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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band.

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Symptome aus Tirol.



Ich bereise das östreichische Sibirien "die Perle der Krone", unser altes
Tirol. Mit Verwunderung pilgert Ihr Freund über die gesegnete Erde deutscher
Treue und katholischen Ultramontanismus, wohin unsere Staatsverbrecher, unsere
liberalen Beamten und Geistlichen zur Straft geschickt werden in Festungen, Kanz¬
leien und Klöster. Ist das noch mein altes Tirol? -- Verrufen in den übrigen
Provinzen, bei den Corps als ein starres separatistisches Volk, gegen dessen Ei¬
gensinn Palacky und die Banalräthe Kroatiens noch weiches Wachs sind; bei den
Liberalen als ein Felsennest des Absolutismus und der Priesterherrschaft liegt es
da, an der Ecke Deutschlands als ein Sphinx; -- still und dauerhaft, es spricht
nicht viel, aber es hat in der Stille seine eigenthümlichen Gedanken. --

Eine Reise durch Tirol jetzt, wo die großen Begebenheiten in kleineren Wellen
bis in das entfernteste Alpenthal dringen, wo die Erscheinung einer Viertelbanknote
da, wo seit Jahren kein solches Papierzeug gesehen wurde, den Scharfsinn heraus¬
fordert und eine Kette von Ereignissen erklärt, wo der Freimuth in Rede und
Gedanken wenigstens von keiner Polizei beengt wurde, wo die vier großen Stra¬
ßen ihre Reisenden und vieles Andere an den Mündungen der Seitenthäler schnell
vorüberführen, eine Reise in dies Land ist jetzt wohl der Mühe werth.

Die Tiroler haben unter uns Oestreichern das lebhafteste und stolzeste Proviu-
zialbewußtseiu, sie blicken sämmtlich aus ihr Innsbruck als ihren Centralpunkt und so
verschieden Tracht und Dialekt der einzelnen Thäler sich darstellen mag, das Ge¬
meinsame wird überall im Lande empfunden, sie sind fast alle Einer Religion,
stellen nur Eine und zwar zusammengehörige Waffengattung mit dem Bewußtsein,
eigentlich nur für die Vertheidigung des Landes in Waffen zu dienen und erzäh¬
len von einem großen nationalen Kriege, dessen Thaten alle begeistern. Sie wer¬
den weise von Landeskindern administrirt, mit einer in Deutschöstreich früher sel¬
tenen Unabhängigkeit der Gerichte, mit einer Spur von Vertretung des vierten
Standes, ohne Proletariat und Luxus volkreicher Städte. Der Dorfbewohner
sitzt hier zumeist als freier Herr auf eignem Hofe, einzeln steht sein Gehöft, wie



wir sie ihrem Inhalt nach für schädlich halten, aber unbedingte Verehrer der Phrase "Föde¬
ration" sind wir deshalb doch nicht. Denn mit diesem Wort verbinden sich so viele unklare
und unberechtigte Borstellungen und Stimmungen, zumal bei unseren Freunden im Süden,
daß man immer erst zu fragen hat, was der Fordernde unter Föderation versteht und wie er
sich die Einzelnheiten derselben denkt. Es gibt Vorstellungen vom "Föderativstaat," deren
Realisirung für Oestreich eben so bedenklich wäre, als die gegenwärtige Verfassung. Unser
Ideal einer Verfassung für Oestreich ist den Lesern der Grenzboten nicht unbekannt wir kom¬
,
D. Red., men nächstens darauf zurück.
Symptome aus Tirol.



Ich bereise das östreichische Sibirien „die Perle der Krone", unser altes
Tirol. Mit Verwunderung pilgert Ihr Freund über die gesegnete Erde deutscher
Treue und katholischen Ultramontanismus, wohin unsere Staatsverbrecher, unsere
liberalen Beamten und Geistlichen zur Straft geschickt werden in Festungen, Kanz¬
leien und Klöster. Ist das noch mein altes Tirol? — Verrufen in den übrigen
Provinzen, bei den Corps als ein starres separatistisches Volk, gegen dessen Ei¬
gensinn Palacky und die Banalräthe Kroatiens noch weiches Wachs sind; bei den
Liberalen als ein Felsennest des Absolutismus und der Priesterherrschaft liegt es
da, an der Ecke Deutschlands als ein Sphinx; — still und dauerhaft, es spricht
nicht viel, aber es hat in der Stille seine eigenthümlichen Gedanken. —

Eine Reise durch Tirol jetzt, wo die großen Begebenheiten in kleineren Wellen
bis in das entfernteste Alpenthal dringen, wo die Erscheinung einer Viertelbanknote
da, wo seit Jahren kein solches Papierzeug gesehen wurde, den Scharfsinn heraus¬
fordert und eine Kette von Ereignissen erklärt, wo der Freimuth in Rede und
Gedanken wenigstens von keiner Polizei beengt wurde, wo die vier großen Stra¬
ßen ihre Reisenden und vieles Andere an den Mündungen der Seitenthäler schnell
vorüberführen, eine Reise in dies Land ist jetzt wohl der Mühe werth.

