Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.nicht -- aber) nach Außen ehedem infallibel und unangreifbar waren, geht oft die Aus -- Da bei uns ein "freies Wort" so schwer und so selten einen nicht — aber) nach Außen ehedem infallibel und unangreifbar waren, geht oft die Aus — Da bei uns ein „freies Wort" so schwer und so selten einen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0210" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/91403"/> <p xml:id="ID_582" prev="#ID_581"> nicht — aber) nach Außen ehedem infallibel und unangreifbar waren, geht oft die<lb/> Galle über, daß sie da vor dem Volke, das überhaupt der Beamte nur seinetwegen aus<lb/> der Welt wähnte, vor Zeitungsschreibern sprechen nud handeln sollen. Leider hat man<lb/> dabei wieder die Form zur Hauptsache gemacht, womit allerdings Richter und Ge¬<lb/> schworne sehr belästigt werden, noch ist das Ganze ein Gemengsel von Altem und<lb/> Neuem und der Geist des Instituts ist noch nicht eingedrungen trotz der schönen Reden,<lb/> welche dabei und darüber gehalten worden. Zeit, Papier und Geld geht aber ob des<lb/> Formenwesens bei den Schwurgerichten allerdings mehr auf, als bei der Inquisition,<lb/> wie überhaupt mit diesen drei Dingen in der Bureaukratie gqr nicht gespart wird, wo¬<lb/> bei vom Papiere nur deswegen die Rede sein soll, weil dies ricswcise verschmiert wird<lb/> mit den absurdesten Wiederholungen, mit verwirrenden Tabellen und beispiellosem von<lb/> der Form gefordertem Unsinne, während oft arme Schulkinder bogenweise selbiges um's<lb/> theure Geld kaufen müssen. Eben dies erinnert an ein ähnliches Mißverhältniß! es<lb/> betrifft die Räume; während unsere Kanzleien meist mit allen erdenklichen Comsortabili-<lb/> tätcn versehen, ja manche Prästdialbureaux mit fürstlicher Pracht eingerichtet sind, an<lb/> Heizung bekanntlich besonders Ueberfluß herrscht, für Archive u. tgi. hie und da die<lb/> schönsten Zimmer benützt werden, sehen wir Schulkinder oft zu Hunderten in enge feuchte<lb/> Wände eingeklemmt, durch zerbrochene Fenster Wind und Wetter, durch schadhafte Oefen<lb/> augenverderbendem Rauch und Ruß preisgegeben (bis unzählige Commissionen solchen<lb/> Uebeln abzuhelfen Pflegen), manchmal von einem A-B-C-Tyrannen beherrscht, der außer<lb/> dem Alphabete oft selbst Nichts mehr weiß, während der Katechet unverständliches und<lb/> unglaubliches Zeugs losläßt, der Oberaufseher (meist schon Bureaukrat) seiner Pflicht<lb/> nur der Form wegen nachkommt und so der Zweck ganz verfehlt wird. Auch dies<lb/> Alles wurde, und sogar in heimischen Blättern besprochen, doch hat eben dies Gemeinden,<lb/> ja sogar die Regierung darauf schon aufmerksam gemacht, man scheint wenigstens hie<lb/> und da einzusehen und den Willen zur Abhilfe zu zeigen. >— „Einsehen aber ist der<lb/> erste Schritt zur Besserung," wie das Sprichwort sagt, und so ließe sich sogar bei der<lb/> Bureaukratie auch Etwas hoffen, denn auch da erkennen die Einsichtsvollern die Män¬<lb/> gel, aber der Wille fehlt, und das „System" würde bald eine andere Gestalt bekommen.<lb/><note type="byline"> *h>*</note> Gott gebe es! </p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Aus </head> <p xml:id="ID_583" next="#ID_584"> — Da bei uns ein „freies Wort" so schwer und so selten einen<lb/> Ort findet, flüchtet es sich so gern wieder in sein vormärzliches Asyl. Unsre<lb/> Klagen treffen vor Allem trotz neuer Titel und ganz abgeänderter Unisormirung u. s. w.<lb/> unsre ganz alte und in der Wesenheit noch vormärzliche Bureaukratie. Davon ein<lb/> Beispiel aus der nächsten Nähe. Ein Mann wollte vor einigen Monaten in einem<lb/> Paroxismus sein junges Weib ermorden, sie rettete sich zu einem Nachbar, ihr Bruder<lb/> aber lief in die Stadt um gerichtliche Hilfe — die politische Behörde erkannte den Fall<lb/> als criminell und wies ihn an das Gericht, dies an die Sicherheitsbchörde; die Polizei<lb/> lehnte die Jntervenirung ab, weil der Fall außer der Stadt; die Gensd'armerie kann<lb/> nur über amtliches Einschreiten handeln; man wies ihn zum Staatsanwalt, doch Dieser<lb/> kann erst über Anzeige des Gerichts-Amts handeln; der Jnstructionsrichter schickte ihn<lb/> nun zum Gemeindevorstande, der über Ruhe, Ordnung und Sicherheit zu wachen hat, allein<lb/> mit Recht wies Dieser aus seine geringen Mittel und Kräfte für solchen Fall---<lb/> kurz: der Paroxismus legte fich glücklicher Weise indeß wieder von selbst; sollte er aber</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0210]
