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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Deutsche Reisende in der Fremde.



Die Zeit ist vorüber, wo die DentsclM das Ausland nur aus den Schil¬
derungen Frcuider kennen lernte", mit Ausnahme von Paris, dieses Brenn¬
punktes, der ganz Europa in seinen Kreis zog, wo die Deutschen, wenn
sie ihre Existenz zu erwähnen genöthigt wäre", "in Entschuldigung baten;
wo der junge deutsche Baron es für eine Ehre ansah, in Paris von dem
Pöbel mystistcirt und verhöhnt zu werden. Zuerst reagirte das nationale
Bewußtsein in der Literatur, die Herrschaft des französischen Geschmackes wurde
abgeschüttelt, und als Heiligthum der nationalen Empfindung gepflegt, was dem¬
selben widersprach. Die Jahre klein und tetl4 bildeten die politische Reaction
gegen das moderne Rom und dessen Eäsar, und seit der Zeit hat dann ein jedes
Volk ans seine eigenthümliche Weise versucht, sich eine specielle Existenz, ein spe¬
cielles Recht zu erkämpfen. Eben so wie man jetzt nicht mehr die fremde Lite¬
ratur durch daS Medium des absoluten französische" Geschmackes sich aucigiut,
wie man vielmehr mit einer gewissen Virtuosität in die geheimsten Schlupfwinkel
der Nationalitäten, selbst der Dialecte herabznsteige" versteht, so strebt mau auch
in der unmittelbare" Kenntnißnahme des Fremden nicht mehr "ach den traditio-
>ellen Eindrücken der alten Salonpoesie, man sucht die waldursprüngliche Ra-
t'rwüchsigkeit des Volkes, und schätzt es um so mehr, je weniger es sich in die
Uiiform des Pariser Modejo"r"als hat kleiden lassen.

Es ist ein doppeltes Interesse, das gegenwärtig den Reisenden leitet. Ent-
wedc- sucht er poetische Nahrung, Waldeinsamkeit nud Ruinen, alte Tempel und
Göttcbilder, oder er will lauschen ans die leisen Pulsschläge, in denen sich das
frisch melkende Blut des freie" Geistes vernehmlich macht. Beides 'ist keineswe¬
gs ""'edingt von einander getrennt, nud die meisten Reisenden ziehen mit einem
Iannsl^fe in die Fremde, der ans der einen Seite nach den Zinnen des neuen
"'^ ^' andern nach den Marmvrsärgen der Vergangenheit blickt.

Wlrwollcn eine Reihe gebildeter Landsleute ans ihren Pilgerfahrten begleiten.

1. Ä. v. A och an

In de> Werke, welches uns von diesem Schriftsteller vorliegt, sind die



*) "Reischen in Südfrankreich und Spanien " 2 Bände. Stuttgart und Tübingen,
1847. Cotta. ^
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Deutsche Reisende in der Fremde.



Die Zeit ist vorüber, wo die DentsclM das Ausland nur aus den Schil¬
derungen Frcuider kennen lernte», mit Ausnahme von Paris, dieses Brenn¬
punktes, der ganz Europa in seinen Kreis zog, wo die Deutschen, wenn
sie ihre Existenz zu erwähnen genöthigt wäre», »in Entschuldigung baten;
wo der junge deutsche Baron es für eine Ehre ansah, in Paris von dem
Pöbel mystistcirt und verhöhnt zu werden. Zuerst reagirte das nationale
Bewußtsein in der Literatur, die Herrschaft des französischen Geschmackes wurde
abgeschüttelt, und als Heiligthum der nationalen Empfindung gepflegt, was dem¬
selben widersprach. Die Jahre klein und tetl4 bildeten die politische Reaction
gegen das moderne Rom und dessen Eäsar, und seit der Zeit hat dann ein jedes
Volk ans seine eigenthümliche Weise versucht, sich eine specielle Existenz, ein spe¬
cielles Recht zu erkämpfen. Eben so wie man jetzt nicht mehr die fremde Lite¬
ratur durch daS Medium des absoluten französische» Geschmackes sich aucigiut,
wie man vielmehr mit einer gewissen Virtuosität in die geheimsten Schlupfwinkel
der Nationalitäten, selbst der Dialecte herabznsteige» versteht, so strebt mau auch
in der unmittelbare» Kenntnißnahme des Fremden nicht mehr »ach den traditio-
>ellen Eindrücken der alten Salonpoesie, man sucht die waldursprüngliche Ra-
t'rwüchsigkeit des Volkes, und schätzt es um so mehr, je weniger es sich in die
Uiiform des Pariser Modejo»r»als hat kleiden lassen.

