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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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scheute Licht einer Sterbclampe. Mein Gemüth war unendlich tiefbewegt, und
all' mein Denken ans das Bild des leidenden Heilandes gerichtet. Wir erhoben
uns, um unsern Kreuzgang wieder fortzusetzen. Keiner sprach eine Sylbe, aber
alle Augen waren naß/' Und dieser Ton herrscht in der ganzen Reise durch Pa¬
lästina vor, was für Einen, der die Erlösung der Menschheit mehr vom rationel¬
len Standpunkt aus betrachtet, doch etwas Ermüdendes hat. Nicht allein die
Denkmäler der christlichen Geschichte, sondern überhaupt Alles, was ruinenhaft
aussieht, wird mit gläubiger Andacht genossen und zu einer Elegie abgerundet.
So ist denn zuletzt der Verfasser selbst müde, und die goldene Stadt der sieben
Hügel wird mit ein paar Seiten beiläufigen Enthusiasmus abgespeist, da der Rei¬
sende "mit heißer Sehnsucht den lieben Seinigen entgegeneile."


5. Fanny Leivald*).

Es ist noch nicht lauge her, daß wir über die italienischen Reisebilder von
A. Stahr berichteten. Wer Italien einmal gesehen, behauptete Goethe's Vater,
kaun nie ganz unglücklich werden. So ist eS denn namentlich poetischen Naturen
nicht zu verdenken, wenn sie die Liebe, freundliche Erinnerung an die alte Hei¬
math des schönen zu fixiren, zu einem lebensvollen Gemälde umzudichten versu¬
chen, und so oft wir schon über die Orangenhaine und Säulenhallen des gold-
nen HesperienS Schönes und Treffliches vernommen haben, so wird man doch
immer gern wieder auf diese anmuthigen Erscheinungen zurückgeführt, nament¬
lich wenn sie sich in der heitern Phantasie einer geiht- und gemüthvollen Dichte¬
rin spiegeln.

Bei ihrer Abreise aus Königsberg sagte Crelinger zur Verfasserin: "erzählen
Sie uns möglichst wenig von Kirchen und Bildern und möglichst viel von Land
und Menschen. Sagen Sie uns, woran das Volk sich erfreut, worunter es leidet,
erzählen Sie uns vou seinem täglichen Leben und Treibe", von seinem Essen und
Trinken, seinen Spielen, Festen und Arbeiten, so weit Sie als Frau dies Alles
überblicken können, und denken Sie nicht, das sei zu gering; Alles, was die Jetzt¬
zeit, das jetztlebende Volk berührt, findet in uns den lebhaftesten Antheil." Und
diese Mahnung ihres Freundes bemüht sich die Verfasserin möglichst im Auge zu
halten.

Die Reise geht über Mailand, Genua, Florenz nach Rom, von da nach Nea¬
pel, Palermo; zurück über Bologna und Venedig.

Wenn es von einem weiblichen Wesen zu erwarten ist, daß das Gefühlsleben
oft genug seine Rechte gegen die objective Anschauung behaupten wird, wenn hänfig
genug die poetische Empstndnng die eigentlich plastische Darstellung zurückdrängt,



"Italienisches Bilderbuch." s M^e. Berlin, 1847. A. Duncker.
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scheute Licht einer Sterbclampe. Mein Gemüth war unendlich tiefbewegt, und
all' mein Denken ans das Bild des leidenden Heilandes gerichtet. Wir erhoben
uns, um unsern Kreuzgang wieder fortzusetzen. Keiner sprach eine Sylbe, aber
alle Augen waren naß/' Und dieser Ton herrscht in der ganzen Reise durch Pa¬
lästina vor, was für Einen, der die Erlösung der Menschheit mehr vom rationel¬
len Standpunkt aus betrachtet, doch etwas Ermüdendes hat. Nicht allein die
Denkmäler der christlichen Geschichte, sondern überhaupt Alles, was ruinenhaft
aussieht, wird mit gläubiger Andacht genossen und zu einer Elegie abgerundet.
So ist denn zuletzt der Verfasser selbst müde, und die goldene Stadt der sieben
Hügel wird mit ein paar Seiten beiläufigen Enthusiasmus abgespeist, da der Rei¬
sende „mit heißer Sehnsucht den lieben Seinigen entgegeneile."


5. Fanny Leivald*).

Es ist noch nicht lauge her, daß wir über die italienischen Reisebilder von
A. Stahr berichteten. Wer Italien einmal gesehen, behauptete Goethe's Vater,
kaun nie ganz unglücklich werden. So ist eS denn namentlich poetischen Naturen
nicht zu verdenken, wenn sie die Liebe, freundliche Erinnerung an die alte Hei¬
math des schönen zu fixiren, zu einem lebensvollen Gemälde umzudichten versu¬
chen, und so oft wir schon über die Orangenhaine und Säulenhallen des gold-
nen HesperienS Schönes und Treffliches vernommen haben, so wird man doch
immer gern wieder auf diese anmuthigen Erscheinungen zurückgeführt, nament¬
lich wenn sie sich in der heitern Phantasie einer geiht- und gemüthvollen Dichte¬
rin spiegeln.

Bei ihrer Abreise aus Königsberg sagte Crelinger zur Verfasserin: „erzählen
Sie uns möglichst wenig von Kirchen und Bildern und möglichst viel von Land
und Menschen. Sagen Sie uns, woran das Volk sich erfreut, worunter es leidet,
erzählen Sie uns vou seinem täglichen Leben und Treibe», von seinem Essen und
Trinken, seinen Spielen, Festen und Arbeiten, so weit Sie als Frau dies Alles
überblicken können, und denken Sie nicht, das sei zu gering; Alles, was die Jetzt¬
zeit, das jetztlebende Volk berührt, findet in uns den lebhaftesten Antheil." Und
diese Mahnung ihres Freundes bemüht sich die Verfasserin möglichst im Auge zu
halten.

Die Reise geht über Mailand, Genua, Florenz nach Rom, von da nach Nea¬
pel, Palermo; zurück über Bologna und Venedig.

Wenn es von einem weiblichen Wesen zu erwarten ist, daß das Gefühlsleben
oft genug seine Rechte gegen die objective Anschauung behaupten wird, wenn hänfig
genug die poetische Empstndnng die eigentlich plastische Darstellung zurückdrängt,



„Italienisches Bilderbuch." s M^e. Berlin, 1847. A. Duncker.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/131>, abgerufen am 04.12.2024.