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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Ein Blick auf Kurhessen.



Niemals war dem äußeren Anschein nach das Bestreben nach einer ruhigen,
naturgemäßen Entwickelung der Dinge allgemeiner in dem civilisirten Europa, als
in unseren Tagen, und doch vergeht fast kein Tag, an welchem nicht hier oder
dort eine plötzliche Flamme die Muth verräth, die unter der trügerischen Asche
schlummert. Kaum hat die demokratische Partei in der Schweiz ihre Absichten we¬
nigstens vorläufig zu einem glücklichen Ende geführt -- vorläufig, deun noch kauu
Niemand übersehen, ob nicht jener Bürgerkrieg im Schooß eines kleinen, abgele¬
genen Volkes verwirrend in die höhere Politik Europas einzugreifen bestimmt ist,
-- und schon droht ein Ungewitter sich in Deutschland selbst zusammenzuziehen,
und zwar in einer Gegend, wo man es am wenigsten vermuthet hätte, wohin die
Aufmerksamkeit der Staatskünstler am wenigsten gerichtet war.

Der alte Kurfürst von Hessen, der seit 16 Jahren an der Regierung seines
Landes keinen Antheil gehabt, starb, und sein Sohn, welcher der Sache nach
schon diese ganze Zeit hindurch das Staatsruder in Händen hatte, folgt ihm nun
auch dem Namen und der Würde nach. Das Neichögrundgesetz bestimmt, daß der
jedesmalige Thronfolger vor Abnahme der Huldigung in die Hände des Landtags
den Eid ablegen soll, die Verfassung des Landes aufrecht zu erhalten; daß ihm
nach Vollziehung dieses Acts zuerst vom Landtag gehuldigt werden soll. Schon
über eine Woche seit dem Tode des Kurfürsten ist verflossen, der Landtag ist ver¬
sammelt, und noch ist nichts geschehen. Der neue Kurfürst, der allerdings schon
vor 1 l> Jahren bei Uebernahme der Mitregcntschaft in dein Landtag einen Revers
niedergelegt hat, kraft welches er in dieser seiner Eigenschaft die Verfas¬
sung ansteche zu erhalten versprach, zeigt nur im Allgemeinen den Thronwechsel
an, und erklärt, über die Huldigung das Weitere sich vorzubehalten. Der Land¬
tag sendet eine Deputation an ihn ab, um Auskunft zu erbitten; sie wird nicht
vorgelassen; dagegen wird das Militär auf einen bestimmten Tag einberufen, wie
man sich allgemein sagt, um den Eid der Treue zu leisten. Der Kurfürst ge¬
braucht in seinen Erlassen den Ausdruck "Souverän," er ernennt die Beamten, die


Ein Blick auf Kurhessen.



Niemals war dem äußeren Anschein nach das Bestreben nach einer ruhigen,
naturgemäßen Entwickelung der Dinge allgemeiner in dem civilisirten Europa, als
in unseren Tagen, und doch vergeht fast kein Tag, an welchem nicht hier oder
dort eine plötzliche Flamme die Muth verräth, die unter der trügerischen Asche
schlummert. Kaum hat die demokratische Partei in der Schweiz ihre Absichten we¬
nigstens vorläufig zu einem glücklichen Ende geführt — vorläufig, deun noch kauu
Niemand übersehen, ob nicht jener Bürgerkrieg im Schooß eines kleinen, abgele¬
genen Volkes verwirrend in die höhere Politik Europas einzugreifen bestimmt ist,
— und schon droht ein Ungewitter sich in Deutschland selbst zusammenzuziehen,
und zwar in einer Gegend, wo man es am wenigsten vermuthet hätte, wohin die
Aufmerksamkeit der Staatskünstler am wenigsten gerichtet war.

