Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.Verfassers zu Grunde liegende Basis ruht nicht auf ganz festen Säulen, obgleich eine Theater. Die lustigen Weiber von Windsor, komische Oper von Otto Grcuzdote". I. -I8!>,'!. 1"
Verfassers zu Grunde liegende Basis ruht nicht auf ganz festen Säulen, obgleich eine Theater. Die lustigen Weiber von Windsor, komische Oper von Otto Grcuzdote». I. -I8!>,'!. 1»
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0081" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/185957"/> <p xml:id="ID_219" prev="#ID_218"> Verfassers zu Grunde liegende Basis ruht nicht auf ganz festen Säulen, obgleich eine<lb/> gewisse Sicherheit des Urtheils den weniger Aufmerksamer zu Anfange imponirt. Dem<lb/> Werke beigegeben sind die anatomischen Abbildungen des Kehlkopfes, der einzelnen Theile<lb/> und Muskeln desselben, der Lunge ze„ überhaupt aller der Organe, welche bei Erzeugung<lb/> des Tons mHr oder minder functionircnd auftreten.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Theater.</head> <p xml:id="ID_220" next="#ID_221"> Die lustigen Weiber von Windsor, komische Oper von Otto<lb/> Nicolai, wurden in Leipzig am Weihnachtsfeste das erste Mal aufgeführt. Das Buch ist<lb/> dem gleichnamigen Lustspiele Shakespeare'S entnommen und bleibt im Allgemeinen demselben<lb/> ziemlich treu. Die Musik bietet nicht zu viel Originelles, wie man überhaupt Otto Nicolai<lb/> nicht geniale Ueberschwänglichkeiten zum Borwnrsmachc» darf. Dieser relative Mangel gestaltet<lb/> sich jedoch unter den jetzt obwaltenden Verhältnissen in der dramatischen Musik zu einem<lb/> großen Lobe, denn die Sucht, Neues und Unerhörtes zu bringe», hat die jetzigen<lb/> Operncomponisten auf Abwege geführt. Nicolai hatte schon seit langen Jahren gegen<lb/> diese Genialitäten angestrebt, eigentlich schon zu den Zeiten, als Weber und Marschner<lb/> anfingen, berühmt und gesucht zu werden. Ein sehr verständiger Künstler erkannte er<lb/> schon zu jenen Zeiten die aufsteigenden Unwetter und er machte seinem Herzen durch<lb/> allerhand Aufsätze und Bücher Lust. Besonders richtete sich sein Eifer gegen die falsche<lb/> Stimmbehandlung einerseits, und sodann auf der andern Seite gegen die Uebermacht<lb/> des harmonischen Theils und die analoge Art und Weise, musikalische Gedanken aus¬<lb/> zuführen, blos in der Absicht, neu und originell zu erscheinen. Ein längeres Verweilen<lb/> in Italien hatte ihn in diesen Ansichten bestärkt; er verfocht besonders die Grundsätze<lb/> eines reinen, natürlichen Gesangs und einer ungekünstelten Harmonicführuug mit vielem<lb/> Eifer, ja oft fanatisch. Diese Aeußerungen der Reaction schienen damals uoch nicht<lb/> an der Zeit, und Nicolai trug keine andere Frucht seines Eifers davon, als den Namen<lb/> eines Apostaten, den er sich auch ehrlich dadurch verdiente, daß er Opern in rein<lb/> italienischem Style schrieb, freilich nur in der krankhaft sentimentalen Weise Bellini's,<lb/> wie dies z. B. aus seinem Templariv zum Erschrecken deutlich wird. Diese Opposition<lb/> war sowol unstatthaft, als unklug; das junge musikalische Deutschland rümpfte verächt¬<lb/> lich die Nasen, die Alten, welche noch an Cimarosa und Mozart glaubten, fanden seine<lb/> Schönthuerei mit den Schabloncncvmpvnisten der »eucsteu Zeit ungehörig und ketzerisch.<lb/> Als Nicolai vor sechs Jahren die „lustigen Weiber" aufführen ließ, war deshalb die<lb/> Stimmung gegen ihn; sie ist es noch heute, obwol in dieser Musik seine Thätigkeit zu<lb/> loben ist und seine Gesinnung geläutert erscheint. Die kritische Lust Berlins hat ihn<lb/> offenbar gestärkt, er unterscheidet freier und sicherer, seine Fantasie grünt und blüht, und<lb/> liegt nicht mehr in den Fesseln des ihn knechtenden AusländerthumS. Ferner sagt<lb/> Nicolai's Talent die komische Musik mehr zu, als die ernste. Ein tiefes, ernstes Gemüths-<lb/> leben lag wol nicht i» seiner Natur, darum mißlang es seinem Geiste, sich in tief tragische<lb/> Situationen hineinzuleben und sie in ergreifender Weise zu schildern; es gelang ihm<lb/> nicht, eine süßliche Sentimentalität zu überwinden. Aber ein feiner Kopf war Nicolai,<lb/> und groß gezogen in einer vortrefflichen und erschöpfenden Praxis. Sein Beobachtnngs-<lb/> talcnt fand reichliche Nahrung und seine umfassende Bildung ließ ihn eine segensreiche<lb/> und ihm selbst ersprießliche Kritik üben. Wie sehr ihn, alle diese Dinge zu Statten<lb/> kamen, zeigt die vorliegende Oper von Anfange bis zu Ende. 'Originelles und Neues<lb/> finde» wir nur an wenigen Stellen, und auch in diesen wird der Kenner el» leises</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grcuzdote». I. -I8!>,'!. 1»</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0081]
Verfassers zu Grunde liegende Basis ruht nicht auf ganz festen Säulen, obgleich eine
gewisse Sicherheit des Urtheils den weniger Aufmerksamer zu Anfange imponirt. Dem
Werke beigegeben sind die anatomischen Abbildungen des Kehlkopfes, der einzelnen Theile
und Muskeln desselben, der Lunge ze„ überhaupt aller der Organe, welche bei Erzeugung
des Tons mHr oder minder functionircnd auftreten.
