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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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zitterte in allen^Halmen und Blättern nach, und wie ein Schmerz, aber ein gran¬
dioser, bebte der Geist des kommenden Sturms auf der Fläche der Wasser. --
O deutsches Volk! warum hast dn den Jffland verlästert. In deiner Bewunde¬
rung für den großen Britten ist eitel Reflexion. Hamlet muß gesund werden und
die Ophelia heirathen, du bist für den Schmerz noch nicht reif, du mußt dich
rühren lassen, um zu weinen. Laß dich auf Revolutionen nicht ein, du bist uicht
einmal im Staude, einen rechten Tyrannen hervorzubringen.

Ein Comödiencmsgang zum Schluß einer tragischen Explication! Der Streit
der Dialecte als Lösung eines sittlichen Conflicts. Capitain Fluellen und Major
Macmorris, Ehren-Baier, Ehren-Schwab und Ehren-Berliner! Das deutsche
Kaiserthum für eine Grammatik, um die edlen Spießbürgerseelen zu versöhnen!

Hinweg mit dem widerlichen Bild! Ein guter Gott gab uns das Gelächter,
uns frei zu machen von dem Alpdruck einer wüsten Fieberphantasie. Die Helden¬
rollen sind uns uicht gelungen, so wollen wir wenigstens versuchen, ob wir Män¬
ner spielen können, mit der Consequenz, wie sie jene übelberufenen Theater-Phi¬
lister gedichtet.

Aber umsehen müssen wir uns noch einmal! Die Geschichte ist unerbittlich,
wie Rinaldo's kriegerische Gefährten, die ihm den diamantnen Schild vorhielten,
wie sehr er sich auch abzuwenden strebte, die schnöde Weibertracht auf feinen ath¬
letischen Gliedern zu sehen.

1) Französische Zustände.

"Noch lebt die Sphlnr der Revolution."

Es würde einen ziemlichen Folianten geben, wollte man die Dithyramben
sammeln, welche unsre jungen Frühlings- und Liebespoeten auf die Pariser Fe-
brnarhelden verfaßt: "Und das Wort ward Fleisch!" Die Freiheit realisirte sich
ans Erden! -- alle philosophischen Stegreifritter haben es geweissagt, und ihren
Doctorhut hoch in die Lüste geschlendert, zu Ehren der großen Nation, zu Ehren
des neuen Evangeliums und seiner Propheten! In Einem zeichnete sich dieses
neue Evangelium vor seinem Vorgänger aus; noch nie hat ein Evangelist ein
stylistisches Meisterstück verfaßt, das sich mit den Manifesten des Herrn v. La¬
martine vergleichen ließe. Daß den leidenden Menschen Alles, Alles verheißen
wurde, was ihnen irgend fehlte, Regen und Sonnenschein, friedlicher Erwerb
und kriegerischer Ruhm, Heiligkeit des Eigenthums und Gleichheit der Genüsse,
wollte noch wenig sagen; daß es aber in untadelhafter Perioden, daß es mit
Geist und Witz geschah, das war unerhört in der Geschichte der Religionen,
und wer wollte es Arnold Rüge verdenken, wenn er in belletristischen Entzücken
ausrief: Jetzt erst sängt die eigentliche Geschichte der Menschheit an!

Wohl aber verdachte mau es unserm Freunde, Jacob Kaufmann, keinem
Propheten, damals schwer, als er uns aus Brüssel bei der ersten Nachricht von


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zitterte in allen^Halmen und Blättern nach, und wie ein Schmerz, aber ein gran¬
dioser, bebte der Geist des kommenden Sturms auf der Fläche der Wasser. —
O deutsches Volk! warum hast dn den Jffland verlästert. In deiner Bewunde¬
rung für den großen Britten ist eitel Reflexion. Hamlet muß gesund werden und
die Ophelia heirathen, du bist für den Schmerz noch nicht reif, du mußt dich
rühren lassen, um zu weinen. Laß dich auf Revolutionen nicht ein, du bist uicht
einmal im Staude, einen rechten Tyrannen hervorzubringen.

Ein Comödiencmsgang zum Schluß einer tragischen Explication! Der Streit
der Dialecte als Lösung eines sittlichen Conflicts. Capitain Fluellen und Major
Macmorris, Ehren-Baier, Ehren-Schwab und Ehren-Berliner! Das deutsche
Kaiserthum für eine Grammatik, um die edlen Spießbürgerseelen zu versöhnen!

Hinweg mit dem widerlichen Bild! Ein guter Gott gab uns das Gelächter,
uns frei zu machen von dem Alpdruck einer wüsten Fieberphantasie. Die Helden¬
rollen sind uns uicht gelungen, so wollen wir wenigstens versuchen, ob wir Män¬
ner spielen können, mit der Consequenz, wie sie jene übelberufenen Theater-Phi¬
lister gedichtet.

Aber umsehen müssen wir uns noch einmal! Die Geschichte ist unerbittlich,
wie Rinaldo's kriegerische Gefährten, die ihm den diamantnen Schild vorhielten,
wie sehr er sich auch abzuwenden strebte, die schnöde Weibertracht auf feinen ath¬
letischen Gliedern zu sehen.

1) Französische Zustände.

„Noch lebt die Sphlnr der Revolution."

Es würde einen ziemlichen Folianten geben, wollte man die Dithyramben
sammeln, welche unsre jungen Frühlings- und Liebespoeten auf die Pariser Fe-
brnarhelden verfaßt: „Und das Wort ward Fleisch!" Die Freiheit realisirte sich
ans Erden! — alle philosophischen Stegreifritter haben es geweissagt, und ihren
Doctorhut hoch in die Lüste geschlendert, zu Ehren der großen Nation, zu Ehren
des neuen Evangeliums und seiner Propheten! In Einem zeichnete sich dieses
neue Evangelium vor seinem Vorgänger aus; noch nie hat ein Evangelist ein
stylistisches Meisterstück verfaßt, das sich mit den Manifesten des Herrn v. La¬
martine vergleichen ließe. Daß den leidenden Menschen Alles, Alles verheißen
wurde, was ihnen irgend fehlte, Regen und Sonnenschein, friedlicher Erwerb
und kriegerischer Ruhm, Heiligkeit des Eigenthums und Gleichheit der Genüsse,
wollte noch wenig sagen; daß es aber in untadelhafter Perioden, daß es mit
Geist und Witz geschah, das war unerhört in der Geschichte der Religionen,
und wer wollte es Arnold Rüge verdenken, wenn er in belletristischen Entzücken
ausrief: Jetzt erst sängt die eigentliche Geschichte der Menschheit an!

Wohl aber verdachte mau es unserm Freunde, Jacob Kaufmann, keinem
Propheten, damals schwer, als er uns aus Brüssel bei der ersten Nachricht von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/11>, abgerufen am 22.12.2024.