Der alte Kurfürst von Hessen, der seit 16 Jahren an der Regierung seines
Landes keinen Antheil gehabt, starb, und sein Sohn, welcher der Sache nach
schon diese ganze Zeit hindurch das Staatsruder in Händen hatte, folgt ihm nun
auch dem Namen und der Würde nach. Das Neichögrundgesetz bestimmt, daß der
jedesmalige Thronfolger vor Abnahme der Huldigung in die Hände des Landtags
den Eid ablegen soll, die Verfassung des Landes aufrecht zu erhalten; daß ihm
nach Vollziehung dieses Acts zuerst vom Landtag gehuldigt werden soll. Schon
über eine Woche seit dem Tode des Kurfürsten ist verflossen, der Landtag ist ver¬
sammelt, und noch ist nichts geschehen. Der neue Kurfürst, der allerdings schon
vor 1 l> Jahren bei Uebernahme der Mitregcntschaft in dein Landtag einen Revers
niedergelegt hat, kraft welches er in dieser seiner Eigenschaft die Verfas¬
sung ansteche zu erhalten versprach, zeigt nur im Allgemeinen den Thronwechsel
an, und erklärt, über die Huldigung das Weitere sich vorzubehalten. Der Land¬
tag sendet eine Deputation an ihn ab, um Auskunft zu erbitten; sie wird nicht
vorgelassen; dagegen wird das Militär auf einen bestimmten Tag einberufen, wie
man sich allgemein sagt, um den Eid der Treue zu leisten. Der Kurfürst ge¬
braucht in seinen Erlassen den Ausdruck „Souverän," er ernennt die Beamten, die


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[0439] Ein Blick auf Kurhessen. Niemals war dem äußeren Anschein nach das Bestreben nach einer ruhigen, naturgemäßen Entwickelung der Dinge allgemeiner in dem civilisirten Europa, als in unseren Tagen, und doch vergeht fast kein Tag, an welchem nicht hier oder dort eine plötzliche Flamme die Muth verräth, die unter der trügerischen Asche schlummert. Kaum hat die demokratische Partei in der Schweiz ihre Absichten we¬ nigstens vorläufig zu einem glücklichen Ende geführt — vorläufig, deun noch kauu Niemand übersehen, ob nicht jener Bürgerkrieg im Schooß eines kleinen, abgele¬ genen Volkes verwirrend in die höhere Politik Europas einzugreifen bestimmt ist, — und schon droht ein Ungewitter sich in Deutschland selbst zusammenzuziehen, und zwar in einer Gegend, wo man es am wenigsten vermuthet hätte, wohin die Aufmerksamkeit der Staatskünstler am wenigsten gerichtet war. Der alte Kurfürst von Hessen, der seit 16 Jahren an der Regierung seines Landes keinen Antheil gehabt, starb, und sein Sohn, welcher der Sache nach schon diese ganze Zeit hindurch das Staatsruder in Händen hatte, folgt ihm nun auch dem Namen und der Würde nach. Das Neichögrundgesetz bestimmt, daß der jedesmalige Thronfolger vor Abnahme der Huldigung in die Hände des Landtags den Eid ablegen soll, die Verfassung des Landes aufrecht zu erhalten; daß ihm nach Vollziehung dieses Acts zuerst vom Landtag gehuldigt werden soll. Schon über eine Woche seit dem Tode des Kurfürsten ist verflossen, der Landtag ist ver¬ sammelt, und noch ist nichts geschehen. Der neue Kurfürst, der allerdings schon vor 1 l> Jahren bei Uebernahme der Mitregcntschaft in dein Landtag einen Revers niedergelegt hat, kraft welches er in dieser seiner Eigenschaft die Verfas¬ sung ansteche zu erhalten versprach, zeigt nur im Allgemeinen den Thronwechsel an, und erklärt, über die Huldigung das Weitere sich vorzubehalten. Der Land¬ tag sendet eine Deputation an ihn ab, um Auskunft zu erbitten; sie wird nicht vorgelassen; dagegen wird das Militär auf einen bestimmten Tag einberufen, wie man sich allgemein sagt, um den Eid der Treue zu leisten. Der Kurfürst ge¬ braucht in seinen Erlassen den Ausdruck „Souverän," er ernennt die Beamten, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/439>, abgerufen am 22.07.2024.