Theater. Die lustigen Weiber von Windsor, komische Oper von Otto
Nicolai, wurden in Leipzig am Weihnachtsfeste das erste Mal aufgeführt. Das Buch ist
dem gleichnamigen Lustspiele Shakespeare'S entnommen und bleibt im Allgemeinen demselben
ziemlich treu. Die Musik bietet nicht zu viel Originelles, wie man überhaupt Otto Nicolai
nicht geniale Ueberschwänglichkeiten zum Borwnrsmachc» darf. Dieser relative Mangel gestaltet
sich jedoch unter den jetzt obwaltenden Verhältnissen in der dramatischen Musik zu einem
großen Lobe, denn die Sucht, Neues und Unerhörtes zu bringe», hat die jetzigen
Operncomponisten auf Abwege geführt. Nicolai hatte schon seit langen Jahren gegen
diese Genialitäten angestrebt, eigentlich schon zu den Zeiten, als Weber und Marschner
anfingen, berühmt und gesucht zu werden. Ein sehr verständiger Künstler erkannte er
schon zu jenen Zeiten die aufsteigenden Unwetter und er machte seinem Herzen durch
allerhand Aufsätze und Bücher Lust. Besonders richtete sich sein Eifer gegen die falsche
Stimmbehandlung einerseits, und sodann auf der andern Seite gegen die Uebermacht
des harmonischen Theils und die analoge Art und Weise, musikalische Gedanken aus¬
zuführen, blos in der Absicht, neu und originell zu erscheinen. Ein längeres Verweilen
in Italien hatte ihn in diesen Ansichten bestärkt; er verfocht besonders die Grundsätze
eines reinen, natürlichen Gesangs und einer ungekünstelten Harmonicführuug mit vielem
Eifer, ja oft fanatisch. Diese Aeußerungen der Reaction schienen damals uoch nicht
an der Zeit, und Nicolai trug keine andere Frucht seines Eifers davon, als den Namen
eines Apostaten, den er sich auch ehrlich dadurch verdiente, daß er Opern in rein
italienischem Style schrieb, freilich nur in der krankhaft sentimentalen Weise Bellini's,
wie dies z. B. aus seinem Templariv zum Erschrecken deutlich wird. Diese Opposition
war sowol unstatthaft, als unklug; das junge musikalische Deutschland rümpfte verächt¬
lich die Nasen, die Alten, welche noch an Cimarosa und Mozart glaubten, fanden seine
Schönthuerei mit den Schabloncncvmpvnisten der »eucsteu Zeit ungehörig und ketzerisch.
Als Nicolai vor sechs Jahren die „lustigen Weiber" aufführen ließ, war deshalb die
Stimmung gegen ihn; sie ist es noch heute, obwol in dieser Musik seine Thätigkeit zu
loben ist und seine Gesinnung geläutert erscheint. Die kritische Lust Berlins hat ihn
offenbar gestärkt, er unterscheidet freier und sicherer, seine Fantasie grünt und blüht, und
liegt nicht mehr in den Fesseln des ihn knechtenden AusländerthumS. Ferner sagt
Nicolai's Talent die komische Musik mehr zu, als die ernste. Ein tiefes, ernstes Gemüths-
leben lag wol nicht i» seiner Natur, darum mißlang es seinem Geiste, sich in tief tragische
Situationen hineinzuleben und sie in ergreifender Weise zu schildern; es gelang ihm
nicht, eine süßliche Sentimentalität zu überwinden. Aber ein feiner Kopf war Nicolai,
und groß gezogen in einer vortrefflichen und erschöpfenden Praxis. Sein Beobachtnngs-
talcnt fand reichliche Nahrung und seine umfassende Bildung ließ ihn eine segensreiche
und ihm selbst ersprießliche Kritik üben. Wie sehr ihn, alle diese Dinge zu Statten
kamen, zeigt die vorliegende Oper von Anfange bis zu Ende. 'Originelles und Neues
finde» wir nur an wenigen Stellen, und auch in diesen wird der Kenner el» leises
Grcuzdote». I. -I8!>,'!. 1»
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