlichkeit hintanzusetzen. „Gott bewahre Dich vor gesuchtem
Berufe, sagte eine warnende Stimme zum Helden dieser Geschichte; jede mensch¬
liche Unternehmung, wovon nicht Liebe und nächste Pflicht die Triebfedern sind,
ist eitel!" Allem er geht in diesem conservativen Princip nicht so weit, und er
unterscheidet sich schon durch seine religiöse Haltung; er ist entschiedener Rationalist.
An Feinheit der psychologischen Beobachtung kommt er Gotthelf wenigstens sehr
nahe, wenn auch seine Phantasie nicht so lebendig in der Ausmalung der Details
ist; dagegen übertrifft er ihn in der Grazie und in dem Tact der Komposition
bei weitem; er gibt uns nie diese Charakterköpfe mit üppig überquellendem
Leben , aber er ermüdet uns auch uicht durch verzögernde Episoden. Die Ge¬
sinnung, die sich in dem Ganzen ausspricht, verdient auch jetzt noch alle Be-
herzigung. —


Grenzboten. III. 1863. 14
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_96174/113>, abgerufen am 29.06.2024.