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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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-- Ihr Scher hat die Blattfolgc meiner
letzten Botschaft garstig durcheinander gemischt! Es wäre ihm leicht zu vergeben, wenn
"ur der Zufall gewollt hätte, daß das Schlußvcrsprcchcn, über "Tannhäuser" berichten
zu wollen, gänzlich weggefallen wäre. Denn die Ausführung in Leipzig und die treff¬
lichen Besprechungen in den Grenzboten Habens überflüssig gemacht; auch hat sich das
hiesige Theaterinteresse bereits Neuem zugewendet, nehmlich Flotow's "Indra." Das
ist ein Sprung von ernster Mannesarbeit zu leichtester Tändelei. Deal man mag mit
den Wagner'sehe" Intentionen im Tannhäuser noch so wenig einverstanden sein -- wie
wir es sind -- und mag Flotow'S Fertigkeit in der "Mache" noch so hoch stellen:
immerhin bleibt Wagner's Werk eine wirkliche That, Flotow's Arbeit -- nun ja viel¬
leicht eine Arbeit. Aber leicht hat er sichs damit gemacht. Mnsard'S Quadrillen und
Flotow's frühere Productionen klinge" hauptsächlich aus der Musik der Oper, die in
ihrer Anlage und Ausführung gerade so "groß" und "romantisch" ist, daß man
I. Janin's bekanntes Wort von Rossini'S "joli" Requiem daraus anwenden
könnte. Auch der Puttlitz'sche Text trägt wahrlich nicht zur Erhöhung des innern
Gehaltes bei. Das sind Verse! Flotow hat sich oft nicht anders helfen können, als
indem er die stummen Endsylben der Worte mit dem musikalischen Nachdruck belegte,
was er indessen auch schon in früheren Opern liebte. Uns fällt aber bei dem,,


"Le-ben, Kom-men, Sir-gen"

der warnende Schulmcistervcrs ein:


. ^! >^>^^^! ^.^->^!-- ^
I>los ?oloni non lZM-IMUS <1UMt,jtUl."M L^IIi>I)NllM.

Fabrizircndc Flüchtigkeit zweier Männer, die Besseres leisten können, thut weh!
Wir Deutschen siud nun einmal noch nicht dahin, in Opern nur ein vicrzehutägiges
NnSfüllsel der Saison zu sehen. Mehr aber kann Indra trotz der hiesigen vortrefflichen
Ausführung schwerlich leisten. Man schaukelt sich auf leichten Melodien, die der Si¬
tuation nicht entsprechen, geht pfeifend nach Haus, und hat gar Nichts davongetragen.
Indessen soll damit keineswegs gesagt sein, daß sie nicht in der bevorstehenden Messe
zum Zugstück werden könnte. Leider zerrt ja das Publicum die musikalisch-dramatische,
wie die recitirendc Kunst dadurch immer mehr herab, daß es in ihr nur Ausfüllscl leerer
Abende erblickt. Auch daß das Käruthucrthorpublicum in Wien von Indra entzückt
sein mag, soll nicht in Abrede gestellt werden -- selbst wenn man nicht daran denkt,
daß der Ursprung von Musik und Text aus gutadeligcn Häusern sicherlich keineswegs
ohne Einfluß gewesen ist.

Unser rccitireudcs Schauspiel ist durch Herrn Devrient's heimlichen Abgang einiger¬
maßen in Verlegenheit; und man merkt es ihm an. Die Dramatisiruug von "Onkel
Tom's Hütte" durch einen gewissen Herrn Olfers hilft ihm gewiß nicht auf. Das
Stück ist eine so platte SpeculativuSarbeit, als nur je über die Bretter gegangen. Man
sagt übrigens, hinter dem Namen Olfers verberge sieh eine unserem Thcarerregimcut sehr
nahe stehende Persönlichkeit. Nicht nnr augenblicklich macht Herrn Devrient's Abgang
sich sehr fühlbar, er wird es auch noch lang hin sein, und es ist für Frankfurt keine
Entschädigung, wenn täglich in fetten Lettern auf dem Theaterzettel zu lesen ist:
"Eontractbrüchig Herr Devrient." Jedenfalls ist Etwas faul im Staate Dänemark,
Denn wollen wir auch Herrn Devrient gar nicht entschuldigen, so könne" wir doch
eben so wenig verschweigen, daß die ewige" Mißhelligkeilc" mit den besten Kräften des


