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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band.

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2. Unter der Erde.

Ein Wiener Localstück ohne den Wiener Dialekt -- es soll uns unmöglich
sein, ein richtiges Urtheil darüber zu gewinnen. Der Brei ist derselbe, aber der
Pfeffer fehlt, die Würze der linguistischen Gemüthlichkeit.

Ein junger Herr von guten Anlagen verwildert in der strengen Zucht eines
Professors, der theils durch sein eignes abstractes Wesen, theils dnrch den Ser¬
vilismus und die knechtische Furcht seiner nächsten Umgebungen charcikterisirt wird.
Er entläuft ihm zuletzt und tritt unter die Vormundschaft eines braven Mannes,
Vorstehers eines Bergwerks, der ihm Liebe zur Arbeit einflößt und ihn dem Laster
des Müssiggangs entfremdet. Er heirathet seine Tochter, tritt mit ihm in Com¬
pagniegeschäft, und zuletzt wird auch der abstracte Professor bekehrt. Außerdem
treten einige Personen auf, die zeitgemäße Couplets singen, und das Bergwerk
gibt zu angemessenen Dekorationen "unter der Erde" Veranlassung. Was der
abstracte Professor und seine servile Umgebung sagen, ist Unsinn, gemein und
niederträchtig, was der brave Bergmann und seine "Familie" -- alle Bergleute
gehören dazu -- sprechen, ist Tugend und Weisheit. Es ist eine faustdicke Moral
und nicht mißzuverstehen.

Hat das Vaudeville seine Berechtigung? -- Ich denke nur in dem Falle, wo
eS, wie das französische, heiter und witzig ist. Und selbst da kaum. Wenn man
Tag und Nacht nur die Drehorgel hört, verliert man zuletzt die Fähigkeit, eine
gute Musik zu empfinden. Das Publikum verwildert, und der poetische Geist er¬
stirbt in Trivialität. Wir stecken ohnehin tief genug im Schlamm.




Historische Gemälde.



2. Das Todtemnahl der Girondisten. Von Teichs.

In einer andern Art, als das vorige Gemälde, welches wir kritisirt haben,
geht anch dieses ans dem Portrait hervor, aus dem Bestreben nämlich, eine An¬
zahl der Zeit nach zusammenhängender Portraits zu gruppiren. Es ist darin dem
Goethebild v. Pecht ähnlich, welches wir im vorigen Jahre in Leipzig hatten.
Der Vergleichung halber wollen wir einen Blick auf das letzte werfen, ohne auf
den Werih der Ausführung näher einzugehn.

Goethe's Iphigenia ist im Hoftheater zu Weimar aufgeführt, und die Schau¬
spieler, an ihrer Spitze Corona Schröder, überreichen im Garten bei Fackelbeleuchtung
dem Dichter den Ehrenkranz. Um den Dichter, der uns in der Blüthe seiner manu-


2. Unter der Erde.

Ein Wiener Localstück ohne den Wiener Dialekt — es soll uns unmöglich
sein, ein richtiges Urtheil darüber zu gewinnen. Der Brei ist derselbe, aber der
Pfeffer fehlt, die Würze der linguistischen Gemüthlichkeit.

Ein junger Herr von guten Anlagen verwildert in der strengen Zucht eines
Professors, der theils durch sein eignes abstractes Wesen, theils dnrch den Ser¬
vilismus und die knechtische Furcht seiner nächsten Umgebungen charcikterisirt wird.
Er entläuft ihm zuletzt und tritt unter die Vormundschaft eines braven Mannes,
Vorstehers eines Bergwerks, der ihm Liebe zur Arbeit einflößt und ihn dem Laster
des Müssiggangs entfremdet. Er heirathet seine Tochter, tritt mit ihm in Com¬
pagniegeschäft, und zuletzt wird auch der abstracte Professor bekehrt. Außerdem
treten einige Personen auf, die zeitgemäße Couplets singen, und das Bergwerk
gibt zu angemessenen Dekorationen „unter der Erde" Veranlassung. Was der
abstracte Professor und seine servile Umgebung sagen, ist Unsinn, gemein und
niederträchtig, was der brave Bergmann und seine „Familie" — alle Bergleute
gehören dazu — sprechen, ist Tugend und Weisheit. Es ist eine faustdicke Moral
und nicht mißzuverstehen.

