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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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rohen Hradschin, umgeben von den Soldaten, von dem vor seinem eigenen Ge¬
wissen geflüchteten Hochadel fiel Graf Thun aus seinem Charakter; der eisenfeste
Mann war geknickt und gebrochen, er betheuerte, sein Vaterland verlassen, nie mehr
ein Amt annehmen zu wollen, er hat sich selber nicht Wort gehalten, und ist heute
Minister des Unterrichts und Cultus.

Aber Graf Thun hat sich nicht gerächt, hat Niemand denunzirt, wir kennen
Persönlichkeiten, welchen er hätte schaden, die er dem Fürsten hätte an's Messer
liefern können, er hat es nicht gethan, denn edel blieb er. Als Minister
ist er in seinem engen Wirkungskreise thätig und wirksam, wenn auch nicht immer
praktisch, so doch gerecht und verfassungstreu, im Ministerrathe aber ohne
Gewicht und Geltung in Fragen der Gesammtpolitik, ja selbst in Fragen seines
speziellen Portefeuille. Im Ministerrathe hat Graf Thun das den Studenten
früher durch kaiserliches Wort verheißene Recht, Vereine zu bilden, warm be-
vorw ortet, er, den die Studenten gefangen hielten; sein Antrag wurde abge¬
lehnt. Thun will die freie Lehre, er will Förderung der Wissenschaft, er ist,
wir verbürgen es , ein ehrlicher Minister, er wird vergleichsweise selbst ein nütz¬
licher Minister sein, bis zu dem Zeitpunkte, wo ein Reichstag in's Leben tritt.
Wird er's in Oestreich? Einem Parlamente gegenüber jedoch kann Minister Thun
nicht fungiren, denn es fehlt ihm die Gewandtheit, die Schnelle des Gedankens,
wie die Gabe der Rede, und zudem ist er schwerhörig, im Parlamente aber gilt
das lebendige Wort.

Wir achten Graf Leo Thun hoch als gelehrten, als redlichen, als edelmüthig
humanen Privatmann, als treuen aufopfernden Freund. Staatsmann aber ist er
nicht und wird es niemals sein. Als Präsident eines obersten Justizhoses allein
wäre er an seinem Platze.




Neue Schriften über Ungarn.

Die Geschichte Ungarns in den letzten zwei Jahren, die Vernichtung der
magyarischen Krone und Nation, ist eine Periode voll der interessantesten und
belehrendsten Momente; die Güte eines Königs, durch welche ein Reich zertrüm¬
mert und eine tausendjährige Verfassung verwischt wird, liefert Stoff zum Nach¬
denken für Fürsten und Völker; die Gewalt eines beredten Agitators, der mit
Worten 200,000 Streiter ins Feld bringt, ist eine enthusiasmirende Erscheinung;
die Kämpfe der Nation und der Edelsten darunter für ihre Rechte und Selbststän-
digkeit gegen Wort- und Treubruch, gegen Willkür und Soldatenthum, sind durch
den Ausgang zu Märtyrergeschichten und nationalen Legenden geworden; dieses
Aufflackern und Verlöschen eines ritterlichen Stammes mahnt an die erhabensten
Thaten des Alterthums. , ,


rohen Hradschin, umgeben von den Soldaten, von dem vor seinem eigenen Ge¬
wissen geflüchteten Hochadel fiel Graf Thun aus seinem Charakter; der eisenfeste
Mann war geknickt und gebrochen, er betheuerte, sein Vaterland verlassen, nie mehr
ein Amt annehmen zu wollen, er hat sich selber nicht Wort gehalten, und ist heute
Minister des Unterrichts und Cultus.

Aber Graf Thun hat sich nicht gerächt, hat Niemand denunzirt, wir kennen
Persönlichkeiten, welchen er hätte schaden, die er dem Fürsten hätte an's Messer
liefern können, er hat es nicht gethan, denn edel blieb er. Als Minister
ist er in seinem engen Wirkungskreise thätig und wirksam, wenn auch nicht immer
praktisch, so doch gerecht und verfassungstreu, im Ministerrathe aber ohne
Gewicht und Geltung in Fragen der Gesammtpolitik, ja selbst in Fragen seines
speziellen Portefeuille. Im Ministerrathe hat Graf Thun das den Studenten
früher durch kaiserliches Wort verheißene Recht, Vereine zu bilden, warm be-
vorw ortet, er, den die Studenten gefangen hielten; sein Antrag wurde abge¬
lehnt. Thun will die freie Lehre, er will Förderung der Wissenschaft, er ist,
wir verbürgen es , ein ehrlicher Minister, er wird vergleichsweise selbst ein nütz¬
licher Minister sein, bis zu dem Zeitpunkte, wo ein Reichstag in's Leben tritt.
Wird er's in Oestreich? Einem Parlamente gegenüber jedoch kann Minister Thun
nicht fungiren, denn es fehlt ihm die Gewandtheit, die Schnelle des Gedankens,
wie die Gabe der Rede, und zudem ist er schwerhörig, im Parlamente aber gilt
das lebendige Wort.

