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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band.

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Zur neuesten Geschichte Ungarns



i.

Der Krieg in Ungarn ist nun in seinem Zenith angelangt. Für die eine
oder die andere Partei muß die Kampfessonne untergehn, sie wird durch kein
göttliches Machtgebot aufgehalten werden, wie zu den Zeiten Iosuas bei Gideon.
Schon einmal glaubte" wir am Wendepunkte angekommen zu sein -- es war am
Anfang dieses Jahres; Fürst Windischgrä'jz stand in der Mitte seiner Generale
vor der hohen Königslmrg zu Ofen, um deren Besitz in frühern, halbvergessenen
Tagen die beiden Krummsäbel Europas so viele kühne Schlachten ausgefochten
hatten, und schaute das weiße schneebedeckte Land ringsum zu seinen Füßen, vor
ihm die Donau, welche sich mit einer Eiskruste gesattelt halte, um sein schweres
beschütz von Ufer zu Ufer zu tragen, und trüben die neue Hauptstadt Pesth, den
Feuerhccrd des Krieges, auf dem ein prasselndes Strohfeuer Funken gesprüht hatte
^'ud in sich selbst verloschen zu sein schien. , Oestreichische schwarzgelbe Schilder-
Häuschen standen an den Brückenenden, und in der Mitte derselben, wo Graf
Lamberg unter den Streichen seiner Mörder gefallen war, drängte sich eine schwei¬
gende Menge um eine Kundmachung des Feldherrn: die Verkündigung des Be¬
lagerungszustandes mit seinen ominösen Paragraphen, die heut zu Tage jeder
Knabe in Deutschland auswendig weiß. Pesth bot den alten, friedlichen Charakter
^r; von Krieg, von Widerstand, von Rebellion war keine Spur zu lesen, und
die Verschanzungen, welche sich in einem großen Halbkreise um die Stadt aus¬
dehnten, hatte der Winter mitleidig verhüllt; man hätte sie eben so gut für Ge¬
bilde eines phantastischen Schneegestöbers halten können, das sich in der capriziösen
Gestaltung von Verschanznngshügcln gefallen haben mochte. Der Fürst und seine
Offiziere und mit ihnen wir Alle in und außer Oestreich waren uicht wenig über¬
sehe, als das östreichische Heer beinahe ohne Widerstand die große Strecke von
ungarischen Grenze bis nach Pesth zurückgelegt hatte.


"Magyarc, du bist feig? Ein schaurig Weh
"Durchfährt mich kalt bis zu des Herzens Grunde --

^ir hatten viel gehört von den Wällen und Gräben, hinter denen Kossuth die
Marzconcesstonen vertheidigen wollte. Kinder, Greise und Frauen hatten mit
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"Njtott". II. ,Si0. ....
Zur neuesten Geschichte Ungarns



i.

Der Krieg in Ungarn ist nun in seinem Zenith angelangt. Für die eine
oder die andere Partei muß die Kampfessonne untergehn, sie wird durch kein
göttliches Machtgebot aufgehalten werden, wie zu den Zeiten Iosuas bei Gideon.
Schon einmal glaubte» wir am Wendepunkte angekommen zu sein — es war am
Anfang dieses Jahres; Fürst Windischgrä'jz stand in der Mitte seiner Generale
vor der hohen Königslmrg zu Ofen, um deren Besitz in frühern, halbvergessenen
Tagen die beiden Krummsäbel Europas so viele kühne Schlachten ausgefochten
hatten, und schaute das weiße schneebedeckte Land ringsum zu seinen Füßen, vor
ihm die Donau, welche sich mit einer Eiskruste gesattelt halte, um sein schweres
beschütz von Ufer zu Ufer zu tragen, und trüben die neue Hauptstadt Pesth, den
Feuerhccrd des Krieges, auf dem ein prasselndes Strohfeuer Funken gesprüht hatte
^'ud in sich selbst verloschen zu sein schien. , Oestreichische schwarzgelbe Schilder-
Häuschen standen an den Brückenenden, und in der Mitte derselben, wo Graf
Lamberg unter den Streichen seiner Mörder gefallen war, drängte sich eine schwei¬
gende Menge um eine Kundmachung des Feldherrn: die Verkündigung des Be¬
lagerungszustandes mit seinen ominösen Paragraphen, die heut zu Tage jeder
Knabe in Deutschland auswendig weiß. Pesth bot den alten, friedlichen Charakter
^r; von Krieg, von Widerstand, von Rebellion war keine Spur zu lesen, und
die Verschanzungen, welche sich in einem großen Halbkreise um die Stadt aus¬
dehnten, hatte der Winter mitleidig verhüllt; man hätte sie eben so gut für Ge¬
bilde eines phantastischen Schneegestöbers halten können, das sich in der capriziösen
Gestaltung von Verschanznngshügcln gefallen haben mochte. Der Fürst und seine
Offiziere und mit ihnen wir Alle in und außer Oestreich waren uicht wenig über¬
sehe, als das östreichische Heer beinahe ohne Widerstand die große Strecke von
ungarischen Grenze bis nach Pesth zurückgelegt hatte.


