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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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nach einer andern. In diesem Augenblicke ist er im Begriffe, die Regierung von
der schweren Pflicht des öffentlichen Unterrichts zu befreien. Und wie zart, klug
und rücksichtsvoll benehmen sich die Herren in den schwarzen Röcken nicht! Sie
sagen den verschiedenen Privatlycecn und Privatpensionen durch das Organ der
Regierung: Ihr laßt Euch nicht genug zahlen, Eure Professoren haben zu viel
Nahrungssorgen und können nicht gut unterrichten, wir befehlen Euch daher,
Euch jährlich zweihundert Franken statt hundert Franken Univcrsitätökosten
(Schulsteuer) bezahlen zu lassen. Die Vorsteher der Lyceen bemerken freilich da¬
gegen, daß sie dieses Plus an Kosten selbst tragen oder von den Familien ver¬
langen müssen, und im ersten Falle gingen sie ans directe Weise zu Grnnde, im zwei¬
ten auf indirecte, weil die Familien sich weigern würden, die beträchtlichen Kosten
noch erhöhen zu lassen. Die Herren Priester zucken mitleidig mit den Achseln
und meinen nun, dann wird man in unsre großen und kleinen Seminarien
kommen, denn wir haben Geld und brauchen dem Staate nichts zu bezahlen, wir
können also billiger unterrichten. Den Gemeinden nehmen sie ebenfalls die Last
des Unterrichts von den Schultern und lassen sich blos die Gebäude modeln und
die etwaigen Staatöznschüfse statt jeder Art von Entgelt geben. Die Regierung
will, daß unsre Professoren besser bezahlt werden, und sie wendet sich an die
ohnehin genug in Anspruch genommenen Familien, sie selbst hat kein Geld, dem
öffentlichen Unterrichte zu Hilfe zu kommen, denn was uns trotz des glänzenden
Zustandes unsrer Finanzen übrig bleibt, das brauchen wir für unsre Unterofficiere.

Wenn erst die Unterofficiere zufrieden gestellt, der öffentliche Unterricht ge¬
regelt, die Jury ein Wenig -- der neuen Staatstheorie angemessen -- reformirt
sein und Frankreich religiöser gestimmt, die Ideen Voltaire's und Rousseau's
von der ganzen Generation aufgefaßt sein werde", wie von Herrn Granier ans
Cassaiguac, dann mögen wir wieder an die Freiheit zu denken wagen. Bis
dahin müssen wir unsre Entschädigung bei Monseigneur Sibour und bei Herrn
von Maupas suchen.


Musik.

Friedrich Kühmstcdt in Eisenach hat eine vierte Sammlung Lieder
mit Pianoforte bei Körner in Erfurt herausgegeben. Das Talent des Komponisten neigt
sich zu dem Sentimentalen und Elegischen, und auch in diesem Licderhcfte sind diese
Stimmungen vorherrschend und mit dem meisten Glücke behandelt. Die melodische Er¬
findungskraft kann nicht hervorragend genannt werden, doch weiß der verständige Künstler
immer die richtige Stimmung anzudeuten und auf edle Weise zu zeichnen, so daß ein
ernster Mensch einen ungetrübten Genuß erwarten darf. , Besser belohnt wird sich beim
Durchspielen des Hefts der Musiker finden, da eine Menge seiner und interessanter Züge
seine Aufmerksamkeit bald fesseln. Die Gewohnheit des Orgelspiels und die große
Uebung des Komponisten im Schreiben von Tonstücke" für dieses Instrument verleiten
ihn an einzelnen Stellen zu polyphonischen Schwerfälligkeiten, welche dem Wesen des
begleitenden Pianoforte nicht angemessen sind, und den Charakter des Liedes zu dem


nach einer andern. In diesem Augenblicke ist er im Begriffe, die Regierung von
der schweren Pflicht des öffentlichen Unterrichts zu befreien. Und wie zart, klug
und rücksichtsvoll benehmen sich die Herren in den schwarzen Röcken nicht! Sie
sagen den verschiedenen Privatlycecn und Privatpensionen durch das Organ der
Regierung: Ihr laßt Euch nicht genug zahlen, Eure Professoren haben zu viel
Nahrungssorgen und können nicht gut unterrichten, wir befehlen Euch daher,
Euch jährlich zweihundert Franken statt hundert Franken Univcrsitätökosten
(Schulsteuer) bezahlen zu lassen. Die Vorsteher der Lyceen bemerken freilich da¬
gegen, daß sie dieses Plus an Kosten selbst tragen oder von den Familien ver¬
langen müssen, und im ersten Falle gingen sie ans directe Weise zu Grnnde, im zwei¬
ten auf indirecte, weil die Familien sich weigern würden, die beträchtlichen Kosten
noch erhöhen zu lassen. Die Herren Priester zucken mitleidig mit den Achseln
und meinen nun, dann wird man in unsre großen und kleinen Seminarien
kommen, denn wir haben Geld und brauchen dem Staate nichts zu bezahlen, wir
können also billiger unterrichten. Den Gemeinden nehmen sie ebenfalls die Last
des Unterrichts von den Schultern und lassen sich blos die Gebäude modeln und
die etwaigen Staatöznschüfse statt jeder Art von Entgelt geben. Die Regierung
will, daß unsre Professoren besser bezahlt werden, und sie wendet sich an die
ohnehin genug in Anspruch genommenen Familien, sie selbst hat kein Geld, dem
öffentlichen Unterrichte zu Hilfe zu kommen, denn was uns trotz des glänzenden
Zustandes unsrer Finanzen übrig bleibt, das brauchen wir für unsre Unterofficiere.

Wenn erst die Unterofficiere zufrieden gestellt, der öffentliche Unterricht ge¬
regelt, die Jury ein Wenig — der neuen Staatstheorie angemessen — reformirt
sein und Frankreich religiöser gestimmt, die Ideen Voltaire's und Rousseau's
von der ganzen Generation aufgefaßt sein werde», wie von Herrn Granier ans
Cassaiguac, dann mögen wir wieder an die Freiheit zu denken wagen. Bis
dahin müssen wir unsre Entschädigung bei Monseigneur Sibour und bei Herrn
von Maupas suchen.


Musik.

Friedrich Kühmstcdt in Eisenach hat eine vierte Sammlung Lieder
mit Pianoforte bei Körner in Erfurt herausgegeben. Das Talent des Komponisten neigt
sich zu dem Sentimentalen und Elegischen, und auch in diesem Licderhcfte sind diese
Stimmungen vorherrschend und mit dem meisten Glücke behandelt. Die melodische Er¬
findungskraft kann nicht hervorragend genannt werden, doch weiß der verständige Künstler
immer die richtige Stimmung anzudeuten und auf edle Weise zu zeichnen, so daß ein
ernster Mensch einen ungetrübten Genuß erwarten darf. , Besser belohnt wird sich beim
Durchspielen des Hefts der Musiker finden, da eine Menge seiner und interessanter Züge
seine Aufmerksamkeit bald fesseln. Die Gewohnheit des Orgelspiels und die große
Uebung des Komponisten im Schreiben von Tonstücke» für dieses Instrument verleiten
ihn an einzelnen Stellen zu polyphonischen Schwerfälligkeiten, welche dem Wesen des
begleitenden Pianoforte nicht angemessen sind, und den Charakter des Liedes zu dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/406>, abgerufen am 27.06.2024.