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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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Rückblicke auf die neueste Geschichte Oestreichs.



Als der alte Feldmarschall Radetzki am 15. Januar 1848 zu Mailand jenen
berühmten Tagesbefehl an die Armee erließ, in welcher er Europa verkündigte,
daß Oestreich noch nicht untergegangen sei, war man eigentlich überrascht; man
hatte sich noch gar keine Vorstellung davon gemacht, daß so etwas in Frage ge¬
stellt werden könnte. Freilich war bei der allgemeinen nationalen Bewegung in
Italien die Stimmung in der Lombardei schlimm genug; sogar durch Enthaltung
der Cigarren griff man Oestreichs Hilfsquellen an (Ligue vom 2. Januar), man
machte Mordanfälle auf einzelne Soldaten, man trug Calabreserhüte und die ita¬
lienische Tricolore, und die Aufregung ging so weit, daß, abgesehn von einer
Menge Verhaftungen, endlich (19. Febr.) das Standrecht verkündigt werden mußte.
Aber ein Aufstand in Italien war nichts neues, und mau war an den Wankel¬
mut!) der Italiener zu sehr gewohnt, um sie besonders zu fürchten.

Auch in Ungarn gab es zwar eine lebhafte Bewegung, aber sie schien sich
in den Schranken des Gesetzes zu halten. Das Ständehaus war den 7. Januar
zu Preßburg eröffnet; die Magnatentafel hatte sich populär gemacht, indem sie
gleiche Besteuerung aller Klassen (17. Januar) und die Ablösung der bäuerlichen
Giebigkeiten (4. Februar) beschloß; man hatte sich selbst den slavischen Stämmen
genähert, indem man (5. Februar) den Kroaten für ihre innern Angelegenheiten
den Gebrauch ihrer Sprache bewilligte.

Die Finanzen des Staats waren zwar in der alten Verwirrung, allein auch
hier hatte eine durch Hofrath Frenzel in Petersburg negociirte Anleihe von
5" Millionen Gulden (28. Jan.) einige Aushilfe gegeben.

So kam die Februarrevolution.

Eine Bittschrift, von Seiten der Universität eingereicht (12. März, Professor
Hye und Endlicher), war zwar etwas Neues, konnte aber noch immer in
der alten Weise behandelt werden. Auch der gleichzeitige Zusammentritt des nieder¬
östreichischen Landtags (in welchem damals Montecuculi, Schmerling und
Dobblhos die populärsten Namen waren), hatte an sich noch wenig zu bedeuten,
obgleich das Volk, unter D>. Fisch Hoff Leitung, demselben einen unmittelbaren


Grenzboten, "l. I8^w. 56
Rückblicke auf die neueste Geschichte Oestreichs.



Als der alte Feldmarschall Radetzki am 15. Januar 1848 zu Mailand jenen
berühmten Tagesbefehl an die Armee erließ, in welcher er Europa verkündigte,
daß Oestreich noch nicht untergegangen sei, war man eigentlich überrascht; man
hatte sich noch gar keine Vorstellung davon gemacht, daß so etwas in Frage ge¬
stellt werden könnte. Freilich war bei der allgemeinen nationalen Bewegung in
Italien die Stimmung in der Lombardei schlimm genug; sogar durch Enthaltung
der Cigarren griff man Oestreichs Hilfsquellen an (Ligue vom 2. Januar), man
machte Mordanfälle auf einzelne Soldaten, man trug Calabreserhüte und die ita¬
lienische Tricolore, und die Aufregung ging so weit, daß, abgesehn von einer
Menge Verhaftungen, endlich (19. Febr.) das Standrecht verkündigt werden mußte.
Aber ein Aufstand in Italien war nichts neues, und mau war an den Wankel¬
mut!) der Italiener zu sehr gewohnt, um sie besonders zu fürchten.