„Magyarc, du bist feig? Ein schaurig Weh
„Durchfährt mich kalt bis zu des Herzens Grunde —

^ir hatten viel gehört von den Wällen und Gräben, hinter denen Kossuth die
Marzconcesstonen vertheidigen wollte. Kinder, Greise und Frauen hatten mit
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[0201] Zur neuesten Geschichte Ungarns i. Der Krieg in Ungarn ist nun in seinem Zenith angelangt. Für die eine oder die andere Partei muß die Kampfessonne untergehn, sie wird durch kein göttliches Machtgebot aufgehalten werden, wie zu den Zeiten Iosuas bei Gideon. Schon einmal glaubte» wir am Wendepunkte angekommen zu sein — es war am Anfang dieses Jahres; Fürst Windischgrä'jz stand in der Mitte seiner Generale vor der hohen Königslmrg zu Ofen, um deren Besitz in frühern, halbvergessenen Tagen die beiden Krummsäbel Europas so viele kühne Schlachten ausgefochten hatten, und schaute das weiße schneebedeckte Land ringsum zu seinen Füßen, vor ihm die Donau, welche sich mit einer Eiskruste gesattelt halte, um sein schweres beschütz von Ufer zu Ufer zu tragen, und trüben die neue Hauptstadt Pesth, den Feuerhccrd des Krieges, auf dem ein prasselndes Strohfeuer Funken gesprüht hatte ^'ud in sich selbst verloschen zu sein schien. , Oestreichische schwarzgelbe Schilder- Häuschen standen an den Brückenenden, und in der Mitte derselben, wo Graf Lamberg unter den Streichen seiner Mörder gefallen war, drängte sich eine schwei¬ gende Menge um eine Kundmachung des Feldherrn: die Verkündigung des Be¬ lagerungszustandes mit seinen ominösen Paragraphen, die heut zu Tage jeder Knabe in Deutschland auswendig weiß. Pesth bot den alten, friedlichen Charakter ^r; von Krieg, von Widerstand, von Rebellion war keine Spur zu lesen, und die Verschanzungen, welche sich in einem großen Halbkreise um die Stadt aus¬ dehnten, hatte der Winter mitleidig verhüllt; man hätte sie eben so gut für Ge¬ bilde eines phantastischen Schneegestöbers halten können, das sich in der capriziösen Gestaltung von Verschanznngshügcln gefallen haben mochte. Der Fürst und seine Offiziere und mit ihnen wir Alle in und außer Oestreich waren uicht wenig über¬ sehe, als das östreichische Heer beinahe ohne Widerstand die große Strecke von ungarischen Grenze bis nach Pesth zurückgelegt hatte. „Magyarc, du bist feig? Ein schaurig Weh „Durchfährt mich kalt bis zu des Herzens Grunde — ^ir hatten viel gehört von den Wällen und Gräben, hinter denen Kossuth die Marzconcesstonen vertheidigen wollte. Kinder, Greise und Frauen hatten mit 6 «Njtott„. II. ,Si0. ....

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_278509/201>, abgerufen am 15.01.2025.