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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band.

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Offene Briefe.



v.
An Ärnsld Auge in Berlin.

Vortrefflicher Rüge!

Die Gesellschaft, in der Sie Sich in der letzten Zeit bewegt haben, macht
es Ihren ehemaligen Freunden nicht leicht, mit Ihnen in directen Verkehr zu tre¬
ten, selbst in einem polemischen Briefe. Wenn ein anständiger Manu das Unglück
hat, mit dem Conditor Karbe, dem Commis Ottensosser, den Rchbergern und
ihren Spießgesellen in Streit zu gerathen, so wird er eS so viel als möglich ver¬
tuschen, denn es schadet seiner Reputation. Jetzt sind Sie aber wieder einmal
allein auf den Kampfplatz getreten, Sie haben ein neues Manifest erlassen, das
hundert und so und so vielste seit Gründung der Jahrbücher, und man kann Ihre
Person wieder von Ihrer Partei unterscheiden. Der Name Arnold Ruge weckt
Erinnerungen, welche selbst Ihre neuesten Fahrten nicht ganz zu verdrängen im
Stande sind.

Ihr neues Manifest sticht sehr gegen dasjenige ab,^ in welchem Sie "die
Vernunft der Ereignisse redigirten," um sich der Nation als Kandidaten zum
Frankfurter Parlament vorzustellen. Es war brillant geschrieben, wenn man die
Ausfälle Ihres naturwüchsigen Gemüths auf Bildung und Gelehrsamkeit abrechnet.
Ich glaubte von Ihnen, Sie würden einst mit König Franz ausrufen können:
"l'aut Ne-ulu, 8!l"l Jo 8^1"!" Aber der Umgang mit den faden Gesellen in
Berlin hat Ihnen geschadet. "In dem Augenblick," schreiben Sie an Ihre Bres-
lauer Wähler, "wo ich diesen Brief an Euch richte, donnern die Kanonen in Wien,
in diesem Augenblicke ist ganz Berlin in --" Feuer und Flammen sollte man
denken, aber "ein! in - "Spannung!" Was ist das für eine Gradation! Sie,
der Sie seit Ihrer Pariser Reise für den eleganten Ausdruck wenigstens eben so
schwärmten, als für Humanität und Republik!

Sie sind also in der Politik wieder auf den alten Standpunkt zurückgekehrt,
sie lassen die "Nationalitätsschnurre" fallen, der Sie ein gutes Semester hindurch
Ihre Kräfte gewidmet. Sie übersehen dabei nnr Eines. In der Theorie kann
es wohl begegnen, daß man in der Hitze einmal von seinem Prinzip abfällt, daß
man sich dann wieder besinnt und erklärt, ich habe mich übereilt! Es ist dabei
nichts verloren. Die Theorie, die nvstracte Wahrheit ist ewig Eins und unwan¬
delbar; die Jncorrectheit ihrer Bekenner thut ihr keinen Abbruch. In der Praxis
geht das nicht. Die Wirklichkeit ist ein Netz unauflöslicher Beziehungen, haben
Sie Sich einmal darin verstrickt, so hilft ein vieler peccavi nichts weiter und keine


Offene Briefe.



v.
An Ärnsld Auge in Berlin.

Vortrefflicher Rüge!

Die Gesellschaft, in der Sie Sich in der letzten Zeit bewegt haben, macht
es Ihren ehemaligen Freunden nicht leicht, mit Ihnen in directen Verkehr zu tre¬
ten, selbst in einem polemischen Briefe. Wenn ein anständiger Manu das Unglück
hat, mit dem Conditor Karbe, dem Commis Ottensosser, den Rchbergern und
ihren Spießgesellen in Streit zu gerathen, so wird er eS so viel als möglich ver¬
tuschen, denn es schadet seiner Reputation. Jetzt sind Sie aber wieder einmal
allein auf den Kampfplatz getreten, Sie haben ein neues Manifest erlassen, das
hundert und so und so vielste seit Gründung der Jahrbücher, und man kann Ihre
Person wieder von Ihrer Partei unterscheiden. Der Name Arnold Ruge weckt
Erinnerungen, welche selbst Ihre neuesten Fahrten nicht ganz zu verdrängen im
Stande sind.

