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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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nicht beistimmen könne, wenn sie in der Freiheit, die sie für sich bean¬
spruchen, unschöne Taktlosigkeiten begehen, wie das Absingen ihrer Er¬
bauungsgesänge nach den Melodien bekannter Studentenlieder. Wer frei
sein will und sein eigner Gesetzgeber, muß doppelt rein, edel und schön
dastehen und nicht selbst Dasjenige durch kindische Renommisterei entehren,
wofür er Achtung von Fremden und Anerkennung von den Behörden
A. M. fordert.


III. i
Zrrn
Aus Wien.^

Ambition des bürgerlichen Iunk^rthums.
Concurse. -- Eine Lücke des Wechselrechts
Witz von Nestroy.-- l!>gi> in's. -- Fallissemente und
. -- Meyerbeer und Pokornu. -- Ein
-- Bäckerklagen.

Unsre Bourgeoisie kennt leider! keinen höheren Ehrgeiz, als sich nach
dem Muster des Adels zu bilden, der im Durchschnitt genommen und
den ungarischen abgerechnet, durch die politischen Verhältnisse zu einer
passiven Consumentenrolle, bestimmt scheint. Der glänzende Schimmer
seines bequemen Daseins ist höchst verlockend geworden. Seine tonan¬
gebende Stellung in allen jenen Beziehungen, wo es sich um raffinirten
Lebensgenuß handelt, wird beneidet, und seine Manier im Kleinlichsten
nachgeahmt. Wie der Aristokrat sich kleidet, so muß auch der junge,
reiche Bürgerssohn gekleidet einherstolzieren! Dessen Pferde, Wagen und
Hunde sind für letztere ein Gegenstand des aufmerksamsten Studium-?.
Er beneidet ihn um die Blicke aus schönen Augen, welche ihm von
manchem Fenster zufliegen; er beneidet ihn um die Höflichkeit der Fiaker¬
knechte, welche sich sogleich um einen Grad herunterschraubt, sobald sie
bürgerliche Atmosphäre wittert. Er beneidet ihn um die Nonchalance
seines Ganges, seines Benehmens, seiner Sitten; er kennt keinen höheren
Ehrgeiz, als verkannt, d. h. ebenfalls für einen Cavalier angesehen zu
werden. Er eignet sich mit gewissenhafter Aengstlichkeit alle Unarten und
Grimassen seines Musterbildes an, und wäre ich die Gräfin Jda Hahn-
Hahn oder sonst ein aristokratischer Schriftling, fo würde ich sagen: die
gesuchte Eopie läßt den seelenmatten Pinsel nimmermehr verkennen!

Hierbei entsteht nun die Frage: ob jene Manieren in der That gute
und feine zu nennen sind, und wir glauben, diese verneinend beantworten
zu müssen. Es ist Nichts darin zu entdecken von jener erhabenen britti;
schen Adelshoheit, die sich ihres Ursprungs in dem Oberhause Altenglands
bewußt ist. Nichts von der wenn auch demokratisch gewordenen Eleganz
der Franzosen, Nichts von der Ritterlichkeit des polnischen Magnaten,
Es ist jein specifisch österreichisches Gewächs, die Frucht übergroßen
Reichthums, der nicht mit Schweiß und Mühe erworben wurde, sondern
sich fort und fort Vererbt, und nicht der Spekulation, sondern dem aus¬
gesuchtesten Lebensgenusse dient. Der Accent des Sybaritismus ist darin
gepaart mit dem des eingefrorensten Dünkels, und bei so bewandten


nicht beistimmen könne, wenn sie in der Freiheit, die sie für sich bean¬
spruchen, unschöne Taktlosigkeiten begehen, wie das Absingen ihrer Er¬
bauungsgesänge nach den Melodien bekannter Studentenlieder. Wer frei
sein will und sein eigner Gesetzgeber, muß doppelt rein, edel und schön
dastehen und nicht selbst Dasjenige durch kindische Renommisterei entehren,
wofür er Achtung von Fremden und Anerkennung von den Behörden
A. M. fordert.


III. i
Zrrn
Aus Wien.^

Ambition des bürgerlichen Iunk^rthums.
Concurse. — Eine Lücke des Wechselrechts
Witz von Nestroy.— l!>gi> in's. — Fallissemente und
. — Meyerbeer und Pokornu. — Ein
— Bäckerklagen.

Unsre Bourgeoisie kennt leider! keinen höheren Ehrgeiz, als sich nach
dem Muster des Adels zu bilden, der im Durchschnitt genommen und
den ungarischen abgerechnet, durch die politischen Verhältnisse zu einer
passiven Consumentenrolle, bestimmt scheint. Der glänzende Schimmer
seines bequemen Daseins ist höchst verlockend geworden. Seine tonan¬
gebende Stellung in allen jenen Beziehungen, wo es sich um raffinirten
Lebensgenuß handelt, wird beneidet, und seine Manier im Kleinlichsten
nachgeahmt. Wie der Aristokrat sich kleidet, so muß auch der junge,
reiche Bürgerssohn gekleidet einherstolzieren! Dessen Pferde, Wagen und
Hunde sind für letztere ein Gegenstand des aufmerksamsten Studium-?.
Er beneidet ihn um die Blicke aus schönen Augen, welche ihm von
manchem Fenster zufliegen; er beneidet ihn um die Höflichkeit der Fiaker¬
knechte, welche sich sogleich um einen Grad herunterschraubt, sobald sie
bürgerliche Atmosphäre wittert. Er beneidet ihn um die Nonchalance
seines Ganges, seines Benehmens, seiner Sitten; er kennt keinen höheren
Ehrgeiz, als verkannt, d. h. ebenfalls für einen Cavalier angesehen zu
werden. Er eignet sich mit gewissenhafter Aengstlichkeit alle Unarten und
Grimassen seines Musterbildes an, und wäre ich die Gräfin Jda Hahn-
Hahn oder sonst ein aristokratischer Schriftling, fo würde ich sagen: die
gesuchte Eopie läßt den seelenmatten Pinsel nimmermehr verkennen!

Hierbei entsteht nun die Frage: ob jene Manieren in der That gute
und feine zu nennen sind, und wir glauben, diese verneinend beantworten
zu müssen. Es ist Nichts darin zu entdecken von jener erhabenen britti;
schen Adelshoheit, die sich ihres Ursprungs in dem Oberhause Altenglands
bewußt ist. Nichts von der wenn auch demokratisch gewordenen Eleganz
der Franzosen, Nichts von der Ritterlichkeit des polnischen Magnaten,
Es ist jein specifisch österreichisches Gewächs, die Frucht übergroßen
Reichthums, der nicht mit Schweiß und Mühe erworben wurde, sondern
sich fort und fort Vererbt, und nicht der Spekulation, sondern dem aus¬
gesuchtesten Lebensgenusse dient. Der Accent des Sybaritismus ist darin
gepaart mit dem des eingefrorensten Dünkels, und bei so bewandten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/532>, abgerufen am 05.12.2024.