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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Staatsgewalt zwischen Fürst und Volk festzustellen. Diese Arbeit wird zu einem
gedeihlichen Ziele führen. Wir werden uns durch unser Urrecht aus die Republik
nicht stören lassen, die Säulen deS constitutionellen Königthums aufzurichten. Es
lebt die Rechtsüberzeugung im preußischen Volke, daß es gut ist, eine Spitze des
Staats zu haben, an die sich kein noch so großer Ehrgeiz hinauwagt; daß es gut
ist, einen mächtigen Damm zu besitzen, an dem sich augenblickliche Leidenschaften
des Tages brechen. Wer diese Ansicht nicht theilt, gegen den läßt sich Nichts
sagen, so lange es eben nur Ansicht bleibt. Aber derjenige ist ein Frevler oder
ein blödsinniger Thor, der bei Begründung der Staatsform seinen Gelüsten
folgt, und nicht darauf achtet, was die Herze" seiner Mitbürger belebt. Der
Hälfte unserer Staatsbürger ist bis jetzt der Staat fast nur durch Unteroffiziere,
GcnSd'armen und Exccutorcn nahe getreten. Aber dennoch haben sie eine Staats¬
anschauung! Sie haben den Staat nicht in der Idee ergriffen, aber sie haben ihn
in einem Bilde in ihre Brust aufgenommen, in einem Bilde, das in fast über¬
irdischem Glänze zu ihnen strahlt; sie kennen Alle einen mächtigen Leuchtthurm,
ans den ihre Angen in Angst und Noth sich richten. Sie würden keinen Staat
mehr kennen, wenn man ihnen dieses Bild des Staats nehmen würde! Der Staat
würde für sie mit Nacht bedeckt sein, wenn der Leuchtthurm ihnen kein Licht mehr
darauf würfe! Und in dieser Nacht würden wir Alle zu Grunde gehen.




Die Revolntionsknche in Wien.
(Von einem Wiener.)



I.

Fürst Windischgrätz hatte in den Pfingsttagen eine "weitverzweigte Verschwö¬
rung" entdeckt. Die Untersnchnngsacten hierüber sind noch nicht veröffentlicht,
die Steckbriefe, welche auf die czechischen "Hanpträdelsführer" lauteten, wurden
wegen "Mangel an Beweis" im vergangenen Monate amtlich widerrufen. Nun
haben aber die Octoberereignisse in Wien eine gleiche "weitverzweigte Verschwö¬
rung" nnter den Deutschen und Magyaren vermuthen lassen und die bewaffnete
Restauration, welche in diesem Augenblicke in Oestreich thätig ist, betrachtet alle
seit deu Märztagen ausgebrochenen Revolutionen als eine Kette von Verschwö¬
rungen, Landesverrath und offenen Aufruhr bezweckend. Hierdurch glaubt sie ihr
stand- und kriegsrechtliches Verfahren nach den Paragraphen des peinlichen Straf¬
gesetzbuches v. I. 1762 gerechtfertigt.

Man würde von den Heroen der alten Cabinets- und Militärschulen zu viel
fordern, wenn man von ihnen eine klare Einsicht in die nothwendige Entwickelung
der politischen Ereignisse, durch welche Oestreich in unsern Tagen erschüttert wurde,


Staatsgewalt zwischen Fürst und Volk festzustellen. Diese Arbeit wird zu einem
gedeihlichen Ziele führen. Wir werden uns durch unser Urrecht aus die Republik
nicht stören lassen, die Säulen deS constitutionellen Königthums aufzurichten. Es
lebt die Rechtsüberzeugung im preußischen Volke, daß es gut ist, eine Spitze des
Staats zu haben, an die sich kein noch so großer Ehrgeiz hinauwagt; daß es gut
ist, einen mächtigen Damm zu besitzen, an dem sich augenblickliche Leidenschaften
des Tages brechen. Wer diese Ansicht nicht theilt, gegen den läßt sich Nichts
sagen, so lange es eben nur Ansicht bleibt. Aber derjenige ist ein Frevler oder
ein blödsinniger Thor, der bei Begründung der Staatsform seinen Gelüsten
folgt, und nicht darauf achtet, was die Herze» seiner Mitbürger belebt. Der
Hälfte unserer Staatsbürger ist bis jetzt der Staat fast nur durch Unteroffiziere,
GcnSd'armen und Exccutorcn nahe getreten. Aber dennoch haben sie eine Staats¬
anschauung! Sie haben den Staat nicht in der Idee ergriffen, aber sie haben ihn
in einem Bilde in ihre Brust aufgenommen, in einem Bilde, das in fast über¬
irdischem Glänze zu ihnen strahlt; sie kennen Alle einen mächtigen Leuchtthurm,
ans den ihre Angen in Angst und Noth sich richten. Sie würden keinen Staat
mehr kennen, wenn man ihnen dieses Bild des Staats nehmen würde! Der Staat
würde für sie mit Nacht bedeckt sein, wenn der Leuchtthurm ihnen kein Licht mehr
darauf würfe! Und in dieser Nacht würden wir Alle zu Grunde gehen.




