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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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i.
Rcisenotizen ans Belgien.
Z.
Die Grenze-

Hier ist Herbesthal, die belgisch-preußische Grenze, hier wird gehal¬
ten. Manchem Wanderer ist es wohl ein herbes Thal gewesen, von
Aachen bis hierher. Ich dachte an Heinzen, den wilden Mann, und an
den armen frommen Freiligrath. Wer scheidet gern vom Vaterland auf
Nimmerwiedersehen! Und wer kann ohne Herzklopfen an das Thor der
Fremde pochen! Wird sie ihn nicht zurückweisen? Belgien ist durch kein
Gesetz verbunden, jedem Fremdling seine Thür zu öffnen. Freilich hat
man noch kein Beispiel, daß die Landessitte eine Ausnahme gemacht
hatte, aber kann nicht eine diplomatische Note über Nacht . . . mein
Gott, ein Deutscher muß Alles für möglich halten! . . . Ich bin über¬
zeugt, mehr als ein Flüchtling halte solche Gedanken an der Grenze.
Der arme Deutsche! die Polizei ist seine Amme, seine Gouvernante,
seine Xantippe. Darum sieht er überall Polizcigcspenster, und in den
Urwäldern Amerika's greift er noch ängstlich an die Brusttasche, ob er
nicht den Hcimathschein verloren.

Meine Wenigkeit ist nun zwar kein Flüchtling, vielmehr ein Lust¬
reisender, der durchaus keinen Grund hat, Preußen zu fürchten. Aber
ganz rein war ich nicht. Meinem Paß fehlten ein paar kleine Visa's,
weil er abgelaufen war, und in der frommen Stadt Cöln hatte man
mir deshalb die Hölle nicht wenig heiß gemacht. Geben Sie Acht, Sie
werden Belgien sehen, aber von der Grenze, wie Moses das gelobte
Land; hinein kommen Sie nicht. So hieß es. Ich trat also doch mit
einer gewissen Spannung in die Herbesthaler Station. Mehrere Passa¬
giere tranken Bier; um meine Verlegenheit zu verbergen, ließ ich mir
ebenfalls ein Glas geben, nippte fortwährend und machte mir
am Schenktisch zu thun. Besonders genirte mich ein dicker Mann
in Uniform, der mich sirirte, wie ein Daguerreotyp, und um mich her¬
umging, wie ein Diplomat um die orientalische Frage. Ich machte es
wie Vogel Strauß und kehrte ihm muthig den Rücken. Allein plötz-


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i.
Rcisenotizen ans Belgien.
Z.
Die Grenze-

Hier ist Herbesthal, die belgisch-preußische Grenze, hier wird gehal¬
ten. Manchem Wanderer ist es wohl ein herbes Thal gewesen, von
Aachen bis hierher. Ich dachte an Heinzen, den wilden Mann, und an
den armen frommen Freiligrath. Wer scheidet gern vom Vaterland auf
Nimmerwiedersehen! Und wer kann ohne Herzklopfen an das Thor der
Fremde pochen! Wird sie ihn nicht zurückweisen? Belgien ist durch kein
Gesetz verbunden, jedem Fremdling seine Thür zu öffnen. Freilich hat
man noch kein Beispiel, daß die Landessitte eine Ausnahme gemacht
hatte, aber kann nicht eine diplomatische Note über Nacht . . . mein
Gott, ein Deutscher muß Alles für möglich halten! . . . Ich bin über¬
zeugt, mehr als ein Flüchtling halte solche Gedanken an der Grenze.
Der arme Deutsche! die Polizei ist seine Amme, seine Gouvernante,
seine Xantippe. Darum sieht er überall Polizcigcspenster, und in den
Urwäldern Amerika's greift er noch ängstlich an die Brusttasche, ob er
nicht den Hcimathschein verloren.

Meine Wenigkeit ist nun zwar kein Flüchtling, vielmehr ein Lust¬
reisender, der durchaus keinen Grund hat, Preußen zu fürchten. Aber
ganz rein war ich nicht. Meinem Paß fehlten ein paar kleine Visa's,
weil er abgelaufen war, und in der frommen Stadt Cöln hatte man
mir deshalb die Hölle nicht wenig heiß gemacht. Geben Sie Acht, Sie
werden Belgien sehen, aber von der Grenze, wie Moses das gelobte
Land; hinein kommen Sie nicht. So hieß es. Ich trat also doch mit
einer gewissen Spannung in die Herbesthaler Station. Mehrere Passa¬
giere tranken Bier; um meine Verlegenheit zu verbergen, ließ ich mir
ebenfalls ein Glas geben, nippte fortwährend und machte mir
am Schenktisch zu thun. Besonders genirte mich ein dicker Mann
in Uniform, der mich sirirte, wie ein Daguerreotyp, und um mich her¬
umging, wie ein Diplomat um die orientalische Frage. Ich machte es
wie Vogel Strauß und kehrte ihm muthig den Rücken. Allein plötz-


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[0073] T a g e b u eh. i. Rcisenotizen ans Belgien. Z. Die Grenze- Hier ist Herbesthal, die belgisch-preußische Grenze, hier wird gehal¬ ten. Manchem Wanderer ist es wohl ein herbes Thal gewesen, von Aachen bis hierher. Ich dachte an Heinzen, den wilden Mann, und an den armen frommen Freiligrath. Wer scheidet gern vom Vaterland auf Nimmerwiedersehen! Und wer kann ohne Herzklopfen an das Thor der Fremde pochen! Wird sie ihn nicht zurückweisen? Belgien ist durch kein Gesetz verbunden, jedem Fremdling seine Thür zu öffnen. Freilich hat man noch kein Beispiel, daß die Landessitte eine Ausnahme gemacht hatte, aber kann nicht eine diplomatische Note über Nacht . . . mein Gott, ein Deutscher muß Alles für möglich halten! . . . Ich bin über¬ zeugt, mehr als ein Flüchtling halte solche Gedanken an der Grenze. Der arme Deutsche! die Polizei ist seine Amme, seine Gouvernante, seine Xantippe. Darum sieht er überall Polizcigcspenster, und in den Urwäldern Amerika's greift er noch ängstlich an die Brusttasche, ob er nicht den Hcimathschein verloren. Meine Wenigkeit ist nun zwar kein Flüchtling, vielmehr ein Lust¬ reisender, der durchaus keinen Grund hat, Preußen zu fürchten. Aber ganz rein war ich nicht. Meinem Paß fehlten ein paar kleine Visa's, weil er abgelaufen war, und in der frommen Stadt Cöln hatte man mir deshalb die Hölle nicht wenig heiß gemacht. Geben Sie Acht, Sie werden Belgien sehen, aber von der Grenze, wie Moses das gelobte Land; hinein kommen Sie nicht. So hieß es. Ich trat also doch mit einer gewissen Spannung in die Herbesthaler Station. Mehrere Passa¬ giere tranken Bier; um meine Verlegenheit zu verbergen, ließ ich mir ebenfalls ein Glas geben, nippte fortwährend und machte mir am Schenktisch zu thun. Besonders genirte mich ein dicker Mann in Uniform, der mich sirirte, wie ein Daguerreotyp, und um mich her¬ umging, wie ein Diplomat um die orientalische Frage. Ich machte es wie Vogel Strauß und kehrte ihm muthig den Rücken. Allein plötz- Grcnzbvtim. IV. I!V>«!. ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/73>, abgerufen am 23.07.2024.