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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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Solisten dadurch in den Hintergrund; das will dem Laien nicht ein¬
leuchten, aber es sind dadurch viele Momente gewonnen, wo instrumen-
tale Schilderungen der Situation, ja des Seelenlebens sich hinter den
Singstinimen aufbauen. Madame Viardor-Garcia und ihre reizende
Cousine Antonie de Mendi, von der ich Ihnen schon vor Wochen ge¬
schrieben, hatten ihre Mitwirkung zugesagt und so war denn durch die
Letztere der eigentliche Magnet gegeben, um die Berliner, die nicht allein
neugierig wie die Nachtigallen, sondern auch neugierig auf Nachtigallen
sind, noch einmal in Masse zu einem Concerlbesuch zu verleiten. Was
soll ich Ihnen von dem Wundergcsang der Viardor und der schlanken
Taille Arttoniens, was von den spanischen Nationalliedern und den vier
muthwilligen Augen schreiben, was von dem Jubelgeschrei des jungen
Berlins, d?s bis zur langen Brücke gellte, wo der große Kurfürst zu
Roß sitzt und seine langen ehernen Locken unmuthig geschüttelt haben soll.
Ernst, der erste deutsche Violinist, spielte drei Romanzen. Wer kann sich satt
hören an der hohen Qualität seines Tones, an dieser Poesie des Vertrages?

Der erste Feiertag brachte die Aauberflöte, die nach langem Schlum¬
mer aus den Schranken für Partituren wieder hervorgeholt war, um
die Zahl der dre'l neuen deutschen Opern, die gesetzmäßig jährlich ein-
studirt werden müssen, zu completiren. Der schrecklichste alte Decorations-
plunder war auf d-e Leine gehängt, sämmtliche Priestergewänder ausge¬
waschen, dem Papaieno ein neues Habit gemacht (das alte speisen die
Motten), die egyptishen Priestcrtrommeten mit Kreide geputzt, die Partie
der Königin der Rae"t um eine Terz transponirt, die brauchbarsten
Stimmen aus dem Chor für die weiblichen Rollen ausgesucht und nun
mit Gott spielt und sin^t! Wie man es gemacht hat, weiß ich nicht,
aber mit Hülfe des Dirigenten, Kapellmeister Henning, war es gelungen,
die Oper um eine halbe Stunde länger spielen zu lassen. Sie können
sich wohl vorstellen, daß durch diesen Umstand die Weisheitslehren Sa-
astro's uns desto tiefer eingeprägt wurden, die Munterkeit Papageno's
hingegen ein wenig an Frische verlor und an Länglichkeit gewann. Doch
was thut das? Der Weihnachtsmarkt ist so schlecht gewesen, daß man
sich nicht wundern darf, wenn selbst die Tempi in so kritischer Zeit lang¬
samer werden. Nur die Opernpreise behalten ihren guten Muth. Die
Actien und die Thermometer fallen, Letztere steht 6 Grad Reaumur
unter Null; die Opernpreise aber steigen bei einer alten Oper ohne großes
Orchester, Tanz, Aufzüge, neue Dekorationen und ausgezeichnete Gäste.
Geht das so weiter, so wird man die Gastrollen der Mad. Viardor, die
am Dienstag mit der Rosine im Barbier beginnen, nicht mehr bezahlen
können. Fabelhafte ganz undeutsche Gerüchte von drei Thalern, von
einem -- wage ich es auszuschreiben? -- Ducaten, circulire d lssen
nuna
I. A. die Gemüther der Theaterbesucher erbeben.


IV.
Notizen.

-- Die meisten Redactionen deutscher Blätter haben sicherlich einen
gelinden Schreck empfunden, als sie die gestrige Nummer des ^ouro"!


Solisten dadurch in den Hintergrund; das will dem Laien nicht ein¬
leuchten, aber es sind dadurch viele Momente gewonnen, wo instrumen-
tale Schilderungen der Situation, ja des Seelenlebens sich hinter den
Singstinimen aufbauen. Madame Viardor-Garcia und ihre reizende
Cousine Antonie de Mendi, von der ich Ihnen schon vor Wochen ge¬
schrieben, hatten ihre Mitwirkung zugesagt und so war denn durch die
Letztere der eigentliche Magnet gegeben, um die Berliner, die nicht allein
neugierig wie die Nachtigallen, sondern auch neugierig auf Nachtigallen
sind, noch einmal in Masse zu einem Concerlbesuch zu verleiten. Was
soll ich Ihnen von dem Wundergcsang der Viardor und der schlanken
Taille Arttoniens, was von den spanischen Nationalliedern und den vier
muthwilligen Augen schreiben, was von dem Jubelgeschrei des jungen
Berlins, d?s bis zur langen Brücke gellte, wo der große Kurfürst zu
Roß sitzt und seine langen ehernen Locken unmuthig geschüttelt haben soll.
Ernst, der erste deutsche Violinist, spielte drei Romanzen. Wer kann sich satt
hören an der hohen Qualität seines Tones, an dieser Poesie des Vertrages?