— Ihr Scher hat die Blattfolgc meiner
letzten Botschaft garstig durcheinander gemischt! Es wäre ihm leicht zu vergeben, wenn
»ur der Zufall gewollt hätte, daß das Schlußvcrsprcchcn, über „Tannhäuser" berichten
zu wollen, gänzlich weggefallen wäre. Denn die Ausführung in Leipzig und die treff¬
lichen Besprechungen in den Grenzboten Habens überflüssig gemacht; auch hat sich das
hiesige Theaterinteresse bereits Neuem zugewendet, nehmlich Flotow's „Indra." Das
ist ein Sprung von ernster Mannesarbeit zu leichtester Tändelei. Deal man mag mit
den Wagner'sehe» Intentionen im Tannhäuser noch so wenig einverstanden sein — wie
wir es sind — und mag Flotow'S Fertigkeit in der „Mache" noch so hoch stellen:
immerhin bleibt Wagner's Werk eine wirkliche That, Flotow's Arbeit — nun ja viel¬
leicht eine Arbeit. Aber leicht hat er sichs damit gemacht. Mnsard'S Quadrillen und
Flotow's frühere Productionen klinge» hauptsächlich aus der Musik der Oper, die in
ihrer Anlage und Ausführung gerade so „groß" und „romantisch" ist, daß man
I. Janin's bekanntes Wort von Rossini'S „joli" Requiem daraus anwenden
könnte. Auch der Puttlitz'sche Text trägt wahrlich nicht zur Erhöhung des innern
Gehaltes bei. Das sind Verse! Flotow hat sich oft nicht anders helfen können, als
indem er die stummen Endsylben der Worte mit dem musikalischen Nachdruck belegte,
was er indessen auch schon in früheren Opern liebte. Uns fällt aber bei dem,,


„Le-ben, Kom-men, Sir-gen"

der warnende Schulmcistervcrs ein:


. ^! >^>^^^! ^.^->^!— ^
I>los ?oloni non lZM-IMUS <1UMt,jtUl.«M L^IIi>I)NllM.

Fabrizircndc Flüchtigkeit zweier Männer, die Besseres leisten können, thut weh!
Wir Deutschen siud nun einmal noch nicht dahin, in Opern nur ein vicrzehutägiges
NnSfüllsel der Saison zu sehen. Mehr aber kann Indra trotz der hiesigen vortrefflichen
Ausführung schwerlich leisten. Man schaukelt sich auf leichten Melodien, die der Si¬
tuation nicht entsprechen, geht pfeifend nach Haus, und hat gar Nichts davongetragen.
Indessen soll damit keineswegs gesagt sein, daß sie nicht in der bevorstehenden Messe
zum Zugstück werden könnte. Leider zerrt ja das Publicum die musikalisch-dramatische,
wie die recitirendc Kunst dadurch immer mehr herab, daß es in ihr nur Ausfüllscl leerer
Abende erblickt. Auch daß das Käruthucrthorpublicum in Wien von Indra entzückt
sein mag, soll nicht in Abrede gestellt werden — selbst wenn man nicht daran denkt,
daß der Ursprung von Musik und Text aus gutadeligcn Häusern sicherlich keineswegs
ohne Einfluß gewesen ist.

Unser rccitireudcs Schauspiel ist durch Herrn Devrient's heimlichen Abgang einiger¬
maßen in Verlegenheit; und man merkt es ihm an. Die Dramatisiruug von „Onkel
Tom's Hütte" durch einen gewissen Herrn Olfers hilft ihm gewiß nicht auf. Das
Stück ist eine so platte SpeculativuSarbeit, als nur je über die Bretter gegangen. Man
sagt übrigens, hinter dem Namen Olfers verberge sieh eine unserem Thcarerregimcut sehr
nahe stehende Persönlichkeit. Nicht nnr augenblicklich macht Herrn Devrient's Abgang
sich sehr fühlbar, er wird es auch noch lang hin sein, und es ist für Frankfurt keine
Entschädigung, wenn täglich in fetten Lettern auf dem Theaterzettel zu lesen ist:
„Eontractbrüchig Herr Devrient." Jedenfalls ist Etwas faul im Staate Dänemark,
Denn wollen wir auch Herrn Devrient gar nicht entschuldigen, so könne» wir doch
eben so wenig verschweigen, daß die ewige» Mißhelligkeilc» mit den besten Kräften des


