Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Mus den Tagebüchern von Gentz



Zur Einleitung.

Der merkwürdige Mann, dessen in Deutschland seltne Begabung
und seltnes Geschick ihn ans einen Standpunkt geführt, der in Deutsch¬
land ein einziger heißen muß; dieser Schriftsteller-Staatsmann, wel¬
cher in beiden Eigenschaften zweischneidig ans die Welt wirkte, der
bürgerliche Pair der Vornehmen, mit ihnen Genuß und Ansehn thei¬
lend, mit einem Worte, Friedrich Gentz, über dessen Werth und
Bedeutung bei uns lange Zeit so vielfach gestritten worden, wird gleich¬
wohl noch lange nicht nach Gebühr erkannt. Noch fehlt ein großer,
vielleicht der größte Theil der Belege, aus denen der Umfang seines
Talents und seiner Thätigkeit, sowie die Eigenart seines innern We¬
sens gehörig zu ermessen wäre. Welch neues Licht für die Würdigung
seiner gäben die zehn oder zwölf Bände, zu denen eine Auswahl sei¬
ner Staatsschriften -- der Behandlung und dem Ausdruck nach lau¬
ter Meisterstücke -- sich aufgehäuft hat, wenn die Zeit ihrer Veröffent¬
lichung nicht als noch zu früh erachtet würde! Aber auch von der
menschlichen Seite her wäre noch mancher neue Einblick zu gewinnen,
ließe noch manche Liebenswürdigkeit sich darlegen, mancher bedeutsame
Zug der Leidenschaft und der Stärke wie der Schwäche des Gemü¬
thes sich verfolgen, wenn aus der unermeßlichen Anzahl seiner Briefe
grade die vertraulichen zahlreicher vorlagen!

Einen erheblichen Beitrag zur richtigen Erkenntniß des Mensch¬
lichen in Gentz könnten auch seine Tagebücher liefern, wären sie noch
vollständig aufzufinden oder zu den noch vorhandenen der Zugang
offen. Denn es gehört zu den Eigenheiten und Widersprüchen, die
sich in Gentz vereinigen, daß dieser im Schachte der Staatsarbeiten
ermüdet arbeitsame und zugleich in den Genüssen der Welt schwelge¬
rische Mann, der stets nur in der Gegenwart leben und die Bergan-
'


Grenzten. lV. 18-lo. >
Mus den Tagebüchern von Gentz



Zur Einleitung.

Der merkwürdige Mann, dessen in Deutschland seltne Begabung
und seltnes Geschick ihn ans einen Standpunkt geführt, der in Deutsch¬
land ein einziger heißen muß; dieser Schriftsteller-Staatsmann, wel¬
cher in beiden Eigenschaften zweischneidig ans die Welt wirkte, der
bürgerliche Pair der Vornehmen, mit ihnen Genuß und Ansehn thei¬
lend, mit einem Worte, Friedrich Gentz, über dessen Werth und
Bedeutung bei uns lange Zeit so vielfach gestritten worden, wird gleich¬
wohl noch lange nicht nach Gebühr erkannt. Noch fehlt ein großer,
vielleicht der größte Theil der Belege, aus denen der Umfang seines
Talents und seiner Thätigkeit, sowie die Eigenart seines innern We¬
sens gehörig zu ermessen wäre. Welch neues Licht für die Würdigung
seiner gäben die zehn oder zwölf Bände, zu denen eine Auswahl sei¬
ner Staatsschriften — der Behandlung und dem Ausdruck nach lau¬
ter Meisterstücke — sich aufgehäuft hat, wenn die Zeit ihrer Veröffent¬
lichung nicht als noch zu früh erachtet würde! Aber auch von der
menschlichen Seite her wäre noch mancher neue Einblick zu gewinnen,
ließe noch manche Liebenswürdigkeit sich darlegen, mancher bedeutsame
Zug der Leidenschaft und der Stärke wie der Schwäche des Gemü¬
thes sich verfolgen, wenn aus der unermeßlichen Anzahl seiner Briefe
grade die vertraulichen zahlreicher vorlagen!

Einen erheblichen Beitrag zur richtigen Erkenntniß des Mensch¬
lichen in Gentz könnten auch seine Tagebücher liefern, wären sie noch
vollständig aufzufinden oder zu den noch vorhandenen der Zugang
offen. Denn es gehört zu den Eigenheiten und Widersprüchen, die
sich in Gentz vereinigen, daß dieser im Schachte der Staatsarbeiten
ermüdet arbeitsame und zugleich in den Genüssen der Welt schwelge¬
rische Mann, der stets nur in der Gegenwart leben und die Bergan-
'