Wir achten Graf Leo Thun hoch als gelehrten, als redlichen, als edelmüthig
humanen Privatmann, als treuen aufopfernden Freund. Staatsmann aber ist er
nicht und wird es niemals sein. Als Präsident eines obersten Justizhoses allein
wäre er an seinem Platze.




Neue Schriften über Ungarn.

Die Geschichte Ungarns in den letzten zwei Jahren, die Vernichtung der
magyarischen Krone und Nation, ist eine Periode voll der interessantesten und
belehrendsten Momente; die Güte eines Königs, durch welche ein Reich zertrüm¬
mert und eine tausendjährige Verfassung verwischt wird, liefert Stoff zum Nach¬
denken für Fürsten und Völker; die Gewalt eines beredten Agitators, der mit
Worten 200,000 Streiter ins Feld bringt, ist eine enthusiasmirende Erscheinung;
die Kämpfe der Nation und der Edelsten darunter für ihre Rechte und Selbststän-
digkeit gegen Wort- und Treubruch, gegen Willkür und Soldatenthum, sind durch
den Ausgang zu Märtyrergeschichten und nationalen Legenden geworden; dieses
Aufflackern und Verlöschen eines ritterlichen Stammes mahnt an die erhabensten
Thaten des Alterthums. , ,


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[0039] rohen Hradschin, umgeben von den Soldaten, von dem vor seinem eigenen Ge¬ wissen geflüchteten Hochadel fiel Graf Thun aus seinem Charakter; der eisenfeste Mann war geknickt und gebrochen, er betheuerte, sein Vaterland verlassen, nie mehr ein Amt annehmen zu wollen, er hat sich selber nicht Wort gehalten, und ist heute Minister des Unterrichts und Cultus. Aber Graf Thun hat sich nicht gerächt, hat Niemand denunzirt, wir kennen Persönlichkeiten, welchen er hätte schaden, die er dem Fürsten hätte an's Messer liefern können, er hat es nicht gethan, denn edel blieb er. Als Minister ist er in seinem engen Wirkungskreise thätig und wirksam, wenn auch nicht immer praktisch, so doch gerecht und verfassungstreu, im Ministerrathe aber ohne Gewicht und Geltung in Fragen der Gesammtpolitik, ja selbst in Fragen seines speziellen Portefeuille. Im Ministerrathe hat Graf Thun das den Studenten früher durch kaiserliches Wort verheißene Recht, Vereine zu bilden, warm be- vorw ortet, er, den die Studenten gefangen hielten; sein Antrag wurde abge¬ lehnt. Thun will die freie Lehre, er will Förderung der Wissenschaft, er ist, wir verbürgen es , ein ehrlicher Minister, er wird vergleichsweise selbst ein nütz¬ licher Minister sein, bis zu dem Zeitpunkte, wo ein Reichstag in's Leben tritt. Wird er's in Oestreich? Einem Parlamente gegenüber jedoch kann Minister Thun nicht fungiren, denn es fehlt ihm die Gewandtheit, die Schnelle des Gedankens, wie die Gabe der Rede, und zudem ist er schwerhörig, im Parlamente aber gilt das lebendige Wort. Wir achten Graf Leo Thun hoch als gelehrten, als redlichen, als edelmüthig humanen Privatmann, als treuen aufopfernden Freund. Staatsmann aber ist er nicht und wird es niemals sein. Als Präsident eines obersten Justizhoses allein wäre er an seinem Platze. Neue Schriften über Ungarn. Die Geschichte Ungarns in den letzten zwei Jahren, die Vernichtung der magyarischen Krone und Nation, ist eine Periode voll der interessantesten und belehrendsten Momente; die Güte eines Königs, durch welche ein Reich zertrüm¬ mert und eine tausendjährige Verfassung verwischt wird, liefert Stoff zum Nach¬ denken für Fürsten und Völker; die Gewalt eines beredten Agitators, der mit Worten 200,000 Streiter ins Feld bringt, ist eine enthusiasmirende Erscheinung; die Kämpfe der Nation und der Edelsten darunter für ihre Rechte und Selbststän- digkeit gegen Wort- und Treubruch, gegen Willkür und Soldatenthum, sind durch den Ausgang zu Märtyrergeschichten und nationalen Legenden geworden; dieses Aufflackern und Verlöschen eines ritterlichen Stammes mahnt an die erhabensten Thaten des Alterthums. , ,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/39>, abgerufen am 27.06.2024.