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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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Das neueste ihrer Gedichte, welches sie aus Italien mitgebracht hat, ist:
"die Fenster der Casa Guidi", ein Brillantfeuer von allen möglichen Em¬
pfindungen, die sich in bizarrer Mischung dnrch einander dränge", in dem die
edelsten Gefühle sich bis zur Trunkenheit eines wilden Traumes steigern; eine
Reihe von bunten Nebelbildern, die ihren Sinn und ihren Zusammenhang ver¬
lieren, und die daher als Ganzes betrachtet einen unerfreulichen Eindruck hinter¬
lassen. -- Der Anfang ist schön. Ans dem Fenster eines Hauses zu Florenz
hört die Dichterin die Stimme eines Kindes, welches auf der Straße mit so Heller
Stimme 0 beUa libsrlir fingt, daß sie Vertrauen gewinnt zur Zukunft eines
Volks, in dem die Kinder sich bereits so für die Freiheit zu begeistern wissen.
Von diesem Anfang breitet sich die Betrachtung nach allen Seiten aus, nach der
Geschichte und der Natur des Landes, und verliert sich zuweilen in die nüchterne
Prosa, die von einem weiter ausgeführten politischen Gedicht nicht zu trennen ist,
bald in eine Exaltation, die über ihrem Eifer ihren Gegenstand vergißt. Aber
es finden sich anch einzelne sehr schöne lyrische Stellen, z. B. wie der Platz, auf
dem die Asche Savonarola's in die Lüfte gestreut wurde, mit Veilchen bestreut
wird. Auch da, wo die Leidenschaft oder die Phantasie die Dichterin mit sich
fortreißt, empfinden wir immer, daß ein wahres Gefühl zu Grunde liegt. Sie
ist ehrlich in ihrer Liebe zum Guten und in ihrem Haß des Schlechten, und das
ist, wenn nicht die einzige, doch eine wesentliche Grundlage der echten Poesie.--
Daß Elisabeth Barrett von allen strebsamen Gemüthern ihres Geschlechts in Eng¬
land als eine Prophetin verehrt wird, ist unter diesen Umständen nicht zu ver¬
wundern. Noch neulich hat se" die Verfasserin der Romane Olive und Itis
Oxilvies in ihrem neuesten Werk: elle Irsacl ok tke tarnilv, in diesem Sinne
angesungen.




Wochenbericht.
Kaiser Nikolaus in Berlin.

-- Militärische und Hoffeste, so wie
gegenseitige Besuche der Monarchen bei einander dienten in früherer Zeit nur dazu, dem
nach neuem Stoff begierigen Publicum einige willkommene Nahrung zu geben; von
einer tiefern Bedeutung war nur in den seltensten Fällen die Rede. Der Besuch des
Kaisers von Rußland in Berlin, wenn auch vielleicht für den Augenblick durch Privat-
verhältnisse beschleunigt, hat einen ernster" Sir". Wir glauben zwar nicht an erhebliche
Resultate dieser Zusammenkunft, allein wir nehmen sie als el" Zeichen, daß man jetzt
die Verhältnisse als so weit consolidirt betrachtet, um auch die alten Formen wieder
aufzunehmen.

Die Ankunft des Kaisers erfolgte vor dem Schluß der Kammern. Es war die
Rede davon gewesen, daß man leicht in diesem Zusammentreffe" etwas Unzweckmäßiges
sehe" könne, da die Urtheile des Kaisers über das constitutionelle Wesen allgemein be-


Grenzboten. II. i9

Das neueste ihrer Gedichte, welches sie aus Italien mitgebracht hat, ist:
„die Fenster der Casa Guidi", ein Brillantfeuer von allen möglichen Em¬
pfindungen, die sich in bizarrer Mischung dnrch einander dränge», in dem die
edelsten Gefühle sich bis zur Trunkenheit eines wilden Traumes steigern; eine
Reihe von bunten Nebelbildern, die ihren Sinn und ihren Zusammenhang ver¬
lieren, und die daher als Ganzes betrachtet einen unerfreulichen Eindruck hinter¬
lassen. — Der Anfang ist schön. Ans dem Fenster eines Hauses zu Florenz
hört die Dichterin die Stimme eines Kindes, welches auf der Straße mit so Heller
Stimme 0 beUa libsrlir fingt, daß sie Vertrauen gewinnt zur Zukunft eines
Volks, in dem die Kinder sich bereits so für die Freiheit zu begeistern wissen.
Von diesem Anfang breitet sich die Betrachtung nach allen Seiten aus, nach der
Geschichte und der Natur des Landes, und verliert sich zuweilen in die nüchterne
Prosa, die von einem weiter ausgeführten politischen Gedicht nicht zu trennen ist,
bald in eine Exaltation, die über ihrem Eifer ihren Gegenstand vergißt. Aber
es finden sich anch einzelne sehr schöne lyrische Stellen, z. B. wie der Platz, auf
dem die Asche Savonarola's in die Lüfte gestreut wurde, mit Veilchen bestreut
wird. Auch da, wo die Leidenschaft oder die Phantasie die Dichterin mit sich
fortreißt, empfinden wir immer, daß ein wahres Gefühl zu Grunde liegt. Sie
ist ehrlich in ihrer Liebe zum Guten und in ihrem Haß des Schlechten, und das
ist, wenn nicht die einzige, doch eine wesentliche Grundlage der echten Poesie.—
Daß Elisabeth Barrett von allen strebsamen Gemüthern ihres Geschlechts in Eng¬
land als eine Prophetin verehrt wird, ist unter diesen Umständen nicht zu ver¬
wundern. Noch neulich hat se« die Verfasserin der Romane Olive und Itis
Oxilvies in ihrem neuesten Werk: elle Irsacl ok tke tarnilv, in diesem Sinne
angesungen.