nicht — aber) nach Außen ehedem infallibel und unangreifbar waren, geht oft die
Galle über, daß sie da vor dem Volke, das überhaupt der Beamte nur seinetwegen aus
der Welt wähnte, vor Zeitungsschreibern sprechen nud handeln sollen. Leider hat man
dabei wieder die Form zur Hauptsache gemacht, womit allerdings Richter und Ge¬
schworne sehr belästigt werden, noch ist das Ganze ein Gemengsel von Altem und
Neuem und der Geist des Instituts ist noch nicht eingedrungen trotz der schönen Reden,
welche dabei und darüber gehalten worden. Zeit, Papier und Geld geht aber ob des
Formenwesens bei den Schwurgerichten allerdings mehr auf, als bei der Inquisition,
wie überhaupt mit diesen drei Dingen in der Bureaukratie gqr nicht gespart wird, wo¬
bei vom Papiere nur deswegen die Rede sein soll, weil dies ricswcise verschmiert wird
mit den absurdesten Wiederholungen, mit verwirrenden Tabellen und beispiellosem von
der Form gefordertem Unsinne, während oft arme Schulkinder bogenweise selbiges um's
theure Geld kaufen müssen. Eben dies erinnert an ein ähnliches Mißverhältniß! es
betrifft die Räume; während unsere Kanzleien meist mit allen erdenklichen Comsortabili-
tätcn versehen, ja manche Prästdialbureaux mit fürstlicher Pracht eingerichtet sind, an
Heizung bekanntlich besonders Ueberfluß herrscht, für Archive u. tgi. hie und da die
schönsten Zimmer benützt werden, sehen wir Schulkinder oft zu Hunderten in enge feuchte
Wände eingeklemmt, durch zerbrochene Fenster Wind und Wetter, durch schadhafte Oefen
augenverderbendem Rauch und Ruß preisgegeben (bis unzählige Commissionen solchen
Uebeln abzuhelfen Pflegen), manchmal von einem A-B-C-Tyrannen beherrscht, der außer
dem Alphabete oft selbst Nichts mehr weiß, während der Katechet unverständliches und
unglaubliches Zeugs losläßt, der Oberaufseher (meist schon Bureaukrat) seiner Pflicht
nur der Form wegen nachkommt und so der Zweck ganz verfehlt wird. Auch dies
Alles wurde, und sogar in heimischen Blättern besprochen, doch hat eben dies Gemeinden,
ja sogar die Regierung darauf schon aufmerksam gemacht, man scheint wenigstens hie
und da einzusehen und den Willen zur Abhilfe zu zeigen. >— „Einsehen aber ist der
erste Schritt zur Besserung," wie das Sprichwort sagt, und so ließe sich sogar bei der
Bureaukratie auch Etwas hoffen, denn auch da erkennen die Einsichtsvollern die Män¬
gel, aber der Wille fehlt, und das „System" würde bald eine andere Gestalt bekommen.
*h>* Gott gebe es!
Aus — Da bei uns ein „freies Wort" so schwer und so selten einen
Ort findet, flüchtet es sich so gern wieder in sein vormärzliches Asyl. Unsre
Klagen treffen vor Allem trotz neuer Titel und ganz abgeänderter Unisormirung u. s. w.
unsre ganz alte und in der Wesenheit noch vormärzliche Bureaukratie. Davon ein
Beispiel aus der nächsten Nähe. Ein Mann wollte vor einigen Monaten in einem
Paroxismus sein junges Weib ermorden, sie rettete sich zu einem Nachbar, ihr Bruder
aber lief in die Stadt um gerichtliche Hilfe — die politische Behörde erkannte den Fall
als criminell und wies ihn an das Gericht, dies an die Sicherheitsbchörde; die Polizei
lehnte die Jntervenirung ab, weil der Fall außer der Stadt; die Gensd'armerie kann
nur über amtliches Einschreiten handeln; man wies ihn zum Staatsanwalt, doch Dieser
kann erst über Anzeige des Gerichts-Amts handeln; der Jnstructionsrichter schickte ihn
nun zum Gemeindevorstande, der über Ruhe, Ordnung und Sicherheit zu wachen hat, allein
mit Recht wies Dieser aus seine geringen Mittel und Kräfte für solchen Fall---
kurz: der Paroxismus legte fich glücklicher Weise indeß wieder von selbst; sollte er aber
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