Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.Die Schrecken des neuen Wahlgesetzes in Breslau. Heut nichts von den Wahlnmtriebeu, welche hier wieder beginnen. Da wir Ich könnte Ihnen viele Beispiele aus dem Kreis meiner persönlichen Bekann¬ Die Schrecken des neuen Wahlgesetzes in Breslau. Heut nichts von den Wahlnmtriebeu, welche hier wieder beginnen. Da wir Ich könnte Ihnen viele Beispiele aus dem Kreis meiner persönlichen Bekann¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0047" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/279073"/> </div> <div n="1"> <head> Die Schrecken des neuen Wahlgesetzes in Breslau.</head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p xml:id="ID_124"> Heut nichts von den Wahlnmtriebeu, welche hier wieder beginnen. Da wir<lb/> so oft das Vergnügen haben, Deputirte zu wählen, so mögen Sie annehmen,<lb/> daß wir uns schon eine recht hübsche Praxis darin erworben haben. Man ver¬<lb/> steht bei uns vortrefflich Stimmen zu kaufen, zu verschenken, zu presse»,<lb/> das Geschäftliche des Wühlens wird mit bewundernswerther Fertigkeit getrie¬<lb/> ben. Leider sind die Männer unserer Wahl bis jetzt gar zu ärgerlich für die<lb/> väterliche Weisheit der Krone gewesen, und die Negierung hat sich ebenfalls eine<lb/> recht angenehme Gewandheit darin erworben, die Deputirten wieder uach Hause<lb/> zu schicken und den Wählern einzuschärfen: Wählt besser, meine Kinder. Wir<lb/> armen Kinder in Breslau werden auch diesmal nicht die beste Wahl treffen. Vor¬<lb/> läufig sind wir noch in Trübseligkeit und Schauder über das neue Wahlgesetz ver¬<lb/> sunken. — Nein, es ist nicht möglich, daß die Verfasser dieses Gesetzes arm an<lb/> Geist sein können, es ist ja so schwer zu verstehen, wie schwer muß es erst zu<lb/> verfasse» gewesen sein! — Sagte ich, es sei schwer zu verstehn? Um Verzeihung,<lb/> es ist gar nicht zu versteh», obgleich es bereits zwei Nachträge und Erklärungen<lb/> erhalten hat. Diesem Wahlgesetz helfen keine Erklärungen, denn durch jedes<lb/> Licht, welches eine solche Ergänzung über dunkle Stellen des Gesetzes verbreitet,<lb/> werden wieder viele neue bedenkliche Schlagschatten auf andere Stellen geworfen,<lb/> und je mehr Lichter das Ministerium darüber anzündet, desto schauriger und dü¬<lb/> sterer muß es werden. O, ich wünsche nicht, daß Sie den Zustand aller unserer<lb/> Beamten, welche mit den neuen Wahlen zu thu» haben, ansehn müßten. Sie<lb/> gewähren einen sehr traurigen Anblick, und lassen sich mit keinen andern Leuten<lb/> mehr vergleiche», als mit Nachtwandlern, Trunkenbolde» oder Wahnsinnigen.<lb/> Ihr Blick ist starr, und glotzt gradaus in die Welt, welche keine Wichtigkeit mehr<lb/> hat, denn der Schlüssel zu all ihren Mysterien und Schwierigkeiten steckt im Wahl¬<lb/> gesetz; die Beine gehn nicht mehr grade, sondern im Zickzack von einer Straßen¬<lb/> seite zur andern, um die Kreuz- und Quersprünge des feinen Gesetzes träume-<lb/> nsch nachzuahmen, und der Kops wackelt unheimlich hin und her, denn er ist<lb/> vor Verzweiflung fast ausgerissen und hängt nur noch an einem dünnen Faden<lb/> in der Mitte des Halses. Viele unserer Regierungsbeamten müssen Opfer des<lb/> neuen Wahlgesetzes werden, ihr Geist geräth i» Verwirrung, ihr Leib schwindet<lb/> dahin, sie sind Bilder des Jammers, der Resignation, des Traumlebens; aber<lb/> wie sie sich auch stellen mögen, sie verstehen das neue Wahlgesetz doch nicht.</p><lb/> <p xml:id="ID_125" next="#ID_126"> Ich könnte Ihnen viele Beispiele aus dem Kreis meiner persönlichen Bekann¬<lb/> ten erzählen, welche in ihren Symptomen zum Theil rührend sind. — So bekömmt</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0047]
Die Schrecken des neuen Wahlgesetzes in Breslau.
