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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Romane ((Zvnevievo), worin er nach alter Gewohnheit mit großer Selbstgefälligkeit
sich Weihrauch streut, er arbeitet für die Bühne Negerstücke, er macht Reisen nach
dem Orient, in dem einmal Lady Esther Stanhope seine eigentliche Bestimmung
fand, weil seine Fußplatte arabisch gewölbt sei, geeignet, die Wüste zu betreten ;
er schreibt auch romantische Belehrungen für die Vvlköpolitik nach Art des Herrn
de Lamennais, salbungsvoll und mystisch-unbestimmt, wie es sich für einen Apostel
ziemt, aber in den Kreisen des eigentlichen Staatslebens hat man aufgehört, von
ihm zu sprechen. Victor Hugo und Andere legen sich auf kosmopolitische Bestre¬
bungen; Cavaignac, der Einzige der Partei, dem man von allen Seiten mit
Achtung entgegen kommt, steht isolirt. Aber die Montagnards stehen noch schlimmer.
In Paris haben sie von den Berlinern die Theorie des passiven Widerstandes
überkommen, da ihnen die Emente durch Changarnier abgeschnitten ist; dafür
werde" sie von ihren alten Freunden in London, Ledru Rollin und seinem Anhang,
in dem Jouraal Is ?roher1t mit jedem erdenklichen Hohn überschüttet und für
Seite Verräther erklärt. Beide gemeinschaftlich kämpfen gegen die Socialisten, und
unter diesen erklärt eiuer den andern sür einen Schwachkopf und Wahnsinnigen.
Der Geistreichste nnter ihnen, Proudhon, hat in seiner neuesten Polemik gegen
Ledrn Nollin mit den Principien der Revolution so entschieden gebrochen, wie
man es nur von einem Konservativen ans Princip erwarten konnte.

Der Februar hat das Evangelium der neuen Menschheit noch nicht in Fleisch
und Blut übersetzt, das Reich Gottes auf Erden ist noch nicht gekommen.




Unter den Tscherkessen.

Von wo der Tscholok die Scheidelinie zwischen Gurien und dem Paschalik
Trapezunt zieht, bis hinaus zu dem altberühmten Sclavenmarkt Auapa, wo
in früherer Zeit ebenfalls ein Pascha seinen Sitz hatte, laufen dreiundzwanzig
russische Festungen die Ostküste des Pontus entlang.

Die wenigsten dieser Festungen (liroposU) verdienen ihren hochklingenden
Namen; es sind meist roh aufgebaute, verschanzte Gehöfte mit kanonengcspickten
Blockhäusern, gerade hinreichend, ihrer Besatzung Schutz zu gewähren, soweit die
Geschütze reichen und die Wälder umher gelichtet sind -- aber unfähig, einem
nachdrücklichen Stnriu zu widerstehen.

Die Tscherkessen erobern hin und wieder einzelne dieser Küstenplätze, wenn
es im Lande an Munition fehlt; sie tonnen sich aber ebenfalls nicht aus die Dauer
darin behaupten, weil erstens ihr Pülvervorrath sür die großen Kanonen nicht


Romane ((Zvnevievo), worin er nach alter Gewohnheit mit großer Selbstgefälligkeit
sich Weihrauch streut, er arbeitet für die Bühne Negerstücke, er macht Reisen nach
dem Orient, in dem einmal Lady Esther Stanhope seine eigentliche Bestimmung
fand, weil seine Fußplatte arabisch gewölbt sei, geeignet, die Wüste zu betreten ;
er schreibt auch romantische Belehrungen für die Vvlköpolitik nach Art des Herrn
de Lamennais, salbungsvoll und mystisch-unbestimmt, wie es sich für einen Apostel
ziemt, aber in den Kreisen des eigentlichen Staatslebens hat man aufgehört, von
ihm zu sprechen. Victor Hugo und Andere legen sich auf kosmopolitische Bestre¬
bungen; Cavaignac, der Einzige der Partei, dem man von allen Seiten mit
Achtung entgegen kommt, steht isolirt. Aber die Montagnards stehen noch schlimmer.
In Paris haben sie von den Berlinern die Theorie des passiven Widerstandes
überkommen, da ihnen die Emente durch Changarnier abgeschnitten ist; dafür
werde» sie von ihren alten Freunden in London, Ledru Rollin und seinem Anhang,
in dem Jouraal Is ?roher1t mit jedem erdenklichen Hohn überschüttet und für
Seite Verräther erklärt. Beide gemeinschaftlich kämpfen gegen die Socialisten, und
unter diesen erklärt eiuer den andern sür einen Schwachkopf und Wahnsinnigen.
Der Geistreichste nnter ihnen, Proudhon, hat in seiner neuesten Polemik gegen
Ledrn Nollin mit den Principien der Revolution so entschieden gebrochen, wie
man es nur von einem Konservativen ans Princip erwarten konnte.

Der Februar hat das Evangelium der neuen Menschheit noch nicht in Fleisch
und Blut übersetzt, das Reich Gottes auf Erden ist noch nicht gekommen.




Unter den Tscherkessen.

Von wo der Tscholok die Scheidelinie zwischen Gurien und dem Paschalik
Trapezunt zieht, bis hinaus zu dem altberühmten Sclavenmarkt Auapa, wo
in früherer Zeit ebenfalls ein Pascha seinen Sitz hatte, laufen dreiundzwanzig
russische Festungen die Ostküste des Pontus entlang.

Die wenigsten dieser Festungen (liroposU) verdienen ihren hochklingenden
Namen; es sind meist roh aufgebaute, verschanzte Gehöfte mit kanonengcspickten
Blockhäusern, gerade hinreichend, ihrer Besatzung Schutz zu gewähren, soweit die
Geschütze reichen und die Wälder umher gelichtet sind — aber unfähig, einem
nachdrücklichen Stnriu zu widerstehen.

Die Tscherkessen erobern hin und wieder einzelne dieser Küstenplätze, wenn
es im Lande an Munition fehlt; sie tonnen sich aber ebenfalls nicht aus die Dauer
darin behaupten, weil erstens ihr Pülvervorrath sür die großen Kanonen nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/378>, abgerufen am 27.07.2024.