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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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lammt. Wir gehen statt dessen auf einen andern Dichter über, der in mancher
Beziehung mit Grillparzer verwandt ist, und obgleich er ihm an Talent nach¬
steht, seiner Zeit eine nicht geringe Wirkung auf das deutsche Theater ausgeübt hat.


Friedrich Halm.

Das erste Stück dieses Dichters, welches seinen Ruhm für Deutschland be¬
gründete, und ihn auch den Engländern und Franzosen bekannt machte: "Gri-
seldis" wurde im December zuerst in Wien aufgeführt, 1837 gedruckt.
Das Verdienst, welches dieses Stück mit Recht auf unsren Bühnen beliebt machte,
wo man an die romantische Unklarheit und Verschrobenheit der 20er Jahre ge¬
wöhnt war, ist der klare, verständige und mit strenger Consequenz durchgeführte
Plan. Das mißverstandene Beispiel Shakespeare's hatte unsre Dichter verleitet,
in einem wüsten Durcheinander von Charakteren und Situationen das Ideal der
dramatischen Poesie zu suchen. Man klagte fortwährend über die pedantischen Kri¬
tiker, die dem Genius Regel und Gesetz aufbürden wollten, und übersah dabei,
daß Unordnung und Zweckwidrigkeit vor allen Dingen den Erfolg haben, das
Publicum zu langweilen. Die Griseldis war ganz dazu geeignet, diese Roman¬
tiker zu widerlegen. Das Publicum, von vorn herein mit der Natur des durch¬
zuführenden Problems geuau bekannt gemacht, folgte mit Aufmerksamkeit und
Spannung den verschiedenen Wendungen desselben, in deren jeder es eine innere
Nothwendigkeit begriff, und war zum Schluß nicht unangenehm überrascht, als
durch eine- unvorhergesehene Wendung, durch eine höher gesteigerte moralische
Empfindung das Problem plötzlich in einem ganz neuen Licht erschien. Im All¬
gemeinen ist es von dem Dichter immer ein gewagter Versuch, wenn er mit
einem trüben Ausgang schließt. Todten kann er nach Belieben, aber wenn er
zwei Personen, deren Glück von ihrer gegenseitigen Liebe abhängig ist, gewalt¬
sam aus einander treibt, so wird das Publicum in der Regel mißvergnügt. Dies¬
mal aber war's nicht der Fall. Der Dichter hatte im Lauf seines Stücks durch
sehr geschickt angebrachte Winke so entschieden auf die Gemüthstiefe der Griseldis
hingedeutet, die zu einem solchen Ausgang führen mußte, daß man ihm nicht
grollen konnte. Dies zeigt einen großen dramatischen Verstand. Außerdem war
die Sprache fließend und klang leicht ins Ohr, der Idealismus ziemlich hand¬
greiflich, und über die Charaktere kein Mißverständniß möglich.

Diese unbestreitbaren Verdienste rechtfertigen den theatralischen Erfolg; bei
näherem Zusehn aber schwindet der dramatische Werth beträchtlich. Die Zeit,
in der das Stück spielt, ist keine bestimmte, über deren sittliche Grundlage man
sich Rechenschaft ablegen könnte, sondern die allgemein poetische Zeit, die mit sich
selbst und ihren Voraussetzungen in Widerspruch steht. Das Hofleben des Königs
Artus, welches in der Exposition geschildert wird, unterscheidet sich nicht wesent¬
lich von andern Bildern aus irgend einem beliebigen Hofe, und giebt uns keine


lammt. Wir gehen statt dessen auf einen andern Dichter über, der in mancher
Beziehung mit Grillparzer verwandt ist, und obgleich er ihm an Talent nach¬
steht, seiner Zeit eine nicht geringe Wirkung auf das deutsche Theater ausgeübt hat.


Friedrich Halm.

Das erste Stück dieses Dichters, welches seinen Ruhm für Deutschland be¬
gründete, und ihn auch den Engländern und Franzosen bekannt machte: „Gri-
seldis" wurde im December zuerst in Wien aufgeführt, 1837 gedruckt.
Das Verdienst, welches dieses Stück mit Recht auf unsren Bühnen beliebt machte,
wo man an die romantische Unklarheit und Verschrobenheit der 20er Jahre ge¬
wöhnt war, ist der klare, verständige und mit strenger Consequenz durchgeführte
Plan. Das mißverstandene Beispiel Shakespeare's hatte unsre Dichter verleitet,
in einem wüsten Durcheinander von Charakteren und Situationen das Ideal der
dramatischen Poesie zu suchen. Man klagte fortwährend über die pedantischen Kri¬
tiker, die dem Genius Regel und Gesetz aufbürden wollten, und übersah dabei,
daß Unordnung und Zweckwidrigkeit vor allen Dingen den Erfolg haben, das
Publicum zu langweilen. Die Griseldis war ganz dazu geeignet, diese Roman¬
tiker zu widerlegen. Das Publicum, von vorn herein mit der Natur des durch¬
zuführenden Problems geuau bekannt gemacht, folgte mit Aufmerksamkeit und
Spannung den verschiedenen Wendungen desselben, in deren jeder es eine innere
Nothwendigkeit begriff, und war zum Schluß nicht unangenehm überrascht, als
durch eine- unvorhergesehene Wendung, durch eine höher gesteigerte moralische
Empfindung das Problem plötzlich in einem ganz neuen Licht erschien. Im All¬
gemeinen ist es von dem Dichter immer ein gewagter Versuch, wenn er mit
einem trüben Ausgang schließt. Todten kann er nach Belieben, aber wenn er
zwei Personen, deren Glück von ihrer gegenseitigen Liebe abhängig ist, gewalt¬
sam aus einander treibt, so wird das Publicum in der Regel mißvergnügt. Dies¬
mal aber war's nicht der Fall. Der Dichter hatte im Lauf seines Stücks durch
sehr geschickt angebrachte Winke so entschieden auf die Gemüthstiefe der Griseldis
hingedeutet, die zu einem solchen Ausgang führen mußte, daß man ihm nicht
grollen konnte. Dies zeigt einen großen dramatischen Verstand. Außerdem war
die Sprache fließend und klang leicht ins Ohr, der Idealismus ziemlich hand¬
greiflich, und über die Charaktere kein Mißverständniß möglich.

Diese unbestreitbaren Verdienste rechtfertigen den theatralischen Erfolg; bei
näherem Zusehn aber schwindet der dramatische Werth beträchtlich. Die Zeit,
in der das Stück spielt, ist keine bestimmte, über deren sittliche Grundlage man
sich Rechenschaft ablegen könnte, sondern die allgemein poetische Zeit, die mit sich
selbst und ihren Voraussetzungen in Widerspruch steht. Das Hofleben des Königs
Artus, welches in der Exposition geschildert wird, unterscheidet sich nicht wesent¬
lich von andern Bildern aus irgend einem beliebigen Hofe, und giebt uns keine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/355>, abgerufen am 04.07.2024.