Ihr neues Manifest sticht sehr gegen dasjenige ab,^ in welchem Sie „die
Vernunft der Ereignisse redigirten," um sich der Nation als Kandidaten zum
Frankfurter Parlament vorzustellen. Es war brillant geschrieben, wenn man die
Ausfälle Ihres naturwüchsigen Gemüths auf Bildung und Gelehrsamkeit abrechnet.
Ich glaubte von Ihnen, Sie würden einst mit König Franz ausrufen können:
„l'aut Ne-ulu, 8!l»l Jo 8^1«!" Aber der Umgang mit den faden Gesellen in
Berlin hat Ihnen geschadet. „In dem Augenblick," schreiben Sie an Ihre Bres-
lauer Wähler, „wo ich diesen Brief an Euch richte, donnern die Kanonen in Wien,
in diesem Augenblicke ist ganz Berlin in —" Feuer und Flammen sollte man
denken, aber «ein! in - „Spannung!" Was ist das für eine Gradation! Sie,
der Sie seit Ihrer Pariser Reise für den eleganten Ausdruck wenigstens eben so
schwärmten, als für Humanität und Republik!

Sie sind also in der Politik wieder auf den alten Standpunkt zurückgekehrt,
sie lassen die „Nationalitätsschnurre" fallen, der Sie ein gutes Semester hindurch
Ihre Kräfte gewidmet. Sie übersehen dabei nnr Eines. In der Theorie kann
es wohl begegnen, daß man in der Hitze einmal von seinem Prinzip abfällt, daß
man sich dann wieder besinnt und erklärt, ich habe mich übereilt! Es ist dabei
nichts verloren. Die Theorie, die nvstracte Wahrheit ist ewig Eins und unwan¬
delbar; die Jncorrectheit ihrer Bekenner thut ihr keinen Abbruch. In der Praxis
geht das nicht. Die Wirklichkeit ist ein Netz unauflöslicher Beziehungen, haben
Sie Sich einmal darin verstrickt, so hilft ein vieler peccavi nichts weiter und keine


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[0159] Offene Briefe. v. An Ärnsld Auge in Berlin. Vortrefflicher Rüge! Die Gesellschaft, in der Sie Sich in der letzten Zeit bewegt haben, macht es Ihren ehemaligen Freunden nicht leicht, mit Ihnen in directen Verkehr zu tre¬ ten, selbst in einem polemischen Briefe. Wenn ein anständiger Manu das Unglück hat, mit dem Conditor Karbe, dem Commis Ottensosser, den Rchbergern und ihren Spießgesellen in Streit zu gerathen, so wird er eS so viel als möglich ver¬ tuschen, denn es schadet seiner Reputation. Jetzt sind Sie aber wieder einmal allein auf den Kampfplatz getreten, Sie haben ein neues Manifest erlassen, das hundert und so und so vielste seit Gründung der Jahrbücher, und man kann Ihre Person wieder von Ihrer Partei unterscheiden. Der Name Arnold Ruge weckt Erinnerungen, welche selbst Ihre neuesten Fahrten nicht ganz zu verdrängen im Stande sind. Ihr neues Manifest sticht sehr gegen dasjenige ab,^ in welchem Sie „die Vernunft der Ereignisse redigirten," um sich der Nation als Kandidaten zum Frankfurter Parlament vorzustellen. Es war brillant geschrieben, wenn man die Ausfälle Ihres naturwüchsigen Gemüths auf Bildung und Gelehrsamkeit abrechnet. Ich glaubte von Ihnen, Sie würden einst mit König Franz ausrufen können: „l'aut Ne-ulu, 8!l»l Jo 8^1«!" Aber der Umgang mit den faden Gesellen in Berlin hat Ihnen geschadet. „In dem Augenblick," schreiben Sie an Ihre Bres- lauer Wähler, „wo ich diesen Brief an Euch richte, donnern die Kanonen in Wien, in diesem Augenblicke ist ganz Berlin in —" Feuer und Flammen sollte man denken, aber «ein! in - „Spannung!" Was ist das für eine Gradation! Sie, der Sie seit Ihrer Pariser Reise für den eleganten Ausdruck wenigstens eben so schwärmten, als für Humanität und Republik! Sie sind also in der Politik wieder auf den alten Standpunkt zurückgekehrt, sie lassen die „Nationalitätsschnurre" fallen, der Sie ein gutes Semester hindurch Ihre Kräfte gewidmet. Sie übersehen dabei nnr Eines. In der Theorie kann es wohl begegnen, daß man in der Hitze einmal von seinem Prinzip abfällt, daß man sich dann wieder besinnt und erklärt, ich habe mich übereilt! Es ist dabei nichts verloren. Die Theorie, die nvstracte Wahrheit ist ewig Eins und unwan¬ delbar; die Jncorrectheit ihrer Bekenner thut ihr keinen Abbruch. In der Praxis geht das nicht. Die Wirklichkeit ist ein Netz unauflöslicher Beziehungen, haben Sie Sich einmal darin verstrickt, so hilft ein vieler peccavi nichts weiter und keine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276755/159>, abgerufen am 24.12.2024.