Die Tiroler haben unter uns Oestreichern das lebhafteste und stolzeste Proviu-
zialbewußtseiu, sie blicken sämmtlich aus ihr Innsbruck als ihren Centralpunkt und so
verschieden Tracht und Dialekt der einzelnen Thäler sich darstellen mag, das Ge¬
meinsame wird überall im Lande empfunden, sie sind fast alle Einer Religion,
stellen nur Eine und zwar zusammengehörige Waffengattung mit dem Bewußtsein,
eigentlich nur für die Vertheidigung des Landes in Waffen zu dienen und erzäh¬
len von einem großen nationalen Kriege, dessen Thaten alle begeistern. Sie wer¬
den weise von Landeskindern administrirt, mit einer in Deutschöstreich früher sel¬
tenen Unabhängigkeit der Gerichte, mit einer Spur von Vertretung des vierten
Standes, ohne Proletariat und Luxus volkreicher Städte. Der Dorfbewohner
sitzt hier zumeist als freier Herr auf eignem Hofe, einzeln steht sein Gehöft, wie



wir sie ihrem Inhalt nach für schädlich halten, aber unbedingte Verehrer der Phrase „Föde¬
ration" sind wir deshalb doch nicht. Denn mit diesem Wort verbinden sich so viele unklare
und unberechtigte Borstellungen und Stimmungen, zumal bei unseren Freunden im Süden,
daß man immer erst zu fragen hat, was der Fordernde unter Föderation versteht und wie er
sich die Einzelnheiten derselben denkt. Es gibt Vorstellungen vom „Föderativstaat," deren
Realisirung für Oestreich eben so bedenklich wäre, als die gegenwärtige Verfassung. Unser
Ideal einer Verfassung für Oestreich ist den Lesern der Grenzboten nicht unbekannt wir kom¬
,
D. Red., men nächstens darauf zurück.
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[0389] Symptome aus Tirol. Ich bereise das östreichische Sibirien „die Perle der Krone", unser altes Tirol. Mit Verwunderung pilgert Ihr Freund über die gesegnete Erde deutscher Treue und katholischen Ultramontanismus, wohin unsere Staatsverbrecher, unsere liberalen Beamten und Geistlichen zur Straft geschickt werden in Festungen, Kanz¬ leien und Klöster. Ist das noch mein altes Tirol? — Verrufen in den übrigen Provinzen, bei den Corps als ein starres separatistisches Volk, gegen dessen Ei¬ gensinn Palacky und die Banalräthe Kroatiens noch weiches Wachs sind; bei den Liberalen als ein Felsennest des Absolutismus und der Priesterherrschaft liegt es da, an der Ecke Deutschlands als ein Sphinx; — still und dauerhaft, es spricht nicht viel, aber es hat in der Stille seine eigenthümlichen Gedanken. — Eine Reise durch Tirol jetzt, wo die großen Begebenheiten in kleineren Wellen bis in das entfernteste Alpenthal dringen, wo die Erscheinung einer Viertelbanknote da, wo seit Jahren kein solches Papierzeug gesehen wurde, den Scharfsinn heraus¬ fordert und eine Kette von Ereignissen erklärt, wo der Freimuth in Rede und Gedanken wenigstens von keiner Polizei beengt wurde, wo die vier großen Stra¬ ßen ihre Reisenden und vieles Andere an den Mündungen der Seitenthäler schnell vorüberführen, eine Reise in dies Land ist jetzt wohl der Mühe werth. Die Tiroler haben unter uns Oestreichern das lebhafteste und stolzeste Proviu- zialbewußtseiu, sie blicken sämmtlich aus ihr Innsbruck als ihren Centralpunkt und so verschieden Tracht und Dialekt der einzelnen Thäler sich darstellen mag, das Ge¬ meinsame wird überall im Lande empfunden, sie sind fast alle Einer Religion, stellen nur Eine und zwar zusammengehörige Waffengattung mit dem Bewußtsein, eigentlich nur für die Vertheidigung des Landes in Waffen zu dienen und erzäh¬ len von einem großen nationalen Kriege, dessen Thaten alle begeistern. Sie wer¬ den weise von Landeskindern administrirt, mit einer in Deutschöstreich früher sel¬ tenen Unabhängigkeit der Gerichte, mit einer Spur von Vertretung des vierten Standes, ohne Proletariat und Luxus volkreicher Städte. Der Dorfbewohner sitzt hier zumeist als freier Herr auf eignem Hofe, einzeln steht sein Gehöft, wie wir sie ihrem Inhalt nach für schädlich halten, aber unbedingte Verehrer der Phrase „Föde¬ ration" sind wir deshalb doch nicht. Denn mit diesem Wort verbinden sich so viele unklare und unberechtigte Borstellungen und Stimmungen, zumal bei unseren Freunden im Süden, daß man immer erst zu fragen hat, was der Fordernde unter Föderation versteht und wie er sich die Einzelnheiten derselben denkt. Es gibt Vorstellungen vom „Föderativstaat," deren Realisirung für Oestreich eben so bedenklich wäre, als die gegenwärtige Verfassung. Unser Ideal einer Verfassung für Oestreich ist den Lesern der Grenzboten nicht unbekannt wir kom¬ , D. Red., men nächstens darauf zurück.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_279025/389>, abgerufen am 05.02.2025.