Die Revolntionsknche in Wien.
(Von einem Wiener.)



I.

Fürst Windischgrätz hatte in den Pfingsttagen eine „weitverzweigte Verschwö¬
rung" entdeckt. Die Untersnchnngsacten hierüber sind noch nicht veröffentlicht,
die Steckbriefe, welche auf die czechischen „Hanpträdelsführer" lauteten, wurden
wegen „Mangel an Beweis" im vergangenen Monate amtlich widerrufen. Nun
haben aber die Octoberereignisse in Wien eine gleiche „weitverzweigte Verschwö¬
rung" nnter den Deutschen und Magyaren vermuthen lassen und die bewaffnete
Restauration, welche in diesem Augenblicke in Oestreich thätig ist, betrachtet alle
seit deu Märztagen ausgebrochenen Revolutionen als eine Kette von Verschwö¬
rungen, Landesverrath und offenen Aufruhr bezweckend. Hierdurch glaubt sie ihr
stand- und kriegsrechtliches Verfahren nach den Paragraphen des peinlichen Straf¬
gesetzbuches v. I. 1762 gerechtfertigt.

Man würde von den Heroen der alten Cabinets- und Militärschulen zu viel
fordern, wenn man von ihnen eine klare Einsicht in die nothwendige Entwickelung
der politischen Ereignisse, durch welche Oestreich in unsern Tagen erschüttert wurde,


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[0074] Staatsgewalt zwischen Fürst und Volk festzustellen. Diese Arbeit wird zu einem gedeihlichen Ziele führen. Wir werden uns durch unser Urrecht aus die Republik nicht stören lassen, die Säulen deS constitutionellen Königthums aufzurichten. Es lebt die Rechtsüberzeugung im preußischen Volke, daß es gut ist, eine Spitze des Staats zu haben, an die sich kein noch so großer Ehrgeiz hinauwagt; daß es gut ist, einen mächtigen Damm zu besitzen, an dem sich augenblickliche Leidenschaften des Tages brechen. Wer diese Ansicht nicht theilt, gegen den läßt sich Nichts sagen, so lange es eben nur Ansicht bleibt. Aber derjenige ist ein Frevler oder ein blödsinniger Thor, der bei Begründung der Staatsform seinen Gelüsten folgt, und nicht darauf achtet, was die Herze» seiner Mitbürger belebt. Der Hälfte unserer Staatsbürger ist bis jetzt der Staat fast nur durch Unteroffiziere, GcnSd'armen und Exccutorcn nahe getreten. Aber dennoch haben sie eine Staats¬ anschauung! Sie haben den Staat nicht in der Idee ergriffen, aber sie haben ihn in einem Bilde in ihre Brust aufgenommen, in einem Bilde, das in fast über¬ irdischem Glänze zu ihnen strahlt; sie kennen Alle einen mächtigen Leuchtthurm, ans den ihre Angen in Angst und Noth sich richten. Sie würden keinen Staat mehr kennen, wenn man ihnen dieses Bild des Staats nehmen würde! Der Staat würde für sie mit Nacht bedeckt sein, wenn der Leuchtthurm ihnen kein Licht mehr darauf würfe! Und in dieser Nacht würden wir Alle zu Grunde gehen. Die Revolntionsknche in Wien. (Von einem Wiener.) I. Fürst Windischgrätz hatte in den Pfingsttagen eine „weitverzweigte Verschwö¬ rung" entdeckt. Die Untersnchnngsacten hierüber sind noch nicht veröffentlicht, die Steckbriefe, welche auf die czechischen „Hanpträdelsführer" lauteten, wurden wegen „Mangel an Beweis" im vergangenen Monate amtlich widerrufen. Nun haben aber die Octoberereignisse in Wien eine gleiche „weitverzweigte Verschwö¬ rung" nnter den Deutschen und Magyaren vermuthen lassen und die bewaffnete Restauration, welche in diesem Augenblicke in Oestreich thätig ist, betrachtet alle seit deu Märztagen ausgebrochenen Revolutionen als eine Kette von Verschwö¬ rungen, Landesverrath und offenen Aufruhr bezweckend. Hierdurch glaubt sie ihr stand- und kriegsrechtliches Verfahren nach den Paragraphen des peinlichen Straf¬ gesetzbuches v. I. 1762 gerechtfertigt. Man würde von den Heroen der alten Cabinets- und Militärschulen zu viel fordern, wenn man von ihnen eine klare Einsicht in die nothwendige Entwickelung der politischen Ereignisse, durch welche Oestreich in unsern Tagen erschüttert wurde,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/74>, abgerufen am 23.07.2024.