Der erste Feiertag brachte die Aauberflöte, die nach langem Schlum¬
mer aus den Schranken für Partituren wieder hervorgeholt war, um
die Zahl der dre'l neuen deutschen Opern, die gesetzmäßig jährlich ein-
studirt werden müssen, zu completiren. Der schrecklichste alte Decorations-
plunder war auf d-e Leine gehängt, sämmtliche Priestergewänder ausge¬
waschen, dem Papaieno ein neues Habit gemacht (das alte speisen die
Motten), die egyptishen Priestcrtrommeten mit Kreide geputzt, die Partie
der Königin der Rae»t um eine Terz transponirt, die brauchbarsten
Stimmen aus dem Chor für die weiblichen Rollen ausgesucht und nun
mit Gott spielt und sin^t! Wie man es gemacht hat, weiß ich nicht,
aber mit Hülfe des Dirigenten, Kapellmeister Henning, war es gelungen,
die Oper um eine halbe Stunde länger spielen zu lassen. Sie können
sich wohl vorstellen, daß durch diesen Umstand die Weisheitslehren Sa-
astro's uns desto tiefer eingeprägt wurden, die Munterkeit Papageno's
hingegen ein wenig an Frische verlor und an Länglichkeit gewann. Doch
was thut das? Der Weihnachtsmarkt ist so schlecht gewesen, daß man
sich nicht wundern darf, wenn selbst die Tempi in so kritischer Zeit lang¬
samer werden. Nur die Opernpreise behalten ihren guten Muth. Die
Actien und die Thermometer fallen, Letztere steht 6 Grad Reaumur
unter Null; die Opernpreise aber steigen bei einer alten Oper ohne großes
Orchester, Tanz, Aufzüge, neue Dekorationen und ausgezeichnete Gäste.
Geht das so weiter, so wird man die Gastrollen der Mad. Viardor, die
am Dienstag mit der Rosine im Barbier beginnen, nicht mehr bezahlen
können. Fabelhafte ganz undeutsche Gerüchte von drei Thalern, von
einem — wage ich es auszuschreiben? — Ducaten, circulire d lssen
nuna
I. A. die Gemüther der Theaterbesucher erbeben.


IV.
Notizen.

— Die meisten Redactionen deutscher Blätter haben sicherlich einen
gelinden Schreck empfunden, als sie die gestrige Nummer des ^ouro»!


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[0567] Solisten dadurch in den Hintergrund; das will dem Laien nicht ein¬ leuchten, aber es sind dadurch viele Momente gewonnen, wo instrumen- tale Schilderungen der Situation, ja des Seelenlebens sich hinter den Singstinimen aufbauen. Madame Viardor-Garcia und ihre reizende Cousine Antonie de Mendi, von der ich Ihnen schon vor Wochen ge¬ schrieben, hatten ihre Mitwirkung zugesagt und so war denn durch die Letztere der eigentliche Magnet gegeben, um die Berliner, die nicht allein neugierig wie die Nachtigallen, sondern auch neugierig auf Nachtigallen sind, noch einmal in Masse zu einem Concerlbesuch zu verleiten. Was soll ich Ihnen von dem Wundergcsang der Viardor und der schlanken Taille Arttoniens, was von den spanischen Nationalliedern und den vier muthwilligen Augen schreiben, was von dem Jubelgeschrei des jungen Berlins, d?s bis zur langen Brücke gellte, wo der große Kurfürst zu Roß sitzt und seine langen ehernen Locken unmuthig geschüttelt haben soll. Ernst, der erste deutsche Violinist, spielte drei Romanzen. Wer kann sich satt hören an der hohen Qualität seines Tones, an dieser Poesie des Vertrages? Der erste Feiertag brachte die Aauberflöte, die nach langem Schlum¬ mer aus den Schranken für Partituren wieder hervorgeholt war, um die Zahl der dre'l neuen deutschen Opern, die gesetzmäßig jährlich ein- studirt werden müssen, zu completiren. Der schrecklichste alte Decorations- plunder war auf d-e Leine gehängt, sämmtliche Priestergewänder ausge¬ waschen, dem Papaieno ein neues Habit gemacht (das alte speisen die Motten), die egyptishen Priestcrtrommeten mit Kreide geputzt, die Partie der Königin der Rae»t um eine Terz transponirt, die brauchbarsten Stimmen aus dem Chor für die weiblichen Rollen ausgesucht und nun mit Gott spielt und sin^t! Wie man es gemacht hat, weiß ich nicht, aber mit Hülfe des Dirigenten, Kapellmeister Henning, war es gelungen, die Oper um eine halbe Stunde länger spielen zu lassen. Sie können sich wohl vorstellen, daß durch diesen Umstand die Weisheitslehren Sa- astro's uns desto tiefer eingeprägt wurden, die Munterkeit Papageno's hingegen ein wenig an Frische verlor und an Länglichkeit gewann. Doch was thut das? Der Weihnachtsmarkt ist so schlecht gewesen, daß man sich nicht wundern darf, wenn selbst die Tempi in so kritischer Zeit lang¬ samer werden. Nur die Opernpreise behalten ihren guten Muth. Die Actien und die Thermometer fallen, Letztere steht 6 Grad Reaumur unter Null; die Opernpreise aber steigen bei einer alten Oper ohne großes Orchester, Tanz, Aufzüge, neue Dekorationen und ausgezeichnete Gäste. Geht das so weiter, so wird man die Gastrollen der Mad. Viardor, die am Dienstag mit der Rosine im Barbier beginnen, nicht mehr bezahlen können. Fabelhafte ganz undeutsche Gerüchte von drei Thalern, von einem — wage ich es auszuschreiben? — Ducaten, circulire d lssen nuna I. A. die Gemüther der Theaterbesucher erbeben. IV. Notizen. — Die meisten Redactionen deutscher Blätter haben sicherlich einen gelinden Schreck empfunden, als sie die gestrige Nummer des ^ouro»!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/567>, abgerufen am 05.12.2024.