Es ist ein doppeltes Interesse, das gegenwärtig den Reisenden leitet. Ent-
wedc- sucht er poetische Nahrung, Waldeinsamkeit nud Ruinen, alte Tempel und
Göttcbilder, oder er will lauschen ans die leisen Pulsschläge, in denen sich das
frisch melkende Blut des freie» Geistes vernehmlich macht. Beides 'ist keineswe¬
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Iannsl^fe in die Fremde, der ans der einen Seite nach den Zinnen des neuen
"'^ ^' andern nach den Marmvrsärgen der Vergangenheit blickt.

Wlrwollcn eine Reihe gebildeter Landsleute ans ihren Pilgerfahrten begleiten.

1. Ä. v. A och an

In de> Werke, welches uns von diesem Schriftsteller vorliegt, sind die



*) „Reischen in Südfrankreich und Spanien " 2 Bände. Stuttgart und Tübingen,
1847. Cotta. ^
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[0123] Deutsche Reisende in der Fremde. Die Zeit ist vorüber, wo die DentsclM das Ausland nur aus den Schil¬ derungen Frcuider kennen lernte», mit Ausnahme von Paris, dieses Brenn¬ punktes, der ganz Europa in seinen Kreis zog, wo die Deutschen, wenn sie ihre Existenz zu erwähnen genöthigt wäre», »in Entschuldigung baten; wo der junge deutsche Baron es für eine Ehre ansah, in Paris von dem Pöbel mystistcirt und verhöhnt zu werden. Zuerst reagirte das nationale Bewußtsein in der Literatur, die Herrschaft des französischen Geschmackes wurde abgeschüttelt, und als Heiligthum der nationalen Empfindung gepflegt, was dem¬ selben widersprach. Die Jahre klein und tetl4 bildeten die politische Reaction gegen das moderne Rom und dessen Eäsar, und seit der Zeit hat dann ein jedes Volk ans seine eigenthümliche Weise versucht, sich eine specielle Existenz, ein spe¬ cielles Recht zu erkämpfen. Eben so wie man jetzt nicht mehr die fremde Lite¬ ratur durch daS Medium des absoluten französische» Geschmackes sich aucigiut, wie man vielmehr mit einer gewissen Virtuosität in die geheimsten Schlupfwinkel der Nationalitäten, selbst der Dialecte herabznsteige» versteht, so strebt mau auch in der unmittelbare» Kenntnißnahme des Fremden nicht mehr »ach den traditio- >ellen Eindrücken der alten Salonpoesie, man sucht die waldursprüngliche Ra- t'rwüchsigkeit des Volkes, und schätzt es um so mehr, je weniger es sich in die Uiiform des Pariser Modejo»r»als hat kleiden lassen. Es ist ein doppeltes Interesse, das gegenwärtig den Reisenden leitet. Ent- wedc- sucht er poetische Nahrung, Waldeinsamkeit nud Ruinen, alte Tempel und Göttcbilder, oder er will lauschen ans die leisen Pulsschläge, in denen sich das frisch melkende Blut des freie» Geistes vernehmlich macht. Beides 'ist keineswe¬ gs ""'edingt von einander getrennt, nud die meisten Reisenden ziehen mit einem Iannsl^fe in die Fremde, der ans der einen Seite nach den Zinnen des neuen "'^ ^' andern nach den Marmvrsärgen der Vergangenheit blickt. Wlrwollcn eine Reihe gebildeter Landsleute ans ihren Pilgerfahrten begleiten. 1. Ä. v. A och an In de> Werke, welches uns von diesem Schriftsteller vorliegt, sind die *) „Reischen in Südfrankreich und Spanien " 2 Bände. Stuttgart und Tübingen, 1847. Cotta. ^ 15*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/123>, abgerufen am 22.07.2024.