Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.Polnische Dörfer. "In einer Quadratmeile hat man das ganze polnische Reich gesehen." Sobald man von deutscher Erde, also uicht durch das Großherzogthum In der Wildniß des Waldes sind die durchführenden Fahrstraßen unbestimmt, GrcnMen. II. 18S1. 11
Polnische Dörfer. „In einer Quadratmeile hat man das ganze polnische Reich gesehen." Sobald man von deutscher Erde, also uicht durch das Großherzogthum In der Wildniß des Waldes sind die durchführenden Fahrstraßen unbestimmt, GrcnMen. II. 18S1. 11
<TEI> <text> <body> <div> <pb facs="#f0093" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/91286"/> <div n="1"> <head> Polnische Dörfer.</head><lb/> <p xml:id="ID_257"> „In einer Quadratmeile hat man das ganze polnische Reich gesehen."<lb/> Diese bekannte Redensart hat insofern recht, als in der ganzen Welt kein<lb/> Land gleichfarbiger und einförmiger in Sitte, Dialekt und Lebensweise seiner Be¬<lb/> wohner wie in Bodenbildung, Cultur und Fruchtbarkeit ist, als Polen. Die<lb/> Bürger von Slupce gleichen denen von Terespol dergestalt, daß man die<lb/> Terespoler nach Slupce und die Slupccr nach Terespol setzen könnte, ohne irgend<lb/> eine Veränderung zu bemerken. Noch auffallender ist die Einförmigkeit des<lb/> Bauernstandes: wie es den Einen im Glück, Unglück, in Arbeit und Genuß, ,in<lb/> Besttzthum und Verpflichtung geht, so geht es Allen — leider aber Allen schlecht.</p><lb/> <p xml:id="ID_258"> Sobald man von deutscher Erde, also uicht durch das Großherzogthum<lb/> Posen oder Galizien, den Fuß über die deutsche Grenze setzt, sieht man augen¬<lb/> blicklich, daß man in eine andere Welt gerathen ist. Feld, Wald und Wiese,<lb/> Alles hat ein anderes Aussehn.</p><lb/> <p xml:id="ID_259" next="#ID_260"> In der Wildniß des Waldes sind die durchführenden Fahrstraßen unbestimmt,<lb/> d. h. so breit, daß ein Regiment Soldaten in Front marschiren könnte, wenn<lb/> nicht allenthalben noch einzelne Baumstümpfe und Büsche ständen, denn 5le Wege<lb/> werden nie künstlich gebahnt und sind nicht mehr als die sichtbare Spur von<lb/> Wagenrädern und Stiefel - und Fußsohlen. Daher macht jeder Wagen und jeder<lb/> Fuß nach Laune sein eigenes Geleis nach rechts oder links, Büsche und junge<lb/> Bäumchen niederfahrend, und jeder Weg wird zu einer Menge vou Pfaden, in<lb/> deren Terrain, das oft sehr groß ist, weder Busch noch Baum empor kommen kann.<lb/> Dadurch entstehen weite wüste Bodenflächen, welche zum Walde gezählt werden<lb/> und doch kaum ein Büschchen hervorbringen. Diese Flächen sehen aus wie Plätze<lb/> der alten Gespensterromane, auf welche ein Fluch geschlendert worden. Von einer<lb/> Anpflanzung ist nirgend etwas zu sehen. Wer sollte den Wald anpflanzen?<lb/> der Edelmann? wozu? der Herr hat ja für sein Kamin immer noch Holz genug!<lb/> Oder der Bauer? der arme Teufel wäre toll, da der Nutzen doch nur dem Edel¬<lb/> mann zu Theil wird! Und was würde aus der Pflanzung werden? Der herr-</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> GrcnMen. II. 18S1. 11</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0093]
Polnische Dörfer.
„In einer Quadratmeile hat man das ganze polnische Reich gesehen."
Diese bekannte Redensart hat insofern recht, als in der ganzen Welt kein
Land gleichfarbiger und einförmiger in Sitte, Dialekt und Lebensweise seiner Be¬
wohner wie in Bodenbildung, Cultur und Fruchtbarkeit ist, als Polen. Die
Bürger von Slupce gleichen denen von Terespol dergestalt, daß man die
Terespoler nach Slupce und die Slupccr nach Terespol setzen könnte, ohne irgend
eine Veränderung zu bemerken. Noch auffallender ist die Einförmigkeit des
Bauernstandes: wie es den Einen im Glück, Unglück, in Arbeit und Genuß, ,in
Besttzthum und Verpflichtung geht, so geht es Allen — leider aber Allen schlecht.
Sobald man von deutscher Erde, also uicht durch das Großherzogthum
Posen oder Galizien, den Fuß über die deutsche Grenze setzt, sieht man augen¬
blicklich, daß man in eine andere Welt gerathen ist. Feld, Wald und Wiese,
Alles hat ein anderes Aussehn.
In der Wildniß des Waldes sind die durchführenden Fahrstraßen unbestimmt,
d. h. so breit, daß ein Regiment Soldaten in Front marschiren könnte, wenn
nicht allenthalben noch einzelne Baumstümpfe und Büsche ständen, denn 5le Wege
werden nie künstlich gebahnt und sind nicht mehr als die sichtbare Spur von
Wagenrädern und Stiefel - und Fußsohlen. Daher macht jeder Wagen und jeder
Fuß nach Laune sein eigenes Geleis nach rechts oder links, Büsche und junge
Bäumchen niederfahrend, und jeder Weg wird zu einer Menge vou Pfaden, in
deren Terrain, das oft sehr groß ist, weder Busch noch Baum empor kommen kann.
Dadurch entstehen weite wüste Bodenflächen, welche zum Walde gezählt werden
und doch kaum ein Büschchen hervorbringen. Diese Flächen sehen aus wie Plätze
der alten Gespensterromane, auf welche ein Fluch geschlendert worden. Von einer
Anpflanzung ist nirgend etwas zu sehen. Wer sollte den Wald anpflanzen?
der Edelmann? wozu? der Herr hat ja für sein Kamin immer noch Holz genug!
Oder der Bauer? der arme Teufel wäre toll, da der Nutzen doch nur dem Edel¬
mann zu Theil wird! Und was würde aus der Pflanzung werden? Der herr-
GrcnMen. II. 18S1. 11
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