Hat das Vaudeville seine Berechtigung? — Ich denke nur in dem Falle, wo
eS, wie das französische, heiter und witzig ist. Und selbst da kaum. Wenn man
Tag und Nacht nur die Drehorgel hört, verliert man zuletzt die Fähigkeit, eine
gute Musik zu empfinden. Das Publikum verwildert, und der poetische Geist er¬
stirbt in Trivialität. Wir stecken ohnehin tief genug im Schlamm.




Historische Gemälde.



2. Das Todtemnahl der Girondisten. Von Teichs.

In einer andern Art, als das vorige Gemälde, welches wir kritisirt haben,
geht anch dieses ans dem Portrait hervor, aus dem Bestreben nämlich, eine An¬
zahl der Zeit nach zusammenhängender Portraits zu gruppiren. Es ist darin dem
Goethebild v. Pecht ähnlich, welches wir im vorigen Jahre in Leipzig hatten.
Der Vergleichung halber wollen wir einen Blick auf das letzte werfen, ohne auf
den Werih der Ausführung näher einzugehn.

Goethe's Iphigenia ist im Hoftheater zu Weimar aufgeführt, und die Schau¬
spieler, an ihrer Spitze Corona Schröder, überreichen im Garten bei Fackelbeleuchtung
dem Dichter den Ehrenkranz. Um den Dichter, der uns in der Blüthe seiner manu-


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[0148] 2. Unter der Erde. Ein Wiener Localstück ohne den Wiener Dialekt — es soll uns unmöglich sein, ein richtiges Urtheil darüber zu gewinnen. Der Brei ist derselbe, aber der Pfeffer fehlt, die Würze der linguistischen Gemüthlichkeit. Ein junger Herr von guten Anlagen verwildert in der strengen Zucht eines Professors, der theils durch sein eignes abstractes Wesen, theils dnrch den Ser¬ vilismus und die knechtische Furcht seiner nächsten Umgebungen charcikterisirt wird. Er entläuft ihm zuletzt und tritt unter die Vormundschaft eines braven Mannes, Vorstehers eines Bergwerks, der ihm Liebe zur Arbeit einflößt und ihn dem Laster des Müssiggangs entfremdet. Er heirathet seine Tochter, tritt mit ihm in Com¬ pagniegeschäft, und zuletzt wird auch der abstracte Professor bekehrt. Außerdem treten einige Personen auf, die zeitgemäße Couplets singen, und das Bergwerk gibt zu angemessenen Dekorationen „unter der Erde" Veranlassung. Was der abstracte Professor und seine servile Umgebung sagen, ist Unsinn, gemein und niederträchtig, was der brave Bergmann und seine „Familie" — alle Bergleute gehören dazu — sprechen, ist Tugend und Weisheit. Es ist eine faustdicke Moral und nicht mißzuverstehen. Hat das Vaudeville seine Berechtigung? — Ich denke nur in dem Falle, wo eS, wie das französische, heiter und witzig ist. Und selbst da kaum. Wenn man Tag und Nacht nur die Drehorgel hört, verliert man zuletzt die Fähigkeit, eine gute Musik zu empfinden. Das Publikum verwildert, und der poetische Geist er¬ stirbt in Trivialität. Wir stecken ohnehin tief genug im Schlamm. Historische Gemälde. 2. Das Todtemnahl der Girondisten. Von Teichs. In einer andern Art, als das vorige Gemälde, welches wir kritisirt haben, geht anch dieses ans dem Portrait hervor, aus dem Bestreben nämlich, eine An¬ zahl der Zeit nach zusammenhängender Portraits zu gruppiren. Es ist darin dem Goethebild v. Pecht ähnlich, welches wir im vorigen Jahre in Leipzig hatten. Der Vergleichung halber wollen wir einen Blick auf das letzte werfen, ohne auf den Werih der Ausführung näher einzugehn. Goethe's Iphigenia ist im Hoftheater zu Weimar aufgeführt, und die Schau¬ spieler, an ihrer Spitze Corona Schröder, überreichen im Garten bei Fackelbeleuchtung dem Dichter den Ehrenkranz. Um den Dichter, der uns in der Blüthe seiner manu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279547/148>, abgerufen am 15.01.2025.