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[0439] — Ihr Scher hat die Blattfolgc meiner letzten Botschaft garstig durcheinander gemischt! Es wäre ihm leicht zu vergeben, wenn »ur der Zufall gewollt hätte, daß das Schlußvcrsprcchcn, über „Tannhäuser" berichten zu wollen, gänzlich weggefallen wäre. Denn die Ausführung in Leipzig und die treff¬ lichen Besprechungen in den Grenzboten Habens überflüssig gemacht; auch hat sich das hiesige Theaterinteresse bereits Neuem zugewendet, nehmlich Flotow's „Indra." Das ist ein Sprung von ernster Mannesarbeit zu leichtester Tändelei. Deal man mag mit den Wagner'sehe» Intentionen im Tannhäuser noch so wenig einverstanden sein — wie wir es sind — und mag Flotow'S Fertigkeit in der „Mache" noch so hoch stellen: immerhin bleibt Wagner's Werk eine wirkliche That, Flotow's Arbeit — nun ja viel¬ leicht eine Arbeit. Aber leicht hat er sichs damit gemacht. Mnsard'S Quadrillen und Flotow's frühere Productionen klinge» hauptsächlich aus der Musik der Oper, die in ihrer Anlage und Ausführung gerade so „groß" und „romantisch" ist, daß man I. Janin's bekanntes Wort von Rossini'S „joli" Requiem daraus anwenden könnte. Auch der Puttlitz'sche Text trägt wahrlich nicht zur Erhöhung des innern Gehaltes bei. Das sind Verse! Flotow hat sich oft nicht anders helfen können, als indem er die stummen Endsylben der Worte mit dem musikalischen Nachdruck belegte, was er indessen auch schon in früheren Opern liebte. Uns fällt aber bei dem,, „Le-ben, Kom-men, Sir-gen" der warnende Schulmcistervcrs ein: . ^! >^>^^^! ^.^->^!— ^ I>los ?oloni non lZM-IMUS <1UMt,jtUl.«M L^IIi>I)NllM. Fabrizircndc Flüchtigkeit zweier Männer, die Besseres leisten können, thut weh! Wir Deutschen siud nun einmal noch nicht dahin, in Opern nur ein vicrzehutägiges NnSfüllsel der Saison zu sehen. Mehr aber kann Indra trotz der hiesigen vortrefflichen Ausführung schwerlich leisten. Man schaukelt sich auf leichten Melodien, die der Si¬ tuation nicht entsprechen, geht pfeifend nach Haus, und hat gar Nichts davongetragen. Indessen soll damit keineswegs gesagt sein, daß sie nicht in der bevorstehenden Messe zum Zugstück werden könnte. Leider zerrt ja das Publicum die musikalisch-dramatische, wie die recitirendc Kunst dadurch immer mehr herab, daß es in ihr nur Ausfüllscl leerer Abende erblickt. Auch daß das Käruthucrthorpublicum in Wien von Indra entzückt sein mag, soll nicht in Abrede gestellt werden — selbst wenn man nicht daran denkt, daß der Ursprung von Musik und Text aus gutadeligcn Häusern sicherlich keineswegs ohne Einfluß gewesen ist. Unser rccitireudcs Schauspiel ist durch Herrn Devrient's heimlichen Abgang einiger¬ maßen in Verlegenheit; und man merkt es ihm an. Die Dramatisiruug von „Onkel Tom's Hütte" durch einen gewissen Herrn Olfers hilft ihm gewiß nicht auf. Das Stück ist eine so platte SpeculativuSarbeit, als nur je über die Bretter gegangen. Man sagt übrigens, hinter dem Namen Olfers verberge sieh eine unserem Thcarerregimcut sehr nahe stehende Persönlichkeit. Nicht nnr augenblicklich macht Herrn Devrient's Abgang sich sehr fühlbar, er wird es auch noch lang hin sein, und es ist für Frankfurt keine Entschädigung, wenn täglich in fetten Lettern auf dem Theaterzettel zu lesen ist: „Eontractbrüchig Herr Devrient." Jedenfalls ist Etwas faul im Staate Dänemark, Denn wollen wir auch Herrn Devrient gar nicht entschuldigen, so könne» wir doch eben so wenig verschweigen, daß die ewige» Mißhelligkeilc» mit den besten Kräften des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/439>, abgerufen am 26.12.2024.