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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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i.
Aus Paris.

Ein Volkslied. -- Fürstliche Reisen. -- Zur Würdigung "es WvlkScnthustaSmuS. -- Die R-sormbankettt.
-- Dynastisch und antidynastisch.

Vive lo roi! vivo lo roi! ist seit ein paar Wochen der Schlnßrefrain des be¬
liebtesten Volksliedes der Pariser. An allen Ecken und ans allen Straßen kann man
diesen Ruf hören, und unsere Magd singt ihn nun auch eben in der Küche: Vivo le
roi! vivo !"z roi! -- vivo lo r<" -- " vos! -- Was sagen Sie dazu? Wir sind
wieder royalistisch geworden -- nicht doch; ein zweiter Vers vollendet den Gedanken.

Vivs Is rc>i -- --
-- Q"i rio vont p!"s ils moi!

Der Sänger ist nämlich ein kleiner, krüppeliger Knirps, eine Art Mayeux, den die
Conscription nicht brauchen kaun, und der dann in seiner Freude ausruft: "Es lebe
der König, der mich nicht haben will."

Die Zeitungen erzählen uns, daß der König auf seinem kleinen Hcrbstansfluge
überall mit dem Rufe: Vive lo rai! empfangen worden sei. Wer weiß, die offiziel¬
len Zeitungsschreiber haben sich vielleicht auch durch das

Vivo I" roi -- vivo lo roi!
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Sand in die Augen streuen lassen. Jede Königsrcise ist doch am Ende eine Art Pa¬
rade, wie die der großen Katharina in der Crimm. Und wie sollte es anders sein?

Aber während uns die offiziellen Nciseberichterstattcr sagen, daß König Louis
Philipp überall mit Jubel und Enthusiasmus empfangen worden, finden in allen grö¬
ßern Städten Frankreichs Bankette statt, auf denen der Königstoast ausgeschlossen ist.
Wir wollen deswegen nicht gerade behaupten, daß königliche Reisebeschreiber lügen kön¬
nen. Es gibt in allen Ländern der Welt im Volke eine todte Masse, die jedem An¬
stoße folgt. Wird diese Masse durch den Ruf: vivo >v roi! berührt, so schreit sie
mit: Es lebe der König! Heißt der Ruf zufällig anders: Es lebe die Republik! Es
lebe der erste Konsul! Es lebe der Kaiser! so stimmt sie auch freudig und jubelnd in
diese mit ein. Und wer dann ein Interesse daran hat, kann sich täuschen und glau¬
ben und Andere glauben machen, daß die Sache vom Herzen komme und zum Herzen
gehe, während sie wie daS Echo ein gedankenloser Nachhall ist. Es ist das ein gro¬
ßes Unglück, denn es ist eben sehr gefährlich, solch' ein gedankenloses Echo für den


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i.
Aus Paris.

Ein Volkslied. — Fürstliche Reisen. — Zur Würdigung »es WvlkScnthustaSmuS. — Die R-sormbankettt.
— Dynastisch und antidynastisch.

Vive lo roi! vivo lo roi! ist seit ein paar Wochen der Schlnßrefrain des be¬
liebtesten Volksliedes der Pariser. An allen Ecken und ans allen Straßen kann man
diesen Ruf hören, und unsere Magd singt ihn nun auch eben in der Küche: Vivo le
roi! vivo !«z roi! — vivo lo r<» — » vos! — Was sagen Sie dazu? Wir sind
wieder royalistisch geworden — nicht doch; ein zweiter Vers vollendet den Gedanken.

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Der Sänger ist nämlich ein kleiner, krüppeliger Knirps, eine Art Mayeux, den die
Conscription nicht brauchen kaun, und der dann in seiner Freude ausruft: „Es lebe
der König, der mich nicht haben will."

Die Zeitungen erzählen uns, daß der König auf seinem kleinen Hcrbstansfluge
überall mit dem Rufe: Vive lo rai! empfangen worden sei. Wer weiß, die offiziel¬
len Zeitungsschreiber haben sich vielleicht auch durch das

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Sand in die Augen streuen lassen. Jede Königsrcise ist doch am Ende eine Art Pa¬
rade, wie die der großen Katharina in der Crimm. Und wie sollte es anders sein?

Aber während uns die offiziellen Nciseberichterstattcr sagen, daß König Louis
Philipp überall mit Jubel und Enthusiasmus empfangen worden, finden in allen grö¬
ßern Städten Frankreichs Bankette statt, auf denen der Königstoast ausgeschlossen ist.
Wir wollen deswegen nicht gerade behaupten, daß königliche Reisebeschreiber lügen kön¬
nen. Es gibt in allen Ländern der Welt im Volke eine todte Masse, die jedem An¬
stoße folgt. Wird diese Masse durch den Ruf: vivo >v roi! berührt, so schreit sie
mit: Es lebe der König! Heißt der Ruf zufällig anders: Es lebe die Republik! Es
lebe der erste Konsul! Es lebe der Kaiser! so stimmt sie auch freudig und jubelnd in
diese mit ein. Und wer dann ein Interesse daran hat, kann sich täuschen und glau¬
ben und Andere glauben machen, daß die Sache vom Herzen komme und zum Herzen
gehe, während sie wie daS Echo ein gedankenloser Nachhall ist. Es ist das ein gro¬
ßes Unglück, denn es ist eben sehr gefährlich, solch' ein gedankenloses Echo für den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/86>, abgerufen am 22.07.2024.