Heut nichts von den Wahlnmtriebeu, welche hier wieder beginnen. Da wir
so oft das Vergnügen haben, Deputirte zu wählen, so mögen Sie annehmen,
daß wir uns schon eine recht hübsche Praxis darin erworben haben. Man ver¬
steht bei uns vortrefflich Stimmen zu kaufen, zu verschenken, zu presse»,
das Geschäftliche des Wühlens wird mit bewundernswerther Fertigkeit getrie¬
ben. Leider sind die Männer unserer Wahl bis jetzt gar zu ärgerlich für die
väterliche Weisheit der Krone gewesen, und die Negierung hat sich ebenfalls eine
recht angenehme Gewandheit darin erworben, die Deputirten wieder uach Hause
zu schicken und den Wählern einzuschärfen: Wählt besser, meine Kinder. Wir
armen Kinder in Breslau werden auch diesmal nicht die beste Wahl treffen. Vor¬
läufig sind wir noch in Trübseligkeit und Schauder über das neue Wahlgesetz ver¬
sunken. — Nein, es ist nicht möglich, daß die Verfasser dieses Gesetzes arm an
Geist sein können, es ist ja so schwer zu verstehen, wie schwer muß es erst zu
verfasse» gewesen sein! — Sagte ich, es sei schwer zu verstehn? Um Verzeihung,
es ist gar nicht zu versteh», obgleich es bereits zwei Nachträge und Erklärungen
erhalten hat. Diesem Wahlgesetz helfen keine Erklärungen, denn durch jedes
Licht, welches eine solche Ergänzung über dunkle Stellen des Gesetzes verbreitet,
werden wieder viele neue bedenkliche Schlagschatten auf andere Stellen geworfen,
und je mehr Lichter das Ministerium darüber anzündet, desto schauriger und dü¬
sterer muß es werden. O, ich wünsche nicht, daß Sie den Zustand aller unserer
Beamten, welche mit den neuen Wahlen zu thu» haben, ansehn müßten. Sie
gewähren einen sehr traurigen Anblick, und lassen sich mit keinen andern Leuten
mehr vergleiche», als mit Nachtwandlern, Trunkenbolde» oder Wahnsinnigen.
Ihr Blick ist starr, und glotzt gradaus in die Welt, welche keine Wichtigkeit mehr
hat, denn der Schlüssel zu all ihren Mysterien und Schwierigkeiten steckt im Wahl¬
gesetz; die Beine gehn nicht mehr grade, sondern im Zickzack von einer Straßen¬
seite zur andern, um die Kreuz- und Quersprünge des feinen Gesetzes träume-
nsch nachzuahmen, und der Kops wackelt unheimlich hin und her, denn er ist
vor Verzweiflung fast ausgerissen und hängt nur noch an einem dünnen Faden
in der Mitte des Halses. Viele unserer Regierungsbeamten müssen Opfer des
neuen Wahlgesetzes werden, ihr Geist geräth i» Verwirrung, ihr Leib schwindet
dahin, sie sind Bilder des Jammers, der Resignation, des Traumlebens; aber
wie sie sich auch stellen mögen, sie verstehen das neue Wahlgesetz doch nicht.
Ich könnte Ihnen viele Beispiele aus dem Kreis meiner persönlichen Bekann¬
ten erzählen, welche in ihren Symptomen zum Theil rührend sind. — So bekömmt
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