Auch in Ungarn gab es zwar eine lebhafte Bewegung, aber sie schien sich
in den Schranken des Gesetzes zu halten. Das Ständehaus war den 7. Januar
zu Preßburg eröffnet; die Magnatentafel hatte sich populär gemacht, indem sie
gleiche Besteuerung aller Klassen (17. Januar) und die Ablösung der bäuerlichen
Giebigkeiten (4. Februar) beschloß; man hatte sich selbst den slavischen Stämmen
genähert, indem man (5. Februar) den Kroaten für ihre innern Angelegenheiten
den Gebrauch ihrer Sprache bewilligte.

Die Finanzen des Staats waren zwar in der alten Verwirrung, allein auch
hier hatte eine durch Hofrath Frenzel in Petersburg negociirte Anleihe von
5« Millionen Gulden (28. Jan.) einige Aushilfe gegeben.

So kam die Februarrevolution.

Eine Bittschrift, von Seiten der Universität eingereicht (12. März, Professor
Hye und Endlicher), war zwar etwas Neues, konnte aber noch immer in
der alten Weise behandelt werden. Auch der gleichzeitige Zusammentritt des nieder¬
östreichischen Landtags (in welchem damals Montecuculi, Schmerling und
Dobblhos die populärsten Namen waren), hatte an sich noch wenig zu bedeuten,
obgleich das Volk, unter D>. Fisch Hoff Leitung, demselben einen unmittelbaren


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[0441] Rückblicke auf die neueste Geschichte Oestreichs. Als der alte Feldmarschall Radetzki am 15. Januar 1848 zu Mailand jenen berühmten Tagesbefehl an die Armee erließ, in welcher er Europa verkündigte, daß Oestreich noch nicht untergegangen sei, war man eigentlich überrascht; man hatte sich noch gar keine Vorstellung davon gemacht, daß so etwas in Frage ge¬ stellt werden könnte. Freilich war bei der allgemeinen nationalen Bewegung in Italien die Stimmung in der Lombardei schlimm genug; sogar durch Enthaltung der Cigarren griff man Oestreichs Hilfsquellen an (Ligue vom 2. Januar), man machte Mordanfälle auf einzelne Soldaten, man trug Calabreserhüte und die ita¬ lienische Tricolore, und die Aufregung ging so weit, daß, abgesehn von einer Menge Verhaftungen, endlich (19. Febr.) das Standrecht verkündigt werden mußte. Aber ein Aufstand in Italien war nichts neues, und mau war an den Wankel¬ mut!) der Italiener zu sehr gewohnt, um sie besonders zu fürchten. Auch in Ungarn gab es zwar eine lebhafte Bewegung, aber sie schien sich in den Schranken des Gesetzes zu halten. Das Ständehaus war den 7. Januar zu Preßburg eröffnet; die Magnatentafel hatte sich populär gemacht, indem sie gleiche Besteuerung aller Klassen (17. Januar) und die Ablösung der bäuerlichen Giebigkeiten (4. Februar) beschloß; man hatte sich selbst den slavischen Stämmen genähert, indem man (5. Februar) den Kroaten für ihre innern Angelegenheiten den Gebrauch ihrer Sprache bewilligte. Die Finanzen des Staats waren zwar in der alten Verwirrung, allein auch hier hatte eine durch Hofrath Frenzel in Petersburg negociirte Anleihe von 5« Millionen Gulden (28. Jan.) einige Aushilfe gegeben. So kam die Februarrevolution. Eine Bittschrift, von Seiten der Universität eingereicht (12. März, Professor Hye und Endlicher), war zwar etwas Neues, konnte aber noch immer in der alten Weise behandelt werden. Auch der gleichzeitige Zusammentritt des nieder¬ östreichischen Landtags (in welchem damals Montecuculi, Schmerling und Dobblhos die populärsten Namen waren), hatte an sich noch wenig zu bedeuten, obgleich das Volk, unter D>. Fisch Hoff Leitung, demselben einen unmittelbaren Grenzboten, »l. I8^w. 56

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/441>, abgerufen am 05.02.2025.