Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.Die polnische Frage Bei der Unklarheit, welche über das Verhältniß der östreichischen und preu- Hitzige Politiker sind stets für eine Nadicalkur, weil diese am einfachsten aus¬ Die Krankheit lag in diesem Falle eben so in den wirklichen Verhältnissen, Was wollen die Polen? -- Die Wiederherstellung des alten polnischen Reichs Die polnische Frage Bei der Unklarheit, welche über das Verhältniß der östreichischen und preu- Hitzige Politiker sind stets für eine Nadicalkur, weil diese am einfachsten aus¬ Die Krankheit lag in diesem Falle eben so in den wirklichen Verhältnissen, Was wollen die Polen? — Die Wiederherstellung des alten polnischen Reichs <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0158" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/276364"/> </div> <div n="1"> <head> Die polnische Frage</head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p xml:id="ID_526"> Bei der Unklarheit, welche über das Verhältniß der östreichischen und preu-<lb/> ßischen Provinzen des ehemals polnischen Reichs von vornherein herrschte, ließ es<lb/> sich erwarten, daß die Verwickelungen durch einen einfachen Entschluß nicht zu<lb/> lösen seien, daß vielmehr jeder Versuch, den sich kreuzenden Tendenzen eine be¬<lb/> stimmte Richtung zu geben, so wohlgemeint er auch sein mochte, für den Augen¬<lb/> blick wenigstens die Verwirrung nur noch steigern mußte. Diese Einsicht konnte<lb/> aber die Regierungen keineswegs bestimmen, unthätig dem Laufe der Dinge zu¬<lb/> zusehen. Nur möchte ich die wahre Thätigkeit einer Behörde in einer solchen<lb/> Krisis mit der Wirksamkeit eines einsichtsvollen Arztes vergleichen. Nach dem<lb/> alten Styl bemühte sich die Medicin, die Natur zu bekämpfen, der Krankheit<lb/> entgegenzuwirken; die weitere Ausbildung dieser Wissenschaft hat zu der Ueber¬<lb/> zeugung geführt, daß mau vielmehr der Natur zu Hilfe kommen müsse, daß die<lb/> einzige Aufgabe des Arztes die sei, dem natürlichen Verlauf freien Spielraum zu<lb/> lassen und alle störenden Einflüsse zu beseitigen, die Natur gleichsam zu zwingen,<lb/> ihre Kraft mit Ordnung geltend zu machen.</p><lb/> <p xml:id="ID_527"> Hitzige Politiker sind stets für eine Nadicalkur, weil diese am einfachsten aus¬<lb/> sieht; aber diese Einfachheit ist nnr scheinbar; die Geschicklichkeit des Chirurgen<lb/> kann sich wohl bei einer Amputation bethätigen, aber der gesunde Menschenverstand<lb/> wird zögern, ein Glied zu opfern, so lange man es retten kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_528"> Die Krankheit lag in diesem Falle eben so in den wirklichen Verhältnissen,<lb/> als in der Aufregung der Gemüther. Die erste Pflicht der Regierung war es,<lb/> durch Aufklärung der ersteren die letztere zu beschwichtigen oder wenigstens zu<lb/> regeln. Betrachten wir, was sie bis dahin in diesem Sinne gethan hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_529" next="#ID_530"> Was wollen die Polen? — Die Wiederherstellung des alten polnischen Reichs<lb/> in den Grenzen von 1772, so haben sich nicht nur polnische Fanatiker geäußert,<lb/> sondern auch deutsche Legitimitätsschwärmer, in dem Wahne, geschehene Dinge<lb/> könnten ungeschehen gemacht, dnrch ein neues Unrecht könnte ein altes gesühnt<lb/> werden. Diese Anmaßungen klangen gefährlicher, als sie es eigentlich waren; bei<lb/> der unbeschränkten Herrschaft des deutschen Sinnes in Westpreußen konnte man<lb/> dem Versuche, diese Provinzen für die polnische Sache zu revolutioniren, ruhig</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0158]
Die polnische Frage
Bei der Unklarheit, welche über das Verhältniß der östreichischen und preu-
ßischen Provinzen des ehemals polnischen Reichs von vornherein herrschte, ließ es
sich erwarten, daß die Verwickelungen durch einen einfachen Entschluß nicht zu
lösen seien, daß vielmehr jeder Versuch, den sich kreuzenden Tendenzen eine be¬
stimmte Richtung zu geben, so wohlgemeint er auch sein mochte, für den Augen¬
blick wenigstens die Verwirrung nur noch steigern mußte. Diese Einsicht konnte
aber die Regierungen keineswegs bestimmen, unthätig dem Laufe der Dinge zu¬
zusehen. Nur möchte ich die wahre Thätigkeit einer Behörde in einer solchen
Krisis mit der Wirksamkeit eines einsichtsvollen Arztes vergleichen. Nach dem
alten Styl bemühte sich die Medicin, die Natur zu bekämpfen, der Krankheit
entgegenzuwirken; die weitere Ausbildung dieser Wissenschaft hat zu der Ueber¬
zeugung geführt, daß mau vielmehr der Natur zu Hilfe kommen müsse, daß die
einzige Aufgabe des Arztes die sei, dem natürlichen Verlauf freien Spielraum zu
lassen und alle störenden Einflüsse zu beseitigen, die Natur gleichsam zu zwingen,
ihre Kraft mit Ordnung geltend zu machen.
Hitzige Politiker sind stets für eine Nadicalkur, weil diese am einfachsten aus¬
sieht; aber diese Einfachheit ist nnr scheinbar; die Geschicklichkeit des Chirurgen
kann sich wohl bei einer Amputation bethätigen, aber der gesunde Menschenverstand
wird zögern, ein Glied zu opfern, so lange man es retten kann.
Die Krankheit lag in diesem Falle eben so in den wirklichen Verhältnissen,
als in der Aufregung der Gemüther. Die erste Pflicht der Regierung war es,
durch Aufklärung der ersteren die letztere zu beschwichtigen oder wenigstens zu
regeln. Betrachten wir, was sie bis dahin in diesem Sinne gethan hat.
Was wollen die Polen? — Die Wiederherstellung des alten polnischen Reichs
in den Grenzen von 1772, so haben sich nicht nur polnische Fanatiker geäußert,
sondern auch deutsche Legitimitätsschwärmer, in dem Wahne, geschehene Dinge
könnten ungeschehen gemacht, dnrch ein neues Unrecht könnte ein altes gesühnt
werden. Diese Anmaßungen klangen gefährlicher, als sie es eigentlich waren; bei
der unbeschränkten Herrschaft des deutschen Sinnes in Westpreußen konnte man
dem Versuche, diese Provinzen für die polnische Sache zu revolutioniren, ruhig
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