Wochenbericht.
Kaiser Nikolaus in Berlin.

— Militärische und Hoffeste, so wie
gegenseitige Besuche der Monarchen bei einander dienten in früherer Zeit nur dazu, dem
nach neuem Stoff begierigen Publicum einige willkommene Nahrung zu geben; von
einer tiefern Bedeutung war nur in den seltensten Fällen die Rede. Der Besuch des
Kaisers von Rußland in Berlin, wenn auch vielleicht für den Augenblick durch Privat-
verhältnisse beschleunigt, hat einen ernster» Sir». Wir glauben zwar nicht an erhebliche
Resultate dieser Zusammenkunft, allein wir nehmen sie als el» Zeichen, daß man jetzt
die Verhältnisse als so weit consolidirt betrachtet, um auch die alten Formen wieder
aufzunehmen.

Die Ankunft des Kaisers erfolgte vor dem Schluß der Kammern. Es war die
Rede davon gewesen, daß man leicht in diesem Zusammentreffe» etwas Unzweckmäßiges
sehe» könne, da die Urtheile des Kaisers über das constitutionelle Wesen allgemein be-


Grenzboten. II. i9
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[0397] Das neueste ihrer Gedichte, welches sie aus Italien mitgebracht hat, ist: „die Fenster der Casa Guidi", ein Brillantfeuer von allen möglichen Em¬ pfindungen, die sich in bizarrer Mischung dnrch einander dränge», in dem die edelsten Gefühle sich bis zur Trunkenheit eines wilden Traumes steigern; eine Reihe von bunten Nebelbildern, die ihren Sinn und ihren Zusammenhang ver¬ lieren, und die daher als Ganzes betrachtet einen unerfreulichen Eindruck hinter¬ lassen. — Der Anfang ist schön. Ans dem Fenster eines Hauses zu Florenz hört die Dichterin die Stimme eines Kindes, welches auf der Straße mit so Heller Stimme 0 beUa libsrlir fingt, daß sie Vertrauen gewinnt zur Zukunft eines Volks, in dem die Kinder sich bereits so für die Freiheit zu begeistern wissen. Von diesem Anfang breitet sich die Betrachtung nach allen Seiten aus, nach der Geschichte und der Natur des Landes, und verliert sich zuweilen in die nüchterne Prosa, die von einem weiter ausgeführten politischen Gedicht nicht zu trennen ist, bald in eine Exaltation, die über ihrem Eifer ihren Gegenstand vergißt. Aber es finden sich anch einzelne sehr schöne lyrische Stellen, z. B. wie der Platz, auf dem die Asche Savonarola's in die Lüfte gestreut wurde, mit Veilchen bestreut wird. Auch da, wo die Leidenschaft oder die Phantasie die Dichterin mit sich fortreißt, empfinden wir immer, daß ein wahres Gefühl zu Grunde liegt. Sie ist ehrlich in ihrer Liebe zum Guten und in ihrem Haß des Schlechten, und das ist, wenn nicht die einzige, doch eine wesentliche Grundlage der echten Poesie.— Daß Elisabeth Barrett von allen strebsamen Gemüthern ihres Geschlechts in Eng¬ land als eine Prophetin verehrt wird, ist unter diesen Umständen nicht zu ver¬ wundern. Noch neulich hat se« die Verfasserin der Romane Olive und Itis Oxilvies in ihrem neuesten Werk: elle Irsacl ok tke tarnilv, in diesem Sinne angesungen. Wochenbericht. Kaiser Nikolaus in Berlin. — Militärische und Hoffeste, so wie gegenseitige Besuche der Monarchen bei einander dienten in früherer Zeit nur dazu, dem nach neuem Stoff begierigen Publicum einige willkommene Nahrung zu geben; von einer tiefern Bedeutung war nur in den seltensten Fällen die Rede. Der Besuch des Kaisers von Rußland in Berlin, wenn auch vielleicht für den Augenblick durch Privat- verhältnisse beschleunigt, hat einen ernster» Sir». Wir glauben zwar nicht an erhebliche Resultate dieser Zusammenkunft, allein wir nehmen sie als el» Zeichen, daß man jetzt die Verhältnisse als so weit consolidirt betrachtet, um auch die alten Formen wieder aufzunehmen. Die Ankunft des Kaisers erfolgte vor dem Schluß der Kammern. Es war die Rede davon gewesen, daß man leicht in diesem Zusammentreffe» etwas Unzweckmäßiges sehe» könne, da die Urtheile des Kaisers über das constitutionelle Wesen allgemein be- Grenzboten. II. i9

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/397>, abgerufen am 24.07.2024.