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Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band.

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Wochenbericht.
Aus Frankfurt,

-- König Karneval regiert diesmal
nicht lang. Zienilich ans alle" größere" Städten Nagt man über die Flausen des
gesellschaftlichen Lebens, Paris ausgenommen, "ut Frankfurt steht darin nicht nach.
Wir sind Kaufleute und wissen warum. Doch ernsthaft gesprochen, jener Begriff
des Karnavals, wie ihn N'orddeulschland gewöhnlich am Rhein und in Süddentsch-
land denkt, gehört schon lang zu den überwundenen Standpunkten der Naivetät. Es
geht damit, wie mit der vielgerühmten Gemüthlichkeit, welche gewisse Blätter
noch immer als süddeutschen Erbpacht beanspruchen, während sich darüber unter
den Unbefangenen, welche in Süd-, wie in Norddeutschland gleichermaßen ver-
kehren, auch einigermaßen andere Erfahrungen als die traditionellen festgestellt
haben. Frankfurt hat sie niemals recht gekannt --nämlich die eigentliche Faschings¬
feier. Es war überhaupt von jeher arm an selbstständigen Volksfesten. Der
Kaiserpvmp hatte sie als Gnade gegeben, ehe die Stadt groß genng dazu wurde,
sie selbstständig zu entwickeln; nachher war's schon eine aristokratische Republik,
welche nicht mehr sür die ciroki>so8 des Volkes, desto eifriger dagegen für
?arten sorgte. Noch heute mag's auch schwerlich eine Stadt im heil. ron. Reiche
deutscher Nation geben -- etwa München ausgenommen wo Zünfte und In¬
nungen so ausgiebig geschützt sind, wie hier. Das hat, da der Staat klein blieb
und die Stadt zum Sammelpunkt so weiter Umgebungen wurde, in der That
ein sehr wohlhabendes Gcwcrbs-Bürgerthum geschaffen. Da "um nach seiner
Weise die andern Erwerbsarten sich ebenfalls zünftig zusammen thaten, giebts in
der That kein Proletariat. -- -

Gewöhnlich glaubt man, dieses wohne in Sachsenhauser. Auch darin bewahrt
man eine Tradition jener Zeit, wo die "gemoinc Lent" und die "Borger" am
Zopf zu unterscheiden waren. Die olympische Formlosigkeit des Stammes der
Sachsenhauser mochte das Ihrige ebenfalls dazu beitragen. Allein dahinter ver.
birgt sich ein sehr solider und wohlgeschätzter Erwerb, der eben so zünstisch, ja
beinah samilienhast festsitzt, wie der der eigentlichen Handwerker. Nur fünf
Sippschaften haben z. B. den höchst gewinnreichen Mainfischfang nebst den
Ueberfahrten über den Fluß. Eine andere Reihe von Familien betreibt das Mo¬
nopol des Einzlergeschäfts in Frankfurt, wieder eine andre die Handelsgärtnerei;
selbst die weltberühmten Holzhacker stehen in innungöartigem Gesammtverband.
Da drängt sich 'sehr schwer ein Fremder ein, und er käme auch nicht fort.
Er müßte denn äußerst mäßig leben, was nnr zu den untergeordneten Bestrebungen
des echten Sachsenhäusers gehört. Trotzdem kommt derselbe selten so weit zurück,
um z. B. als Eckensteher ans zufälligen Gewinn zu warten oder als Svnnen-
bruder ein prekäres Leben hinzubringen. Außer den Messen, wozu derartige


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Wochenbericht.
Aus Frankfurt,

— König Karneval regiert diesmal
nicht lang. Zienilich ans alle» größere» Städten Nagt man über die Flausen des
gesellschaftlichen Lebens, Paris ausgenommen, »ut Frankfurt steht darin nicht nach.
Wir sind Kaufleute und wissen warum. Doch ernsthaft gesprochen, jener Begriff
des Karnavals, wie ihn N'orddeulschland gewöhnlich am Rhein und in Süddentsch-
land denkt, gehört schon lang zu den überwundenen Standpunkten der Naivetät. Es
geht damit, wie mit der vielgerühmten Gemüthlichkeit, welche gewisse Blätter
noch immer als süddeutschen Erbpacht beanspruchen, während sich darüber unter
den Unbefangenen, welche in Süd-, wie in Norddeutschland gleichermaßen ver-
kehren, auch einigermaßen andere Erfahrungen als die traditionellen festgestellt
haben. Frankfurt hat sie niemals recht gekannt —nämlich die eigentliche Faschings¬
feier. Es war überhaupt von jeher arm an selbstständigen Volksfesten. Der
Kaiserpvmp hatte sie als Gnade gegeben, ehe die Stadt groß genng dazu wurde,
sie selbstständig zu entwickeln; nachher war's schon eine aristokratische Republik,
welche nicht mehr sür die ciroki>so8 des Volkes, desto eifriger dagegen für
?arten sorgte. Noch heute mag's auch schwerlich eine Stadt im heil. ron. Reiche
deutscher Nation geben — etwa München ausgenommen wo Zünfte und In¬
nungen so ausgiebig geschützt sind, wie hier. Das hat, da der Staat klein blieb
und die Stadt zum Sammelpunkt so weiter Umgebungen wurde, in der That
ein sehr wohlhabendes Gcwcrbs-Bürgerthum geschaffen. Da »um nach seiner
Weise die andern Erwerbsarten sich ebenfalls zünftig zusammen thaten, giebts in
der That kein Proletariat. — -

Gewöhnlich glaubt man, dieses wohne in Sachsenhauser. Auch darin bewahrt
man eine Tradition jener Zeit, wo die „gemoinc Lent" und die „Borger" am
Zopf zu unterscheiden waren. Die olympische Formlosigkeit des Stammes der
Sachsenhauser mochte das Ihrige ebenfalls dazu beitragen. Allein dahinter ver.
birgt sich ein sehr solider und wohlgeschätzter Erwerb, der eben so zünstisch, ja
beinah samilienhast festsitzt, wie der der eigentlichen Handwerker. Nur fünf
Sippschaften haben z. B. den höchst gewinnreichen Mainfischfang nebst den
Ueberfahrten über den Fluß. Eine andere Reihe von Familien betreibt das Mo¬
nopol des Einzlergeschäfts in Frankfurt, wieder eine andre die Handelsgärtnerei;
selbst die weltberühmten Holzhacker stehen in innungöartigem Gesammtverband.
Da drängt sich 'sehr schwer ein Fremder ein, und er käme auch nicht fort.
Er müßte denn äußerst mäßig leben, was nnr zu den untergeordneten Bestrebungen
des echten Sachsenhäusers gehört. Trotzdem kommt derselbe selten so weit zurück,
um z. B. als Eckensteher ans zufälligen Gewinn zu warten oder als Svnnen-
bruder ein prekäres Leben hinzubringen. Außer den Messen, wozu derartige


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 12, 1853, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341576_185875/299>, abgerufen am 26.12.2024.