Grenzten. lV. 18-lo. >
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0097" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/183679"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Mus den Tagebüchern von Gentz</head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <div n="2">
            <head> Zur Einleitung.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_216"> Der merkwürdige Mann, dessen in Deutschland seltne Begabung<lb/>
und seltnes Geschick ihn ans einen Standpunkt geführt, der in Deutsch¬<lb/>
land ein einziger heißen muß; dieser Schriftsteller-Staatsmann, wel¬<lb/>
cher in beiden Eigenschaften zweischneidig ans die Welt wirkte, der<lb/>
bürgerliche Pair der Vornehmen, mit ihnen Genuß und Ansehn thei¬<lb/>
lend, mit einem Worte, Friedrich Gentz, über dessen Werth und<lb/>
Bedeutung bei uns lange Zeit so vielfach gestritten worden, wird gleich¬<lb/>
wohl noch lange nicht nach Gebühr erkannt. Noch fehlt ein großer,<lb/>
vielleicht der größte Theil der Belege, aus denen der Umfang seines<lb/>
Talents und seiner Thätigkeit, sowie die Eigenart seines innern We¬<lb/>
sens gehörig zu ermessen wäre. Welch neues Licht für die Würdigung<lb/>
seiner gäben die zehn oder zwölf Bände, zu denen eine Auswahl sei¬<lb/>
ner Staatsschriften &#x2014; der Behandlung und dem Ausdruck nach lau¬<lb/>
ter Meisterstücke &#x2014; sich aufgehäuft hat, wenn die Zeit ihrer Veröffent¬<lb/>
lichung nicht als noch zu früh erachtet würde! Aber auch von der<lb/>
menschlichen Seite her wäre noch mancher neue Einblick zu gewinnen,<lb/>
ließe noch manche Liebenswürdigkeit sich darlegen, mancher bedeutsame<lb/>
Zug der Leidenschaft und der Stärke wie der Schwäche des Gemü¬<lb/>
thes sich verfolgen, wenn aus der unermeßlichen Anzahl seiner Briefe<lb/>
grade die vertraulichen zahlreicher vorlagen!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_217" next="#ID_218"> Einen erheblichen Beitrag zur richtigen Erkenntniß des Mensch¬<lb/>
lichen in Gentz könnten auch seine Tagebücher liefern, wären sie noch<lb/>
vollständig aufzufinden oder zu den noch vorhandenen der Zugang<lb/>
offen. Denn es gehört zu den Eigenheiten und Widersprüchen, die<lb/>
sich in Gentz vereinigen, daß dieser im Schachte der Staatsarbeiten<lb/>
ermüdet arbeitsame und zugleich in den Genüssen der Welt schwelge¬<lb/>
rische Mann, der stets nur in der Gegenwart leben und die Bergan-<lb/>
'</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzten. lV. 18-lo. &gt;</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0097] Mus den Tagebüchern von Gentz Zur Einleitung. Der merkwürdige Mann, dessen in Deutschland seltne Begabung und seltnes Geschick ihn ans einen Standpunkt geführt, der in Deutsch¬ land ein einziger heißen muß; dieser Schriftsteller-Staatsmann, wel¬ cher in beiden Eigenschaften zweischneidig ans die Welt wirkte, der bürgerliche Pair der Vornehmen, mit ihnen Genuß und Ansehn thei¬ lend, mit einem Worte, Friedrich Gentz, über dessen Werth und Bedeutung bei uns lange Zeit so vielfach gestritten worden, wird gleich¬ wohl noch lange nicht nach Gebühr erkannt. Noch fehlt ein großer, vielleicht der größte Theil der Belege, aus denen der Umfang seines Talents und seiner Thätigkeit, sowie die Eigenart seines innern We¬ sens gehörig zu ermessen wäre. Welch neues Licht für die Würdigung seiner gäben die zehn oder zwölf Bände, zu denen eine Auswahl sei¬ ner Staatsschriften — der Behandlung und dem Ausdruck nach lau¬ ter Meisterstücke — sich aufgehäuft hat, wenn die Zeit ihrer Veröffent¬ lichung nicht als noch zu früh erachtet würde! Aber auch von der menschlichen Seite her wäre noch mancher neue Einblick zu gewinnen, ließe noch manche Liebenswürdigkeit sich darlegen, mancher bedeutsame Zug der Leidenschaft und der Stärke wie der Schwäche des Gemü¬ thes sich verfolgen, wenn aus der unermeßlichen Anzahl seiner Briefe grade die vertraulichen zahlreicher vorlagen! Einen erheblichen Beitrag zur richtigen Erkenntniß des Mensch¬ lichen in Gentz könnten auch seine Tagebücher liefern, wären sie noch vollständig aufzufinden oder zu den noch vorhandenen der Zugang offen. Denn es gehört zu den Eigenheiten und Widersprüchen, die sich in Gentz vereinigen, daß dieser im Schachte der Staatsarbeiten ermüdet arbeitsame und zugleich in den Genüssen der Welt schwelge¬ rische Mann, der stets nur in der Gegenwart leben und die Bergan- ' Grenzten. lV. 18-lo. >

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/97
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/97>, abgerufen am 05.12.2024.