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Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band.

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drungen ist, malt sich allmählich den Gedanken ans, sie sei von Gott berufen, für
den Prinzen zu sterben. Ihre Begeisterung reißt selbst die Aeltern mit sich sort;
auch der Prinz, der durch die Todesfurcht in den feigsten Egoismus versenkt ist,
willigt ein, und so reisen die Beiden, von dem unvermeidlichen Lucifer begleitet,
uach Italien ab, um dort das Opfer zu vollziehen. Die Schilderungen der
Zeit, zu denen diese Reise Gelegenheit bietet, stellen nun den eigentlichen Gegen¬
stand des Gedichts in Schatten. Zuerst werden Betrachtungen über die einsamen
gothischen Schlösser am Rheine gemacht; dann erscheint in Straßburg Walter
von der Vogelweide, der einige poetische Landschaftsschildernngen giebt; ein ketze¬
rischer Priester, der seine mystischen Ansichten dem Volke in einer-Predigt, die
im Gedichte 23 Seiten einnimmt, ans einander setzt; ein frommer Mönch, der
in ruhige Coutemplationen versunken ist, den aber Lucifer durch die Schilderung
des lustigen liederlichen Klosters Se. Gildas zu verführen sucht; auf der Brücke
von Lnzem wird ihm ein makabrischer Todtentanz vorgestellt, über den sich Hein¬
rich, trotz seiner Todesfurcht, sehr belustigt, während sich Elsie, obgleich zum
Tode entschlossen, mit Schauder und Entsetzen davon abwendet; dann folgt die
Reise über den Se. Gotthard und der Einzug in Genua unter Begleitung einer
lärmenden Pilgerschaar. Hier soll das Opfer vor sich gehen; vorher haben wir
aber noch die Episode einer Disputation zwischen den seraphischen und angelischen
Doctoren. Plötzlich besinnt sich Heinrich über die Niedrigkeit seines Egoismus,
und verbietet Elsie, ihr Opfer zu vollziehen; aber Lucifer ruft aus: Es ist zu
spät! und schleppt sie mit sich fort. Es entspinnt sich ein Kampf zwischen dem
Prinzen und dem Teufel, der einen günstigen Ausgang genommen zu haben
scheint, denn' in der nächsten Scene finden wir Heinrich und Elsie, die jetzt
Lady Alicia genannt wird und seine Gemahlin geworden ist, ans dem Wege nach
der Heimath.




Margarethe Füller,
geb. -1810, geht. -I8S0.

Die Memoiren dieser merkwürdigen Frau, die so eben von dem amerikanischen
Philosophen Ralph Emerson herausgegeben sind, eröffnen uns einen interessanten
Blick in den ZersetzuugSproccß, welcher in dem hoher gebildeten Theil der nord¬
amerikanischen Gesellschaft, die bisher noch immer in den steifsten puritanischen
Traditionen befangen war, vor sich geht. Margarethe Füller, in der Kenntniß der
meisten europäischen Literaturen so weit vorgeschritten, daß sie selbst bei uus Aufsehen
erregen würde, hat sich zwar auch durch ewige Schriften poetischen und kritischen
Inhalts bekannt gemacht, unter anderen dnrch eine Studie über Goethe, durch


drungen ist, malt sich allmählich den Gedanken ans, sie sei von Gott berufen, für
den Prinzen zu sterben. Ihre Begeisterung reißt selbst die Aeltern mit sich sort;
auch der Prinz, der durch die Todesfurcht in den feigsten Egoismus versenkt ist,
willigt ein, und so reisen die Beiden, von dem unvermeidlichen Lucifer begleitet,
uach Italien ab, um dort das Opfer zu vollziehen. Die Schilderungen der
Zeit, zu denen diese Reise Gelegenheit bietet, stellen nun den eigentlichen Gegen¬
stand des Gedichts in Schatten. Zuerst werden Betrachtungen über die einsamen
gothischen Schlösser am Rheine gemacht; dann erscheint in Straßburg Walter
von der Vogelweide, der einige poetische Landschaftsschildernngen giebt; ein ketze¬
rischer Priester, der seine mystischen Ansichten dem Volke in einer-Predigt, die
im Gedichte 23 Seiten einnimmt, ans einander setzt; ein frommer Mönch, der
in ruhige Coutemplationen versunken ist, den aber Lucifer durch die Schilderung
des lustigen liederlichen Klosters Se. Gildas zu verführen sucht; auf der Brücke
von Lnzem wird ihm ein makabrischer Todtentanz vorgestellt, über den sich Hein¬
rich, trotz seiner Todesfurcht, sehr belustigt, während sich Elsie, obgleich zum
Tode entschlossen, mit Schauder und Entsetzen davon abwendet; dann folgt die
Reise über den Se. Gotthard und der Einzug in Genua unter Begleitung einer
lärmenden Pilgerschaar. Hier soll das Opfer vor sich gehen; vorher haben wir
aber noch die Episode einer Disputation zwischen den seraphischen und angelischen
Doctoren. Plötzlich besinnt sich Heinrich über die Niedrigkeit seines Egoismus,
und verbietet Elsie, ihr Opfer zu vollziehen; aber Lucifer ruft aus: Es ist zu
spät! und schleppt sie mit sich fort. Es entspinnt sich ein Kampf zwischen dem
Prinzen und dem Teufel, der einen günstigen Ausgang genommen zu haben
scheint, denn' in der nächsten Scene finden wir Heinrich und Elsie, die jetzt
Lady Alicia genannt wird und seine Gemahlin geworden ist, ans dem Wege nach
der Heimath.




Margarethe Füller,
geb. -1810, geht. -I8S0.

Die Memoiren dieser merkwürdigen Frau, die so eben von dem amerikanischen
Philosophen Ralph Emerson herausgegeben sind, eröffnen uns einen interessanten
Blick in den ZersetzuugSproccß, welcher in dem hoher gebildeten Theil der nord¬
amerikanischen Gesellschaft, die bisher noch immer in den steifsten puritanischen
Traditionen befangen war, vor sich geht. Margarethe Füller, in der Kenntniß der
meisten europäischen Literaturen so weit vorgeschritten, daß sie selbst bei uus Aufsehen
erregen würde, hat sich zwar auch durch ewige Schriften poetischen und kritischen
Inhalts bekannt gemacht, unter anderen dnrch eine Studie über Goethe, durch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 11, 1852, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341573_93902/281>, abgerufen am 04.07.2024.